Der Tod von Jina Mahsa Amini versetzt die Welt in Aufruhr und zum ersten Mal verspüre ich eine strukturelle, substanzielle Angst davor, eine Frau zu sein. Meine Freundinnen erzählen mir, dass sie niemals wieder in ihr Heimatland zurückkehren können, weil sie stetig Angst haben müssen, systematisch verfolgt, verhaftet und hingerichtet zu werden, wegen ihrer Sexualität oder ihres Geschlechts. Von feministischer Außenpolitik merkt man in Deutschland nichts. Ich frage mich, was andere Länder wohl tun würden, wenn in Deutschland ein solcher Freiheitsraub stattfinden würde und warum Basisrechte von Frauen so entbehrlich erscheinen.
Am 8. März, dem feministischem Kampftag, laufen wir durch die Straßen und rufen „Jin, Jiyan, Azadi.“ zu Deutsch „Frauen, Leben, Freiheit.“. Den Demonstrierenden ist klar, dass Demokratie ohne die Freiheit und Gleichheit aller nicht stattfinden kann, sie ist ein elementarer Faktor und dennoch bleibt sie oft hinten angestellt. Schließlich habe die Gleichstellung von Männern und Frauen schon lange stattgefunden, Frauen hätten mittlerweile mehr Rechte als Männer, heißt es in konservativen politischen Kreisen (Die Begriffe „Mann“ und „Frau“ sind als sozial-strukturelle Kategorien zu verstehen, da Geschlechtlichkeit über die genannten binären Kategorien hinausgeht). Daher meine ich: Antifeminismus und Misogynie sollten einen höheren Stellenwert in der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Tendenzen und deren Prävention haben.
Antifeministische Narrative im Rechtsextremismus
Zentrale ideologische Merkmale rechtsextremistischer Positionen umfassen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Transphobie, sowie antidemokratische, anti-egalitäre und nationalistische Vorstellungen. Dass diese stetig mit antifeministischen Positionen in Verbindung stehen und von ihnen geprägt werden, wird im gegenwärtigen Diskurs unglücklicherweise häufig übersehen. Der sich aufstauende Hass gegen vor allem feministische, queere, nicht-weiße Frauen schlägt sich in nicht nur in einer hohen Zahl an häuslichen Gewaltdelikten oder Femiziden nieder, sondern äußert sich zusätzlich in öffentlichen Anschlägen oder Attentaten. Gleichzeitig wird Gewalt gegen Frauen häufig entpolitisiert: es handle sich um individuelle „Familiendramen“. 2021 sind 113 Frauen in Deutschland umgebracht worden, das entspricht etwa jedem dritten Tag, an dem eine Frau durch ein Gewaltverbrechen eines Mannes stirbt. Zudem äußern sich täglich auch andere Formen von Gewalt, wie etwa sexuelle Belästigung, Partnerschaftsgewalt, Stalking, Erpressung in digitalen Räumen oder psychische Gewalt (Agena/ Rahner 2021, Rahner 2022). Gewalt an Frauen ist durch diskriminierende und patriarchale Gesellschaftsstrukturen begründet. Wie kann eine solche Problemlage als unpolitisch gewertet werden?
Der 22-jährige Elliot Rodgers tötete 2014 sechs Menschen und verletzte vierzehn weitere in der Nähe des Campus der University of California, bevor er sich selbst erschoss. Aus der Analyse seines „Manifests“ geht hervor, dass Frauenhass sein primäres Motiv war. Seine verfasste Schrift ist geprägt von Hassreden gegen Frauen, sein Anschlag sei ein Racheakt gegen diese, weil sie ihm mit Zurückweisung begegnen würden. Neben eindeutig misogynen Äußerungen finden sich auch zahlreiche rassistische Ansichten in seiner Schrift wieder (Agena/ Rahner 2021, Schmitt 2014).
Auch der rechtsextremistische Anschlag, welcher 2019 in Halle stattfand, lässt sich als eindeutig antifeministisch verordnen. Neben zahlreichen antisemitischen und rassistischen Äußerungen verkündet der Attentäter in seinem Livestream, dass der Feminismus Schuld sei an Massenimmigration und den sinkenden Geburtenraten des Westens. Auch die für den Livestream genutzte Internetplattform wie auch die gewählten Redewendungen lassen auf die zumindest ideologische Nähe zur Incel-Bewegung schließen (Kracher, Veronika: Frauenhassende Online-Subkulturen. Ideologien – Strategien -Handlungsempfehlungen. Berlin: Amadeu Antonio Stiftung 2021), (Ware 2021).
Offensichtlich spielt der Erhalt patriarchaler Machtstrukturen und Privilegien wie auch binärer, unterdrückender Rollenbilder eine zentrale Rolle im antifeministisch rechtsextremen Diskurs. Im extremistischen Kontext werden diese Anspruchsvorstellungen mit der Legitimation von und Bereitschaft zu Gewalttaten verkoppelt. Hierarchische Verhältnisse zwischen Männern und Frauen sind Kernbestandteil der Ideologie, generell werden Personen, die männliche, weiße Herrschaft infrage stellen oder potenziell bedrohen könnten, zum Feindbild gemacht. Somit gehen tendenziell auch Antisemitismus, Rassismus, Homo- und Transphobie mit der antifeministischen Position einher, da auch queere, rassifizierte Männer nicht in die Idealvorstellung männlicher Herrschaftsbilder einzuordnen sind und diese bedrohen können (Agena/ Rahner 2021).
Von Frauenrechten ist nur im Kontext des Schutzes gegen zugewanderte kriminalisierte Männer die Rede, Antifeminismus und Rassismus werden somit zu inhärent verwobenen Kategorien, welche einander bedingen. Antifeminismus ist somit automatisch Teilbestand der rechtsextremen Ideologie und darf nicht ausgeblendet werden. Misogynie, Gewalt gegen Frauen und rechtsextreme Gewalt gehen somit häufig Hand in Hand (Kracher 2021: 6, 19) (Rahner 2022).
Die Incel-Bewegung und rechtsfreie Räume im Internet
Die Online-Subkultur der Incels steht für „involuntary celibates“, also unfreiwillig sexuell enthaltsam lebender Männer. Ideologisch kennzeichnet sich die Gruppierung nicht nur durch ein menschenfeindliches Anspruchsdenken in Bezug auf Sex, sondern auch Misogynie, Sexismus und Antifeminismus. Genetische Faktoren, gesellschaftliche Strukturen und vorgegebene Prozesse der Partnerwahl seien Schuld daran, dass Incels der Zugang zu Sex verweigert bliebe, da Frauen nur Interesse an den erfolgreichsten und attraktivsten Männern hätten. Die Online-Kultur versteht sich als Opfer und macht die Gesellschaft, attraktive Männer, aber vor allem Frauen für ihr Leid verantwortlich (Kaiser 2023) (Kracher 2021: 5, 18-25).
Frauenfeindliche Narrative (rechtsextremistischen) Ursprungs finden sich vor allem in virtuellen, nicht regulierten Räumen. Imageboards wie 4chan, 8kun, Kohlchan oder anderer Plattformen wie /r9k/, incels.co oder lookism.net schaffen einen Platz für Verschwörungstheorien, Holocaustleugnungen, Vergewaltigungs- und Gewaltfantasien gegen Frauen. Die Aggressivität der Gruppierung ist schwer abzuschätzen, denn nicht alle Menschen, welche sich in den Foren aufhalten, sind gewaltbereit, rechtsextrem oder gehören der Incel-Gruppierung an. Dennoch finden sich sämtliche Inhalte von Hate Speech, über Aufrufe zu sexualisierter Gewalt, Femiziden, Hassverbrechen und Suizid in genannten Foren wieder. Daraus lässt sich eine Enthumanisierung marginalisierter Gruppen ableiten. Die Nutzer der digitalen Räume werden stetig desensibilisiert und durch geschlechtsideologische Narrative cis-männlicher Sozialisation geprägt. Empathie, Respekt, Kritik an den menschenverachtenden Äußerungen und diskriminierungsfreie Sprache haben in den Foren keinen Raum (Kracher 2021: 5, 35). Letztlich spielt das Übertragen von digital gelebten Ideologien in die Realität eine Schlüsselrolle.
Wie verhalten sich Männer, die in Foren Vergewaltigungen und Femizide legitimieren, ihren Kolleginnen am Arbeitsplatz gegenüber? Wozu führt die Verbindung rassistischer und antifeministischer Denkmuster, wenn nicht zu einer zunehmenden Radikalisierung der eigenen politischen Position? Onlineräume frei von Nutzer*innenregistrierung, Regeln und Respekt schaffen nicht nur Platz für diskriminierendes Denken und Verhalten, sondern bringen im schlimmsten Fall Extremist*innen hervor.
Klar ist: in Nordamerika haben Incel-Attentate bislang mindestens 50 Menschen das Leben gekostet. Seit 2014 wurden mindestens 58 weitere verletzt. In Kanada gab es in den Jahren 2020 und 2021 Incel-Gewaltverbrechen, bei denen insgesamt über 10 Menschen ums Leben kamen und viele weitere verletzt wurden. Kanada klassifiziert Incel-Attentate als eine Form von Terror, während Incel-Foren auch in Deutschland an immer mehr Zulauf gewinnen, jedoch nicht überwacht oder als Problemquelle anerkannt werden. Dabei werden die in den genannten Foren veröffentlichten Manifeste der Täter bibelähnlich behandelt, ihre Attentate angepriesen, verherrlicht und zum Vorbild erhoben (Kaiser 2023) (Kracher 2021: 5, 37).
2022 fordert die Partei DIE LINKE die Bundesregierung auf, die Gefahr durch die Incel-Bewegung in Deutschland einzuschätzen. In Deutschland sei der Einfluss der Szene gering, es gäbe nur wenige potenzielle Fälle, die in Verbindung mit der Online-Gruppe gebracht werden können, weshalb aktuell kein Gefahrenpotential bestünde, so lautet die Antwort der Bundesregierung. Dabei wird ausgeklammert, dass internationale Foren auch deutsche Nutzer beherbergen, prägen und vernetzen (Kaiser 2023).
Das Anerkennen politisch motivierter Gewalttaten gegen Frauen ist nicht nur als Zeichen gegen Rechtsextremismus relevant, sondern auch zwangsläufig notwendig, wenn denkbaren Verbrechen durch Justiz und Polizei vorgebeugt werden sollen. Wird eine Online-Subkultur erst dann zur Gefahr, wenn zahlreiche Frauen den Hassverbrechen zum Opfer fallen? Frauenfeindliche Gewalt ist real und sie muss anerkannt werden. Sie schwingt stets in rechtsextremistischen Kontexten mit, wird aber häufig übergangen. Dabei reicht es nicht, Misogynie und Antifeminismus als andere Formen von Extremismus zu deuten. Die stets inhärente aggressive Verteidigung patriarchaler Privilegien ist Teil des Rechtsextremismus, kann und darf in der Präventionsarbeit also nicht negiert werden. Zudem gilt es, digitale Räume nicht länger als rechtsfrei zu betrachten – das ist in sämtlichen Kontexten schon lange überfällig – Hate Speech ist dabei nur der Anfang. Spezifisch gilt es nicht nur Bewegungen wie Incel als Gefahr einzustufen, sondern die Bedrohung ideologischer Echo-Räume zu erkennen und zu verstehen, wie diese rechtsextremistische Positionen hervorbringen können. Es gilt frauenspezifische Gewalt endlich als reelle politische Gefahr und Straftat anzuerkennen, statt strukturelle Probleme auf Individuen abzuwälzen.
Fazit
Antifeminismus und Misogynie sind stets mit rechtsextremen Positionen verbunden. Sie sind nicht nur ein Teilbereich des Rechtsextremismus, sondern fester Kernbestandteil, da Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Transphobie häufig miteinander zusammenhängen und darauf beruhen, dass patriarchale Privilegien und Machtstrukturen erhalten bleiben sollen. Gleichzeitig eröffnen nicht-regulierte Online Plattformen einen rechtsfreien Raum für Verschwörungstheorien, Hate Speech und Aufforderungen zu Gewalt. Bringt man beide Sphären zusammen, entstehen Imageboards, auf denen Menschen gleicher politischer Ideologie einen Raum der Radikalisierung hervorbringen. Resultate sind potenziell gefährliche Gruppierungen wie Incel, welche in Nordamerika bereits zu zahlreichen Todesfällen führten, aber auch andere Rechtsextremisten mit eindeutig frauenfeindlicher, gewalttätiger politischer Motivation.
Es gilt die Gefahr der geschaffenen Echo-Räume, wie auch die Tragweite antifeministischer politischer Straftaten anzuerkennen und systematisch gegen diese vorzugehen. Das Entpolitisieren antifeministischer Narrative stellt eine Gefahr für die Sicherheit der Betroffenen dar und ist somit untragbar. Zukünftig gilt es, sich auch im wissenschaftlichen Kontext vermehrt mit der Überschneidung von Antifeminismus und Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, um ein umfängliches Forschungsbild zu erhalten, welches sich anschließend auch in der Praxis von Verfassungsschutz und Polizei niederschlagen kann. Ebenso wichtig ist auch das Loslösen von Konzepten wie dem Internet als rechtsfreiem Raum. Auch hier sollte die wissenschaftliche Relevanz künftig vermehrt herausgestellt werden, um sich möglichst zukunftsnah in der Praxis abbilden zu können.
Lia Gering
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