„Gewaltfreies Leben ist ein Menschenrecht, das auch in Deutschland immer noch in unvorstellbarem Ausmaß verletzt wird“, so Anja Stahmann anlässlich ihrer Übernahme des Vorsitzes der Frauen- und Gleichstellungsministerkonferenz. Hauptthema wird der Schutz von Frauen vor Gewalt in nahen Beziehungen.
Turnusgemäß übernahm Bremens Sozial- und Frauensenatorin Anja Stahmann am 1. Januar 2018 den Vorsitz der Frauen- und Gleichstellungsministerkonferenz (GFMK). „Wir werden uns im kommenden Jahr schwerpunktmäßig mit der Frage beschäftigen, wie unsere Gesellschaft Frauen und Kinder besser vor Gewalt schützen kann, besonders in nahen Beziehungen“, sagte die Senatorin. „In jeder Woche verlieren in Deutschland beinahe drei Frauen ihr Leben durch ihren aktuellen oder ehemaligen Lebenspartner, Tag für Tag zeigen 180 Frauen eine Körperverletzung in der Partnerschaft oder durch den früheren Partner an. Das macht deutlich, wie wichtig dieses Thema frauenpolitisch ist.“
Istanbul-Konvention verpflichtet
Zentraler Punkt der 28. GFMK werde daher die Umsetzung der Istanbul-Konvention sein, das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, das im Jahr 2011 verhandelt worden ist. Die Bundesrepublik hat es im Oktober 2017 ratifiziert, in Kraft tritt es am 1. Februar 2018. Die Istanbul-Konvention enthält umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter. „Ein gewaltfreies Leben ist ein Menschenrecht, das auch in Deutschland immer noch in unvorstellbarem Ausmaß verletzt wird“, sagte Senatorin Stahmann. Weitere Themen der GFMK werden unter anderem Frauen und Flucht sein, die systembedingten Renten-Nachteile von Frauen mit Erziehungszeiten in der früheren DDR, der Lohnabstand zwischen Frauen und Männern („Gender Pay Gap“) und die Debatte um die Abschaffung der Steuerklasse V.
Frauen tragen die Last der Beziehungsarbeit weitgehend allein
Die Frauenpolitik der zurückliegenden Jahrzehnte habe viel erreicht, sagte Senatorin Stahmann, aber bis zur vollen Gleichberechtigung sei es noch ein langer Weg: „Familienarbeit ist im Wesentlichen Frauensache geblieben – sowohl mit Kindern, als auch mit Eltern und Schwiegereltern im Alter. Frauen stecken im Berufsleben zurück, und das spüren sie bei ihren Renten. Mit anderen Worten: Die wirtschaftlichen Risiken der Beziehungsarbeit lädt unsere Gesellschaft noch immer weitgehend auf den Schultern von Frauen ab.“ Kinder seien nach wie vor „ein Armutsrisiko – und das in der Regel nicht für Männer, sondern für Frauen“.
„Wir wissen, dass Frauen immer noch Arbeitsbereiche wählen, in denen die Bezahlung schlechter ist“, sagte die Senatorin weiter. „Aber weder die gewählten Tätigkeitsbereiche noch die schlechtere Bezahlung beruhen auf Naturgesetzen.“ Auch in der Politik gebe es noch Nachholbedarf. „Von 709 Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind 219 Frauen. Das ist nicht mal ein Drittel.“ Feste Regularien wie das Paritätsgesetz nach französischem Vorbild, das allen Parteien eine hälftige Besetzung von Ämtern und Positionen vorschreibt, könnten den Einfluss von Frauen in der Politik stärken, das habe die Quote bei den Grünen gezeigt. „Andere Parteien haben da noch ganz erheblichen Nachholbedarf – darüber kann auch eine CDU-Kanzlerin nicht hinwegtäuschen.“
Positive Anreize für Männer verstärken
Mehr Gerechtigkeit verspricht sie sich unter anderem von der Quote in Aufsichtsräten, Frauenförderpläne in Unternehmen, dem Recht auf Rückkehr aus Teilzeit in Vollzeit nach der Familienphase, einem verbesserten Rentenausgleich für die Familienphase, dem Recht auf flexible Arbeits- und Ausbildungszeiten und bedarfsgerechten Öffnungszeiten in Kindertagesstätten. Senatorin Stahmann bringt aber auch Anreize für Männer ins Gespräch, die ihre Eltern pflegen oder sich mehr Erziehungsmonate für die Kinder nehmen: „Männer sollten viel mehr Anspruch auf Gleichberechtigung erheben“, betonte sie. „Vielen ist gar nicht bewusst, welche sozialen und emotionalen Benachteiligungen mit einer einseitigen Orientierung auf das Berufsleben langfristig einhergehen.“
Die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder entwickelt Grundlinien für eine gemeinsame Gleichstellungs- und Frauenpolitik der Bundesländer. Sie ist erstmals im Jahr 1991 zusammengetreten und hat den Anspruch, zur Chancengleichheit von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen beizutragen. Der Vorsitz wechselt jährlich, zuletzt hat ihn Heike Werner aus Thüringen innegehabt. Bremen hat den Vorsitz der GFMK im 100. Jubiläumsjahr zum Frauenwahlrecht in Deutschland übernommen.
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