Spurensuche

Buchcover mit Foto eines lachenden Mädchens

(c) Hanser Verlag

 Patrick Modiano, Dora Bruder

„Paris. Gesucht wird ein junges Mädchen, Dora Bruder, 15 Jahre, 1,55 m. ovales Gesicht, graubraune Augen, sportlicher grauer Mantel, weinroter Pullover, dunkelblauer Rock und Hut, braune sportliche Schuhe. Hinweise erbeten an Monsieur und Madame Bruder, Boulevard Ornano, Paris.“

Diese Anzeige liest Modiano im Paris-Soir vom 31.Dezemberf 1941 und forscht fast zehn Jahre lang dem Schicksal des Mädchens hinterher, dessen Spur am 18.Spetember 1942 auf einer Liste der nach Auschwitz Deportierten endet. Er hat nicht viele Daten klären können, doch haben wir eine Idee von dem “jungen Mädchen“ gewinnen können. Ihre Eltern waren arme Juden, aus Osteuropa nach Paris gezogen. Im Mai 1940 wurde Dora in das katholische Internat „Saint-Coeur-de-Marie“ geschickt, wo Mädchen aus armen Familien untergebracht waren. Im selben Jahr mussten sich die jüdischen Familien in „Judenakten“ registrieren lassen. Ihr Vater ließ sich und seine Frau registrieren, nicht aber seine Tochter. Das Internatsregister enthält einige Angaben zu Dora und auch „Entlassungsdatum und –grund; 14. Dezember 1941. Wegen Weglaufens.“ Die Umstände ihres Weglaufens hat Modiano nicht herausgefunden, ebenso wenig die Gründe für ihr zweites Weglaufen, nachdem sie noch einmal nach Hause gekommen war. Genauso ist unklar, wie sie schließlich verhaftet und ins Lager Drancy deportiert wurde, von wo sie nach Ausschwitz verbracht wurde.

Modiano erzählt diese dürren Fakten, indem er die Örtlichkeiten abgeht, sich an seine Jugend erinnert, die Geschichte seines Vaters rekapituliert, seine Lektüren erwähnt. Und er findet immer wieder zu Dora Bruder zurück. Uns wird durch diese Abweichungen erst die Bedeutung des Schicksals dieser armen Jüdin bewusst.

Er endet seine Aufzeichnungen so:

„Nie werde ich erfahren, womit sie ihre Tage verbrachte, wo sie sich versteckte, in wessen Begleitung sie war während der Wintermonate ihrer ersten Flucht und in jenen wenigen Frühlingswochen, als sie von neuem weggelaufen ist. Das bleibt ihr Geheimnis. Ein armseliges und kostbares Geheimnis, das die Henker, die Verordnungen, die sogenannten Besatzungsbehörden, das Dépot, die Kasernen, die Lager, die Geschichte, die Zeit – alles. was einen erniedrigt und zerstört – ihr nicht rauben konnten.“

Dora Bruder – Modiano macht deutlich, was vom Leben eines der 6 Millionen jüdischen Opfer blieb.

 Carl Hanser Verlag 1998 (zuerst 1997), aus dem Französischen von Elisabeth Edl, 152 Seiten, das Buch ist auch als Taschenbuch erschienen.