Die Regisseurin Pinar Karabulut inszeniert in ihrem Bremer Regiedebut ein Stück von Mehdi Moradpour im Theater Bremen. Die Zeitzieharmonika spannt sich zwischen 1815 und 2067. Klima-, Naturkatastrophe und dystopische Technikvisionen geben sich in der Spiegelpyramide des Stückes die Hand.
Die Geschichte
Wir sind im Jahr 2067, Hannover liegt nun an der Nordsee. So ist kein Ausgang ohne Atemmaske möglich. Trotzdem schallt es larmoyant aus dem Radio. Die sonnig-unbekümmerten Moderationen scheinen wie eh und je den Alltag zu begleiten. Währenddessen feiert Europa einen Friedenspreis und keine*r wundert sich. Die Nationalstaaten haben den Kontinent zerstückelt. Die Roboterin Carla hat ihren spektakulären Auftritt bei der Preisverleihung, kommt in den Genuss von Alkohol und tankt mit diesem für jene Spezies verbotenen Getränk, rechtes Gedankengut. Die Szenerie eskaliert. Neunzig Minuten dekoriert aus Zeitsprüngen von Deutscher Romantik, Rocky Horror Show, Vulkanausbruch in Indonesien und Burschenschaften. Ein wildes Stück, das ob all der Zeit und Themensprünge viele Fragen offen lässt.
Das Erleben
Wir blicken bei freier Platzwahl auf eine spiegelndes Gebilde. Musikalisch mischen sich Klangschalensounds mit einem sphärischen weltallmusikalischen Hintergrund. Vier Glitzernonnen und -mönche erwarten die Zuschauer*innen. Denn das Publikum kann an beiden Seiten der Bühne Platz nehmen.Fast entsteht in den ersten Minuten eine meditative Spannung. Die Erwartungen sind offen, frei. Alles kann passieren. Aber was passiert? Im Grunde haben wir es mit 90 Minuten salvenartigem Text zu tun. Epochen und Namen werden aneinander gereiht. Sinnvoll, aber auch mal nicht. Der sehr überraschende Moment ist die mir einzig bekannte Attacke auf den Souffleur, die wirklich unglaublich gut gelungen ist. Mirjam Rast verkörpert eine so energetische Roboterfrau Carla, an deren Spiel sich keine*r sattsehen kann. Sie fesselt uns mit ihrem Spiel, egal an welcher Bühnenseite wir Zusehenden gerade sitzen. Mit der Zwischenruferin, verkörpert durch Alexander Angeletta hat sie eine*n unglaublich*e vielseitig*e und dynamische*n Gegenspieler*in auf einer sehr gleichzeitig minimalistischen und imposanten Bühne.
Ansonsten wird viel geschrien, das Publikum einbezogen und mit Wasser und Getränken hantiert und gespritzt. Das Stück lässt alle ratlos, es macht sich aber als Erfahrung doch sehr gut im Gedächtnis breit. Die heimlich belauschten Publikumgsgespräche unter intellektuellen Besucher*innen und auch weniger germanistikaffinen Personen waren allesamt eher im Grundtenor mit verwirrenden Gefühlen ausgestattet. Ein Bilderbuchstück für die Vorstellung von Theater, die manch eine*r hat. Charmanter Tumult im Konzentrat. Schreien, wenig Kleidung, Herumgespritze. Trotzdem: warum nicht einmal hingehen.
Besetzung
Carla, die Roboterfrau Mirjam Rast
Zwischenruferin Alexander Angeletta
Aktivistin Elmira Bahrami
Politiker Ferdinand Lehmann
Sycorax Alexander Angeletta, Ferdinand Lehmann, Elmira Bahrami
Regie Pinar Karabulut
Bühne Bettina Pommer
Kostüme Bettina Werner
Licht Joachim Grindel
Musik Daniel Murena
Dramaturgie Simone Sterr
Termine
Mittwoch, 30. Oktober 2019, 20:00 – 21:30 Uhr
Samstag, 02. November 2019, 20:00 – 21:30 Uhr
Samstag, 09. November 2019, 20:00 – 21:30 Uhr
Sonntag, 01. Dezember 2019, 18:30 – 20:00 Uhr
Renate Strümpel
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