Ist Angela Merkel eine Feministin? Oftmals wurde ihr diese Frage schon gestellt. Doch die ehemalige Frauenministerin möchte keine klare Antwort geben. Warum fällt es Merkel so schwer, sich zum Feminismus zu bekennen? Wann macht es Sinn, die Dimension Geschlecht überhaupt zu thematisieren und wann kann das gerade erst Ungerechtigkeiten verstärken? Um diese Fragen geht es in diesem Artikel.
„Dann bin ich auch eine!“
Bei der W20-Frauenkonferenz 2017 wird Angela Merkel gefragt, ob sie sich als Feministin versteht. Dabei kommt die Bundeskanzlerin zunächst ganz schön ins Stocken. Ihre Antwort lautet schließlich: „Ich möcht´ mich nicht mit der Feder schmücken“. Dabei bezieht sie sich auf Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer und führt an, dass diese „ganz schwere Kämpfe gekämpft“ haben. Merkel möchte sich nicht für fremde Erfolge feiern lassen. Weiter hebt sie hervor, dass es zwischen ihr und der „Geschichte des Feminismus“ sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede gebe. Man kann also sagen, dass die Kanzlerin mit dem Titel „Feministin“ ein bestimmte Vorstellung von Frauen verbindet. Nämlich die derjenigen Frauen, die ihr Leben lang für Frauenrechte kämpfen, in gewisser Weise ihr Leben danach ausrichten und dafür allgemein bekannt sind.
Doch nur weil wir Frauen uns bisher schon so einiges erkämpft haben, bedeutet das nicht, dass wir jetzt genügsam sein sollten. Denn das absolut Nötigste zu haben, ist nicht genug. Es gibt immer noch diverse strukturelle Ungerechtigkeiten und Diskriminierung gegen Frauen. Vor denen dürfen wir nicht die Augen verschließen, nach dem Motto: „Unsere Vorgängerinnen haben doch schon so viel erreicht, irgendwann sollten wir uns dann auch zufriedengeben.“
Auf die Frage der Panel-Moderatorin hin, wer in der Runde sich als Feministin identifiziert, erklärt Königin Máxima, Prinzessin der Niederlande, welche Ziele ihr in Bezug auf Frauenrechte wichtig sind. Sie will, dass Frauen eine Wahlfreiheit haben, Chancen ergreifen können – Frauen sollen gleichberechtigt, glücklich und stolz sein. Wenn das eine Feministin ausmacht, dann sei sie eben eine. „Dann bin ich auch eine!“, entgegnet Merkel.
„…und das als Frau!“
Wenn das mal keine gute Definition von Feminismus ist – kurz und knapp und alles Wichtige steckt drin. Und doch gibt es das Phänomen, dass Frauen sich nicht als Feministinnen bezeichnen wollen, obwohl sie mit feministischen Werten und Zielen übereinstimmen. Aber woran liegt das? Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass der Begriff Feminismus heutzutage nicht immer ins positive Licht gerückt wird. Oft hört man von Männern, die Angst haben, die bösen Feministinnen wollten ihnen die Rechte wegnehmen. Feministinnen halten sich für was Besseres und wollen sich über die Männer stellen. Und überhaupt haben die ja eine ganz verschobene Weltsicht. Und was die einem alles immer unterstellen – Stichwort #NotAllMen. Da ist es verständlich, dass einige Frauen eingeschüchtert sind. Sie wollen zwar für ihre Rechte einstehen, doch haben Angst davor, zu stark auf dem Thema Feminismus herumzureiten und sich öffentlich als Feministinnen zu outen.
Außerdem besteht teilweise die Gefahr, dass mögliche Ungerechtigkeiten aufgrund des Geschlechtes gerade erst durch das Thematisieren der Dimension Geschlecht aufrechterhalten werden. Dabei kann es zu einer Art selbst erfüllenden Prophezeiung kommen. Spricht man einer Kollegin zum Beispiel ein Lob für ihren beruflichen Erfolg aus, „und das als Frau in der Männerdomäne!“, kann genau dieser kleine Zusatz Unsicherheiten bei der betreffenden Frau sowie Vorurteile bei ihren Kolleg*innen schüren. Ist das Geschlecht ständig Thema, entsteht die Gefahr einer Benachteiligung. Denn dadurch wird die Kollegin schnell auf ihr Geschlecht reduziert, ihr werden eigene Erfolge abgesprochen und möglicherweise schenkt sie dem selbst irgendwann Glauben.
Und dabei muss das gar nicht die Intention des*der Sprechenden gewesen sein. In der Pädagogik spricht man hier vom sogenannten Verschlimmbessern, wie wir bereits berichteten. Denn wenn ständig zusätzlich das Geschlecht betont wird, erscheinen weibliche Erfolge in einem männerdominierten Beruf schnell als Ausnahme, als etwas Besonderes. Dauerndes Thematisieren von vermeintlichen Unterschieden kann also gerade eine Benachteiligung schaffen.
Ungleichheiten (nicht mehr) reproduzieren
Bestimmte Geschlechterrollen erhalten wir dadurch aufrecht, dass wir sie im Alltag ständig thematisieren, sie vor- und ausleben. In den Sozialwissenschaften nennt man diesen Vorgang doing gender. Genauer ist damit gemeint: Die gesellschaftlich verbreiteten Geschlechterzuschreibungen und -klischees bleiben allein dadurch bestehen, dass sie ständig im alltäglichen Leben Thema sind, ausgelebt und erwartet werden. Dadurch werden Ungleichheiten im Alltag durchgehend reproduziert.
Aber bedeutet das jetzt, dass man nicht mehr auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen darf, da man diesen dadurch mehr Raum gibt? Sollte man „richtiges“ Verhalten lieber nur noch vorleben, anstatt ständig darüber zu reden und zu diskutieren? Denn man könnte meinen, durch das Ständige „Aufarbeiten“ von Geschlechterklischees weist man diesen überhaupt erst Raum und Bedeutung zu. Sollte man eher für Menschenrechte anstatt für Frauenrechte einstehen, um die Unterscheidung von Personen nach ihrem Geschlecht nicht noch mehr zum Thema zu machen? Wann macht es Sinn, die Dimension Geschlecht in einem feministischen Zusammenhang zu thematisieren? Und wann sorgt die Betonung dieser Dimension selbst dafür, dass die Kategorisierung von Menschen aufrechterhalten wird?
Auch wenn es sich dabei wohl eher um Fragen philosophischer Natur handelt, bringen die Antworten darauf wichtige Implikationen für die Diskussionen rund um Frauenrechte mit sich. Daher finde ich es wichtig, sich als Feministin einmal selbst Gedanken über die Frage zu machen: Wann ist es notwendig und förderlich, (vermeintliche) Unterschiede als solche zu benennen und wann werden Ungerechtigkeiten gerade dadurch erst aufrechterhalten? Also los geht’s:
Wir und die Anderen
Wie schon oben geklärt, ist es natürlich unnötig, das Geschlecht einer Person zu thematisieren, wenn es für die jeweilige Situation keine Bedeutung hat (wir erinnern uns an das Verschlimmbessern). Außerdem kann die fortlaufende Betonung von vermeintlichen Unterschieden zu einem „permanenten Akt der Grenzziehung, der Kategorisierung und [zu] eine[r] diskursive[n] Unterscheidung zwischen einem ´Wir´ und ´den Anderen´“ kommen, wie die Professorin für Sozialpädagogik Prof. Dr. Christine Riegel aus dem Verein Transfer für Bildung erklärt. Diesen Vorgang bezeichnet man als Othering. Dabei wird die eigene Gruppe „als selbstverständlich, positiv und übergeordnet angesehen“. Die Gruppe der Anderen gilt dabei „als nicht zugehörig und abweichend und [wird] abgewertet“. In einem männerdominierten Berufsumfeld gelten Frauen somit schnell als die Anderen und gehören damit nicht richtig zur Gemeinschaft der männlichen Kollegen dazu. Sie werden weniger ernst genommen und ihre Leistungen werden eher abgewertet gegenüber denen ihrer Kollegen.
Ein ständiges Thematisieren des Geschlechts von Personen(-gruppen) kann also schnell negative Folgen mit sich ziehen. Hier kann gegengesteuert werden, indem man Leistungen unabhängig von der Kategorie Geschlecht würdigt und dem Geschlecht einer Person allgemein weniger Bedeutung zuschreibt. Ich erbringe keine guten Leistungen „für eine Frau“, ich erbringe schlichtweg gute Leistungen.
Frauenrechte = Menschenrechte
Schon oft habe ich Aussagen gehört wie: „Klar sind Frauenrechte wichtig, aber wieso soll der Fokus nur auf den Frauen liegen? Es gibt noch so viele andere Probleme in der Welt – ich setze mich für Menschenrechte ein, denn nicht nur Frauen haben Probleme.“ Vielleicht habt ihr auch schon mal etwas in die Richtung gehört. Und die Grundaussage stimmt – es gibt noch mehr Probleme in der Welt als die Benachteiligung von Frauen. Doch nur weil es Diskriminierung auch aufgrund anderer Kategorien wie beispielsweise dem sozialen Status, der Nationalität, der Religionszugehörigkeit oder der sexuellen Orientierung gibt, bedeutet das nicht, dass Menschen aufgrund ihres Geschlechts nicht benachteiligt werden (können). Diese Kategorien schließen sich nicht aus – im Gegenteil: oft überschneiden sie sich sogar (Stichwort: Intersektionalität).
Was es außerdem darauf zu entgegnen gibt, ist Folgendes: Frauenrechte sind Menschenrechte. Solange wir zwischen Personengruppen nach irgendeiner Kategorie unterscheiden – ob nun nach Geschlecht, sozialem Status, Religion oder sonst einer Dimension– und mit dieser Unterscheidung eine Benachteiligung bestimmter Gruppen verbunden ist, solange leben wir nicht in einer freien und gleichberechtigten Gesellschaft. Es sollte also im Interesse jedes Menschen liegen, der sich mit den Werten Freiheit und Gleichberechtigung identifizieren kann, für Frauenrechte zu kämpfen. Folgt man dieser Argumentation, stellt sich also gar nicht mehr die Frage „Möchte ich mich als Feministin betiteln oder nicht?“, sondern sie impliziert den Feminismus.
…und was heißt das jetzt?
In der Gesellschaft, in der wir heute leben, kommt man also nicht drum herum, auf Missstände aufmerksam machen. Denn nur weil ich persönlich das Konzept der Unterscheidung von Menschen nach deren Geschlecht für veraltet halte, bedeutet das nicht automatisch, dass nicht trotzdem Diskriminierung aufgrund dieses Konzeptes stattfindet. Um diese Ungerechtigkeiten aufarbeiten zu können, ist es daher notwendig, der Dimension Geschlecht erst einmal Raum zu geben. Bekommen wir zum Beispiel mit, wie jemand aufgrund seines*ihres Geschlechts Diskriminierung erfährt, wie beim Beispiel der Kollegin von vorhin, ist es natürlich wichtig, diese auch als solche zu benennen.
Grundsätzlich ist es zwar ein guter Gedanke, nicht unnötig vermeintliche Unterschiede zwischen Personen(-gruppen) zu thematisieren. Doch das Sichtbarmachen von Vorurteilen und versteckter Stigmatisierung ist ein erster Schritt des Prozesses, diese abzubauen. Denn nur wenn wir einen schädlichen Mechanismus als Problem erkennen und benennen, können wir dieses auch angehen.
Natürlich ist es wichtig, dass wir stets selbst mit gutem Beispiel vorangehen, unsere Werte vorleben und für unsere Überzeugungen einstehen. Doch strukturelle Probleme wie (unterschwelliger) Sexismus lassen sich allein durch Vorbilder leider nicht ändern. Oft will man bestimmten veralteten Vorstellungen von Geschlecht nur ungern Gehör schenken. Doch damit ist es leider nicht immer getan.
Wie schon eingangs erwähnt, sind wir in unserer Gesellschaft noch lange nicht bei einer Gleichberechtigung der Geschlechter angelangt. Daher würde ich es sehr begrüßen, wenn sich unsere Kanzlerin klar zum Feminismus bekennen und auch danach handeln würde. Denn nur wenn wir Probleme als solche benennen und klare Stellung zu ihnen beziehen, können wir diese auch erfolgreich angehen. Und dabei muss man sich nicht mit „fremden Federn schmücken“. Stattdessen kann man deren Träger*innen als Vorbilder sehen und sich an ihnen ein Beispiel nehmen. Und damit könnte sie auch ein Zeichen für andere setzen. Denn man muss sich nicht vor dem Titel „Feministin“ verstecken, sondern kann ihn mit Stolz tragen.
Sarah-Lisa Walz
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