Arbeit 4.0 ist ein Code der für Verheißung steht – aber auch für Angst und Verunsicherung. Welche Rolle werden Frauen in der neuen digitalen Arbeitswelt spielen? Können neue Technologien als Türöffner für die Gleichstellung dienen?
Vielleicht kann man es so sehen: „Die Digitalisierung ist für Frauen so etwas, wie es die Pille in den Sechziger Jahren war: Sie eröffnet alle möglichen Freiheiten“. Das sagte Sylvia Coutinho, Brasilien Chefin der Großbank UBS auf dem Global Summit of Women 2016 in Warschau. Werfen wir einen Blick in den Beipackzettel mit den Nebenwirkungen:
Was ist mit Arbeit 4.0 gemeint und kommt Gender überhaupt vor?
Künstliche Intelligenz, Robotik, Big Data und Internet der Dinge – digitale Technologien verändern gravierend die Berufs- und Wirtschaftswelt. Mit Arbeit 4.0 (vgl. BMAS 2015/2016) ist ein umfassender Transformationsprozess gemeint, der – ausgehend von Industrie 4.0 – nunmehr die gesamte Arbeitswelt umfasst. Dieser Prozess betrifft nahezu alle Branchen, er verändert Produktionsweisen, bisherige Geschäftsmodelle, Wertschöpfungsketten Arbeitskulturen und Denkweisen – unsere Gesellschaft. Damit stehen auch Geschlechterfragen auf dem Prüfstand. Allerdings, die bisherige Digitalisierungsdebatte war weitgehend geschlechterblind: zentriert auf Technik, globale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Industrie(produktion).
Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?
Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt versprechen ‚Horror‘ oder ‚Paradies‘: Prognosen für Deutschland bis 2025/2035 umfassen Arbeitsplatzverluste von ca. 18 Millionen bis zu möglichen Arbeitsplatzzuwächsen von ca. 230.000.
Konzentrieren wir uns auf das Hier und Heute: Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) arbeiten lediglich 15 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ca. vier Millionen) in Berufen, die zu einem hohen Anteil (>70 Prozent) schon derzeit durch Computer ersetzbar sind. Ob diese Jobs wirklich wegfallen werden, hängt ab u.a. von ethischen Fragen, rechtlichen Hürden, gesellschaftlicher Akzeptanz und ob sich Investitionen schlicht rechnen.
Fressen die Computer unsere Frauenarbeitsplätze?
Sind eher Frauen- oder Männerarbeitsplätze durch Digitalisierung gefährdet? Wenn überhaupt nach Geschlecht differenziert wird, widersprechen sich auch hier die Studien: ‚Frauen und Männer sind in gleichem Umfang betroffen‘ (vgl. z.B.: World Economic Forum 2015)[i] oder ‚Frauen sind die Verliererinnen‘ (vgl. z.B.: A.T. Kearny 2016) oder ‚Frauen sind die Gewinnerinnen‘ (vgl. z.B.: Accenture 2016 )
Laut IAB gelten heute Tätigkeiten als geschützt wie z.B. Managen, Beraten, Lehren, die zumindest derzeit nicht ersetzt sondern lediglich durch Computer unterstützt werden können. Höchste Risiken zeichnen sich bei industriellen Fertigungsberufen/Berufen der Rohstoffgewinnung ab. Das sind Männer Arbeitsplätze. Die niedrigste Gefährdung wurde bei den sozialen und kulturellen Dienstleistungen festgestellt, hier arbeiten mehrheitlich Frauen.
Also Entwarnung für die Frauen? Leider nein. Kriterien für potenzielle Ersetzbarkeit sind Routinetätigkeiten, d.h. wiederkehrende präzise Arbeiten, Aufgaben in Kalkulation und Planung z.B.: Sortieren, Berechnen, Controlling, Sachbearbeitung. Diese Arbeiten kann eine Maschine bzw. ein Computer schon heute besser, schneller, präziser und günstiger verrichten. Als gefährdet gelten vor allem niedrigqualifizierte Beschäftigte aber auch zunehmend Fachkräfte. Was bedeutet das für Frauenarbeitsplätze?
Einerseits: Lieblings-Frauenberufe im Büro und Verwaltungsbereich werden zunehmend von Rationalisierung und Digitalisierung betroffen sein. Auch der Frauenbeschäftigungsbereich ‚Warenhandel und Vertrieb‘ wird sich gravierend verändern (Stichwort: Internethandel). Ähnliches gilt schließlich für den Beschäftigungsbereich der Banken/Versicherungen (Stichwort: FinTech).
Andererseits sind (Frauen)Berufe der Körperpflege, im Gastgewerbe, im Bildungs-und Gesundheitswesen und soziale Berufe gegenwärtig kaum ersetzbar, vielmehr werden Beschäftigungszuwächse erwartet. Die Bilanz ist also gespalten: In der Hitliste der ungefährdeten Berufe liegen die typischen Frauenberufe genau so weit vorn wie in der Liste der gefährdeten Berufe.
Hinweis: unter job-futuromat.ard.de kann jede*r den eigenen Beruf eingeben und ersehen, ob dieser durch Einsatz neuer Technologien gefährdet sein könnte (Quelle: IAB/BIBB).
Neue Technologien als Türöffner für Gleichstellung?
Die Verbreitung digitaler Kommunikations- und Informationstechnologien ermöglicht ‚Arbeit anytime – anywhere‘. Sie verspricht mehr Freiheit, mehr selbstbestimmtes Leben und Arbeiten. Neue Beschäftigungsformen sind u.a. selbstständige Unselbstständigkeit (crowdwork) (z.B.: Amazon Mechanical Turk; Frauenanteil 70 Prozent) und das Auswandern von traditionellen Frauenbranchen (soziale und haushaltsnahe Dienstleistungen) auf Plattformen (z.B.: www.helpling.de); und schließlich die heißbegehrte jedoch ambivalente Möglichkeit des Arbeitens im Home-Office. Neben mehr Möglichkeiten und neuen Chancen entstehen jedoch erhebliche – häufig unterschätzte – Risiken.
Es ist sicherlich richtig, dass durch Digitalisierung tendenziell bestimmte Formen der traditionellen Arbeitsorganisation auf- und abgelöst werden und dadurch für Frauen neue Möglichkeitsräume eröffnet werden: Betont wird, Frauen seien insgesamt den Anforderungen des digitalen Wandels besser gewachsen als Männer. Es erfolge eine Neubewertung ‚weiblicher Fähigkeiten‘, wie z.B. der frauenspezifischen kommunikativen und sozialen Kompetenzen. Ermöglicht werde ein verbesserter Zugang zu neuen Berufsfeldern im technischen Bereich. Die Entwicklung neuer Führungsstrukturen, flacher Hierarchien, abnehmender Präsenzkultur erleichtere Frauen innerbetriebliche Aufstiege.
Es ist aber auch richtig, dass allein durch Digitalisierung sich keineswegs „naturwüchsig“ die geschlechtsspezifische Chancenverteilung in der Arbeitswelt und im Lebenslauf ändert.
Die bisherigen Erfahrungen sind eher ernüchternd:
Nur ein Beispiel: So bringt die von vielen gewünschte Heimarbeit keineswegs nur Entlastung (u.a.: weniger Fahrzeit; bessere work-life-balance); sondern führt auch leicht in eine Sackgasse; Es braucht regelmäßige Präsenzzeiten im Betrieb; Frauen müssen im Betrieb sichtbar bleiben ansonsten mutieren sie zu ‚Arbeitsbienen‘, die dringend gebraucht – nur nicht unbedingt befördert werden. Zudem: Heimarbeit über einen längeren Zeitraum zementiert traditionelle Rollenverteilung (Stichworte: ‚Mutti ist ja sowieso zu Hause‘).
Um das eingangs skizzierte Bild wieder aufzunehmen: Ebenso wie die Pille hat auch die Digitalisierung erhebliche Nebenwirkungen für Frauen. Sie eröffnet neue Möglichkeitsräume aber neben den neuen Freiheiten und Freuden müssen zugleich neue Verantwortungen übernommen werden. Einfach abwarten ist keine Option. Es gibt viel zu tun:
- Die prognostizierten neuen Möglichkeitsräume für Frauen konzentrieren sich offenbar auf die Gruppe der relativ privilegierten jungen Frauen mit Hochschulabschluss. Und, was ist mit den vielen Bürokauffrauen, den Kassiererinnen, den Verkäuferinnen, den Buchhalterinnen? Hier entstehen doch die größten Risiken. Qualifizierung, Weiterbildung, lebenslanges Lernen wird als eine der wichtigsten Strategien gesehen um mit den sich immer schneller verändernden Anforderungen der Arbeitswelt überhaupt Schritt halten zu können. Bis heute sind jedoch Frauen in der betrieblichen Weiterbildung deutlich unterrepräsentiert. Es besteht ein Weiterbildungs Gender Gap.
- Es werden auch neue (Frauen)Berufe entstehen – wohl vor allem in den IKT-Berufsbereichen. Hier gibt es Nachholbedarf: Es fehlen nicht nur Studentinnen in den MINT-Studiengängen sondern die TOP TEN der weiblichen Ausbildungsberufe werden nach wie vor von traditionellen Frauenberufen angeführt; mehr als die Hälfte dieser Berufe gilt durch Digitalisierung als gefährdet, bei den männlichen Ausbildungsberufen sind es weniger als ein Drittel.
Die neuen Technologien eröffnen generell die Möglichkeit, Geschlechterverhältnisse neu zu verhandeln, Machtverhältnisse, Rollenzuschreibungen und Arbeitsteilung zu hinterfragen und zu ändern. Das ist aber keineswegs von vornherein ein Erfolgsmodell. Es kommt wesentlich auf die Ausgestaltung an. Hier besteht erheblicher und dringender Handlungsbedarf u.a. auf gesetzlicher, tarifvertraglicher und betrieblicher Ebene aber wir brauchen auch eine breite gesellschaftliche Diskussion zum Thema Arbeit 4.0.
Wir stehen am Beginn einer großen Umwälzung, die wir nicht verhindern wollen und können aber in jedem Fall gestalten müssen und – da sind auch und gerade die Frauen gefragt.
Jetzt findet der digitale Umbruch statt.
Jetzt werden die Weichen gestellt.
Jetzt entscheidet sich, ob Frauen zu den Gewinnerinnen oder den Verliererinnen des digitalen Wandels gehören werden.
Hella Baumeister
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