Zwölfjährige Schüler, die im Unterricht von Lehrern zum jüdischen Brauch der Beschneidung befragt werden und von denen verlangt wird, den Mitschülern die Politik Israels zu erklären. Jugendliche, die von Mitschülern als „Du Jude“ beschimpft werden. Menschen, die in der U-Bahn verprügelt werden, weil vermutetet wird, sie könnten jüdisch sein. Dieser Antisemitismus ist nicht die Spitze eines Eisberges, sondern Alltag für viele Jüdinnen und Juden in Deutschland.
Mit den bundesweiten Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus vereinen die Amadeu Antonio Stiftung und das Anne Frank Zentrum bundesweit zum 15. mal über 100 Veranstaltungen lokaler Initiativen, die über Antisemitismus aufklären und Gegenstrategien vermitteln. Die deutschlandweit größte Aktion gegen Antisemitismus unter dem Titel #AntisemitismusHeute findet rund um den 9. November 2017 statt. Der 9. November markiert den Beginn der Novemberpogrome 1938.
Es gibt unterschiedliche Formen von Judenfeindlichkeit
Hierzu erklärt Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesfamilienministerium: „Antisemitismus muss beim Namen genannt werden. Das beste Mittel gegen Hass und Intoleranz bleiben Bildung und Verantwortungsbewusstsein für die deutsche Geschichte. Die Aktions- und Bildungswochen gegen Antisemitismus vereinen das wichtige Engagement der Zivilgesellschaft. Mit ihrer kürzlich verabschiedeten Arbeitsdefinition gegen Antisemitismus hat auch die Bundesregierung ein weiteres Instrument auf den Weg gebracht, ein gemeinsames Verständnis für die Prävention von aktuellem Antisemitismus zu schaffen.“
Die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, ist vor allem über die Zunahme von sogenannter Systemkritik und Elitenbashing besorgt, hinter denen häufig antisemitische Vorstellungen stecken. „Oft läuft dies auf die uralte Verschwörungstheorie hinaus, die Juden zögen heimlich im Hintergrund die Strippen und manipulierten die Welt. Diese Vorstellungen ziehen sich in unterschiedlicher Ausformung durch alle politischen Lager und gesellschaftlichen Milieus und finden insbesondere durch den Rechtspopulismus neue Nahrung. Deshalb thematisieren die Bildungs- und Aktionswochen nicht nur den rechtsextremen Antisemitismus, sondern werfen ein Licht auf alle heutigen Formen von Judenfeindlichkeit.“
Gemeinsam und entschieden engagieren
Patrick Siegele, Direktor des Anne Frank Zentrums und Mitglied des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, ergänzt, dass das Problem nicht nur aus historischer Sicht betrachtet werden darf. „Oft wird der Antisemitismus nicht als solcher benannt, sondern als Rechtsextremismus oder Diskriminierung unsichtbar gemacht. Das führt dazu, dass Judenhass häufig als etwas angesehen wird, das seit 1945 keine Rolle mehr spielt.“
Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, ist froh über die Unterstützung in der Bekämpfung von Antisemitismus durch die Aktionswochen. „Es ist zu begrüßen, dass bei den Bildungs- und Aktionswochen die jüdische Perspektive sichtbar wird und die jüdischen Gemeinden einbezogen sind. Gerade in Zeiten eines deutlichen Rechtsrucks ist es Aufgabe aller Demokraten, sich gemeinsam entschieden gegen jede Form von Antisemitismus zu engagieren.“
Mit vier regionalen Netzwerktreffen wird Raum für Erfahrungsaustausch der Akteure in der Arbeit gegen Antisemitismus geschaffen. An öffentliche Gebäude in mehreren Städten wird die „Chronik antisemitischer Straftaten und Vorfälle“ der Amadeu Antonio Stiftung projiziert, um Licht in das Dunkelfeld antisemitischer Delikte zu bringen. Über 100 Veranstaltungen in allen Bundesländern widmen sich Themen von Antisemitismus im Hip-Hop über israelbezogenen Antisemitismus bis hin zur antisemitismuskritischen Bildung in der Migrationsgesellschaft.
Der laufend aktualisierte Veranstaltungskalender ist zu finden unter http://www.aktionswochen-gegen-antisemitismus.de/
Die bundesweiten Aktions- und Bildungswochen gegen Antisemitismus werden gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms “Demokratie leben!”
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