Habt ihr euch schon mal gefragt, wieso unsere Städte so aussehen, wie sie aussehen? Die Erscheinung und die Bedingungen unserer gebauten Umwelt hängen maßgeblich von denen ab, die sie gestalten. Doch auch nach vielen Jahrzehnten feministischer Bewegungen bleibt die klassische Architektur ein männlich dominiertes Feld – und das, obwohl der Studiengang Architektur in Bremen schon seit 2006 einen Frauenanteil von mindestens 50 Prozent aufweist. Wieso ist das so? Was machen und arbeiten all die Absolvent*innen? Welche Rolle spielen Frauen auch historisch in der Bremer Architektur? Auf welche Hindernisse stoßen sie? Wie wird abseits des klassischen Architekturbetriebs für ein Recht auf Stadt für alle und eine feministische Raumpraxis gekämpft?
Architektur-Ausstellung im Wilhelm Wagenfeld Haus
Mit diesen Fragen beschäftigt sich aktuell eine Ausstellung des Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb) im Wilhelm Wagenfeld Haus im Bremer Viertel. Unter dem Titel „Architektur für alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum“ widmet sich das Kurator*innen-Team gemeinsam mit vielfältigen Akteur*innen des Feldes von damals bis heute Fragen von Sichtbarkeit, Selbstermächtigung und Widerständen in Bremen und darüber hinaus. Die Ausstellung richtet den Fokus auf die Erfolge und Errungenschaften. Sie verliert dabei jedoch auch die Hürden, die Menschen aufgrund ihrer Sexualität, Geschlechtsidentität, Religion oder ethnischen Zugehörigkeit erfahren, nicht aus den Augen. Im zweiten Teil der Ausstellung weitet sie den Blick über die Architektur hinaus auf die gesellschaftliche und machtvolle Produktion von Räumen. Dabei legen die Macher*innen ein intersektionales Verständnis von Feminismus zugrunde. Angelehnt an die afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin bell hooks und ihre Formulierung eines „Feminismus für Alle“ entstand auch der Titel der Ausstellung „Architektur für Alle?!“, verstanden als „Dreiklang aus Kritik, Utopie und praktischer Forderung nach einem berufspolitischen wie allgemein gesellschaftlichen Umbau hin zu vollumfänglicher Gleichstellung und Teilhabe für Alle“.[1]
„Wir freuen uns gerade auch, an diesem Ort, wie er ist, unsere Ausstellung zeigen zu dürfen, denn das Haus selbst zeigt, dass die gebaute Umwelt niemals neutral gewachsen ist. Wir wollen mit dem Gebäude interagieren, wie wollen Frauen und Feminismus sichtbar machen, wir wollen auch laut sein!“[2]
Die Akteur*innen
Das Publikum wird an die Hand genommen, durch die Geschichte der Bremer Frauenbewegung, mit der FOPA als einer der zentralen Akteurinnen, bis heute in die Lebens- und Arbeitsrealität von Frauen im Feld der Architektur. Die FOPA ist die Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen, die in mehreren Städten aktiv war und ist. Ihr Anliegen ist es, die Interessen von Frauen im Städte- und Wohnungsbau zu thematisieren und in den Diskurs einzubringen. Das bedeutendste Projekt der FOPA Bremen ist die Gründung und Gestaltung des Frauenstadthauses als integratives Wohn- und Arbeitsprojekt am Hulsberg. Die Geschichte des Frauenstadthauses könnt ihr detailliert und spannend in der Ausstellung nachschauen. Wer nicht so viel lesen mag, kann sich auch einen kurzen Film mit drei der Gründerinnen des Hauses anschauen. Als Grundlage und Inspiration dienen zahlreiche Interviews mit den beteiligten Frauen. Es werden unterschiedlichste Gegenstände und Werke aus deren Leben gezeigt und durch Illustrationen und statistische Zahlen kontextualisiert. Um sich der feministischen Raumpraxis und den intersektionalen und postkolonialen Perspektiven auf die gebaute Umwelt und unsere Städte zu widmen, arbeitet die Ausstellung zusammen mit den Künstler*innen Brunn Morais, Mona Abdel-Keream und Eden Obonyo, der Künstlerin Claire Waffel sowie dem Kollektivprojekt KOSK*I und dem Ausstellungsprojekt „Sisterhood – Girls Go Graffiti“.
So irritiert schon das Betreten des Gebäudes durch den Seiteneingang gewohnte Routinen und Abläufe. Die vielschichtigen Ebenen der Intersektionalität sollen für das Publikum beispielsweise mittels Virtual Reality in verschiedenen Installationen erlebbar werden. So spannt sich im Laufe der Ausstellung ein vielschichtiges Panorama auf, das die Besuchenden immer wieder zum eigenen aktiv-Werden und Nachdenken auffordert. Hierzu hat das Mariann Steegmann Institut einen Forschungssalon eingerichtet, der während der Öffnungszeiten besucht werden kann. Er dient als Treffpunkt und Raum für Gespräche, an denen Interessierte die Themen der Ausstellung schon vor Ort vertiefen und diskutieren können.
Noch bis zum 12. März 2023 könnt ihr die Ausstellung im Wilhelm Wagenfeld Haus im Bremer Viertel besuchen. Außerdem gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm mit Lesungen und Vorträgen sowie Film-Screenings und Workshops. Regelmäßig finden zudem Führungen mit den Kurator*innen statt. Die genauen Termine finden sich auf der Website des Bremer Zentrum für Baukultur.
Sophie Krone
Hard Facts
Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum
Eine Ausstellung des b.zb in Kooperation mit dem Wilhelm Wagenfeld Haus sowie mit der School of Architecture und der Gleichstellungsstelle der Hochschule Bremen.
- Oktober 2022 bis 12. März 2023
Di. 15:00–21:00 Uhr
Mi.–So. 10:00–18:00 Uhr
Wilhelm Wagenfeld Haus
Am Wall 209
28195 Bremen
Führungen
mit den Kuratierenden und wechselnden Gästen am 29.1.2023 & 26.2.2023, jeweils 15:00 Uhr. Weitere Führungen auch für Schulklassen auf Anfrage: info@bzb-bremen.de
[1] Bremer Zentrum für Baukultur (2022): Architektur für Alle ?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum. Einleitung. Bremen: Schünemann, S. 15.
[2] Céline Schmidt-Hamburger, in: Bremer Zentrum für Baukultur (2022): Architektur für Alle ?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum. Kurator:innengespräch. Architektur und Feminismen. Bremen: Schünemann, S. 212.
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