Die langjährigen Proteste im Hambacher Forst gegen die Rodung des Waldes, durch den Energiekonzern RWE, zur klimaschädlichen Förderung von Braunkohle, avancierten zu einem der medial bekanntesten Protestbewegungen Deutschlands. Erst recht, nach der zum Teil gewaltsamen Räumung des Waldes 2018 durch die Polizei.
Vorab sei schon mal gesagt, dass ich nicht für eine Gruppe oder die Gesamtheit der Aktivist*innen sprechen kann, sondern lediglich auf Interviews mit Aktiven, öffentlichen Stellungnahmen und Eckdaten zurückgreifen kann, um daraus ein Meinungsbild ableiten zu können.
Der Wald und die Proteste
Der Hambacher Forst, kurz Hambi, ist ein altdeutscher Wald in Nordrhein-Westfalen, gelegen zwischen Aachen und Köln. Seit dem Erwerb des Hambacher Forstes durch den Energiekonzern RWE 1978, schrumpfte die ursprünglich 5.500 Hektar große Fläche durch Rodungsarbeiten auf weniger als 600 Hektar zusammen (Stand 2018).
Die Zerstörung des Waldes, um die Förderung von Braunkohle zu ermöglichen, und die im Zuge dessen vorgenommenen Zwangsumsiedlungen von Dörfern stehen bei vielen in der Kritik. Im November 2012 sind mehrere dauerhafte Baumhaussiedlungen und ein Wiesencamp als Protest gegen die fortwährenden Rodungsarbeiten entstanden. Diese Besetzungen sind zum Mittelpunkt der Hambi-Protestbewegung geworden. Für viele Besetzer*innen ist der Erhalt des Hambacher Forst Lebensmittelpunkt. Sie verbringen ihre Freizeit im Wald oder wohnen sogar ganzjährig in den Baumhäusern. Nach starken Auseinandersetzungen mit Aktivist*innen vor einer erneuten geplanten Rodung, veranlasste die schwarz-gelbe Landesregierung im September 2018 die Räumung der Baumsiedlungen. Die Aktivist*innen wehrten sich jedoch heftig, und es kam zu polizeilichen Großeinsätzen mit zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen und Festnahmen. Dies führte zu großer medialer Aufmerksamkeit und Massendemonstrationen vor dem Hambacher Forst von Sympathisant*innen der Baumbesetzer*innen.
Blutkohle statt Braunkohle?
Die Proteste hatten Erfolg, als das Oberverwaltungsgericht Münster am 05.10.2018 ein Rodungsstopp verhängte, und die Räumungen kurz darauf eingestellt wurden. Nach weiteren Verhandlungen hat die Bundesregierung im Zuge des Kohleausstiegs auf dem Kohlegipfel im Januar 2020 beschlossen, dass die Überreste des Hambacher Forst stehen bleiben dürfen. Das Groß der Aktivist*innen gibt sich damit jedoch nicht zufrieden wie aus einer Pressemitteilung des HAMBI bleibt!-Blogs zu lesen ist. So wird die Genehmigung der Regierung statt Braunkohle, Blutkohle aus Russland und Kolumbien im Kraftwerk Datteln4 zu verbrennen kritisiert. Die Aktivistin Nika sagt dazu:
„Wir brauchen nicht den Wechsel von Braunkohle zu Blutkohle. Wir brauchen einen radikalen Systemwechsel jetzt!“ – HAMBI bleibt: Presseerklärung 17.01.20
Das Problem bei dem Abkommen sei, dass lediglich der Wald erhalten bleibe, Dörfer jedoch weiter zerstört, und ihre Bewohner*innen zwangsumgesiedelt werden müssen. Außerdem will RWE rund um den Wald weiter baggern, was nicht nur zu einem Austrocknen des Waldes führen könnte, sondern auch von anderen Naturflächen abschließt würde, was problematisch für das Ökosystem sei. Zudem wird von vielen Aktivist*innen mehr als nur der Kohleausstieg gefordert, bei vielen geht um grundsätzliche Kritik an der Klimapolitik und dem Kapitalismus.
Die Aktivist*innen
Die Aktivist*innen, die sich für den Hambacher Forst stark machen, sind eine große Anzahl unterschiedlichster Individuen, die aus verschiedensten Gründen, mit unterschiedlichsten Hintergrund im Kampf gegen die Braunkohleförderung zusammen gekommen sind. Aus meinen Befragungen und öffentlichen Stellungsnahmen von Hambi-Aktivist*innen geht jedoch hervor, dass ein Großteil schon vorher systemkritisch aufgestellt und zur linken Szene gehörten. Neben der Erhaltung des Hambacher Forstes und dem Kohleausstieg als klimaaktivistisches Thema, gehören auch die Abschaffung des Kapitalismus, Antifaschismus und das Eintreten für eine gleiche Gesellschaft zu den Forderungen vieler Hambi-Aktivist*innen.
Gemeinsam gegen das Gleiche
Dementsprechend könne man auch keine vorherrschenden Gruppen oder Gender bei den Protesten hervorheben. Hinter der Protestbewegung steht keine einzelne Organisation. Stattdessen wird sie als freier, anarchistischer Raum verstanden, in dem Menschen zusammen kommen, um gemeinsam gegen die gleiche Sache zu demonstrieren. Aktionen können demnach individuell geplant und durchgeführt werden. Es gibt jedoch Zusammenschlüsse von Menschen die gemeinsam Aktionen planen und durchführen. Dies ist beispielsweise bei den meisten Baumbesetzungen der Fall. Auch Organisationen wie Ende Gelände solidarisieren sich mit dem Protest, und führen selbst Aktionen im Wald durch. Auf dem Blog HAMBI bleibt!, werden zudem Neuigkeiten und Stellungnahmen veröffentlicht, sowie Vorschläge, Hilfe und Anregungen zur Planung von Aktionen gegeben. Außerdem wurden offene „skill-sharing“ Festivals veranstaltet, bei denen unter anderem Aktionsklettern und Polizeiwiderstand geübt werden konnten. Aber auch Aufklärungsveranstaltungen zu Repressionen durch Polizeigewalt, Sexismus uns Kohleabbau werden abgehalten.
Die Kehrseite der medialen Aufmerksamkeit
Von vielen Aktivist*innen wurde die Beteiligung von politischen Gruppen, wie zum Beispiel der Linksjugend als störend empfunden. Da eine Instrumentalisierung für politische Interessen vermieden werden soll. Auch die mediale Aufmerksamkeit und Beteiligung vieler Bürger*innen an den Demonstrationen wird von unterschiedlichen Aktivist*innen anders bewertet. Zum einen führte die Berichtserstattung zu einem größeren öffentlichen Diskurs, und mehr bürgerlichen Zuspruch für den Forst. Das half letztendlich die Räumungsarbeiten 2018 zu stoppen, und den Hambacher Forst zu erhalten.
Auf der anderen Seite wurde so jedoch der Grundgedanke der Baumbesetzungen oft untergraben. Denn es ging nicht nur darum, den Forst zu erhalten, sondern einen anarchistischen, alternativen Lebensraum zu schaffen. So erklärte mir eine Aktivistin, dass ein Fest, das vor dem Hambi abgehalten wurden, mit Würstchenverkauf und kommerzieller Popmusik nicht im Sinne vieler Aktivist*innen war. Die Baumbesetzer*innen im Wald wurden außerdem weder gefragt wurden, noch eingeladen. Die bei den Räumungen 2018 verhaftete Baumbesetzerin Jazzy, schreibt in einem persönlichen Bericht, wie sie die Rückkehr in den Wald nach ihrer Freilassung empfand.
„Ich betrat nach der Räumung zum ersten mal ein neu entstandenes Baumhausdorf und werde nach einigen Minuten von einem mir unbekannten Menschen, welcher nach eigenen Angaben zu dem Zeitpunkt im Hambi gelebt hat, als junge Frau bezeichnet und darf mich dann auch noch darfür rechtfertigen, warum ich es nicht ok fände und wurde erst mit der Aussage ‚was denn mein Problem sei, ich sei doch eine junge Frau‘ abgefertigt (…).“ – Knasttagebuch Jazzy: Teil C
Frauen und Flinta im Hambacher Forst
Das Zitat macht deutlich, dass bei den Protesten zwar Gleichstellung der Geschlechter und Offenheit für jegliche sexuelle Orientierung angestrebt wird. In der Praxis kommt es jedoch aufgrund der Vielzahl von Menschen auch immer wieder zu Ausgrenzung und Sexismus. Meine Kontaktperson sagte dazu, dass sie als Frau oft das Gefühl habe, man nehme sie ihren Forderungen und ihrer Radikalität nicht ernst. Aussagen würden oft verniedlicht und schneller abgetan, als wenn männliche Mitdemonstranten das Gleiche sagen würden. Auch störe sie, dass Männer immer wieder versuchen würden, sie aus polizeilichen Konfrontationen herauszuhalten. Da man das kann als Reduzierung auf ihre Rolle als Frau werten kann, was im Gegensatz zur Gleichberechtigung steht. Auch bei Polizeieinsätzen gibt es solchen Sexismus. Der Artikel Räumung und Tod – längerfristige Folgen repressiver Maßnahmen auf dem Hambi bleibt!-Blog, schildert den Fall zweier Polizisten, die einen Baumbesetzer mit psychischen Druck vom Baum holen wollen. Dabei machen sie sich über den selbstgewählten Namen der Person lustig und frotzeln über eine mögliche Hochzeit zwischen „Elf“ und einem der Polizisten.
Der Hambacher Forst – Ein Ort frei von Geschlecht?
Im Allgemeinen deuten meine Recherchen daraufhin, dass der Hambacher Forst und die Proteste darum, ein Ort frei von Geschlecht ist. Man strebt Gleichheit und gegenseitige Unterstützung an. Es liegt wohl in der Sache aktivistischer Strömungen, sich von klassischen Gesellschaftsbildern zu trennen, und somit Rollenbilder aufzubrechen. Gerade in der Linken Szene ist dies ein wichtiges Merkmal und viele LGBTQ finden hier ein Zuhause frei von Vorurteilen. Sie unterstützen und fördern die weitere Öffnung gegenüber sexueller Randgruppen und Gleichheit, auch in anderen Protesträumen. Im Hambacher Forst werden zum Beispiel zunehmend sichere Räume für Flinta geschaffen (cis-Frauen, Lesben, inter, non-binär und trans Personen) . Seit einiger Zeit gibt es das All-Flinta Barrio, eine Baumhaussiedlung für Flinta, die sich hier treffen, austauschen und organisieren können.
Abschließend kann kann ich sagen, dass der Hambacher Forst größtenteils ein Ort des gleichberechtigten Aktivismus ist. Der Kampf für die Sache steht im Vordergrund, und vereint, als Symbol für Klimaproteste, Menschen mit gleichen Ansichten vereint. Unabhängig vom Geschlecht.
Finja
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