Die klassische Kleinfamilie scheint ein Auslaufmodell zu sein. Die Zahl der Singlehaushalte steigt, immer weniger Frauen wollen Kinder, immer mehr erziehen alleine. Der Abgesang auf diese Stütze der Gesellschaft, diesen Hort von Eintracht und Sicherheit, ist allgegenwärtig.
Die normierte Familie
Doch noch immer gilt das Bild von Vater, Mutter, Kind als großes Ideal. Auch, wer in anderen Verhältnissen aufwächst, bekommt es medial immer wieder vermittelt: Das einzig mögliche Happy End ist die romantische Liebe, gekrönt von Kindern, am besten einem Jungen und einem Mädchen. Andere Lebensformen als die der zufriedenen Kleinfamile gelten weiterhin als defizitär. Allein Lebenden und erst recht allein Erziehenden wird unterstellt, dass auch sie eigentlich das Leben in der Kleinfamilie herbeisehnen, diesen Traum aber gerade nicht leben können. Alleine oder in einer nicht-romantischen Gemeinschaft leben kann man vor, zwischen oder notfalls auch nach Beziehungen. Als dauerhaft angelegter Lebensentwurf taugt das in den Augen vieler aber nicht.
Denn die deutsche Familie ist normiert. In ihr haben Vater, Mutter und Kinder Platz. Aber nicht zu viele Kinder. Zwei. Vielleicht drei. Alles darüber hat schon einen Hauch von „können die nicht aufpassen?“. Lebensformen, die noch weiter von der Norm abweichen, etwa gleichgeschlechtliche Elternteile, keine Kinder, Patchwork-Familien, Single-Haushalte, Alleinerziehende und diverse andere vorstellbare Formen des Zusammenlebens, stoßen oftmals auf Skepsis oder Ablehnung. So harmonisch und erfüllend ein glückliches Familienleben sein kann, so stressig ist die kompromisslose Idee der Traumfamilie für alle, die nicht in einer leben.
Der gesellschaftliche Druck, der auf Allen lastet, deren Lebensentwurf als nicht normal angesehen wird, ist enorm. Wer Single ist, sieht sich häufigen Fragen nach dem „warum“ und „wie lange denn noch“ ausgesetzt. Da kommt man schon mal ins Grübeln, ob man mit dem Leben alleine wirklich so zufrieden ist, wie man glaubt. Wäre es nicht doch einfacher und harmonischer im sicheren Familienhafen?
Die Kleinfamilie rechnet sich
Sicher ist die Kleinfamilie in erster Linie für den Sozialstaat. Neben Liebe und Harmonie geht es in diesem Konstrukt nämlich vor allem um Versorgung. Gesetzlich ist strikt geregelt, wer zahlen muss, wenn Familienmitglieder arbeitslos, berufsunfähig oder pflegebedürftig werden. Oft werden in diesen Fällen erst mal die nächsten Verwandten zur Kasse gebeten. Gut, wenn es sie gibt. Bei gestrauchelten Singles hingegen muss ganz schnell die Allgemeinheit die Kosten für die Unwägbarkeiten des Lebens tragen. Die Idee der Kleinfamilie ist weder ein universelles Konzept noch eine historische Notwendigkeit. In vielen Gesellschaften war und ist es normal, dass Kinder mit mehr als zwei erwachsenen Bezugspersonen aufwachsen, dass Nachbarn, Paten und entferntere Verwandte ganz selbstverständlich Teil des Aufwachsens und der Erziehung sind. Und ebenso des sozialen Auffangnetzes, sollte es mal nötig werden.
Das heutige Ideal eines versorgenden Vaters und einer umsorgenden Mutter war vor allem eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Mit der Trennung von Wohn- und Arbeitsraum wurde es unumgänglich, dass eine Person bei den Kindern blieb, während die andere Person arbeiten ging. Das passende Konstrukt um „Natürlichkeit“ und „wahre Mutterliebe“ war schnell geschaffen.
Frauen, die jetzt noch arbeiten wollten, galten als selbstsüchtig und schlechte Mütter. Das Versorgermodell hat bis heute Hochkonjunktur und bringt Frauen schnell in eine äußerst unbequeme Situation. So stabil, wie die lächelnde Werbeblock-Familie von Tütensuppe bis Geländewagen uns glauben macht, ist das Familienglück nämlich bei weitem nicht.
Wer verliert bei Vater-Mutter-Kind?
Bei einer Scheidungsquote von derzeit knapp 33% ist es leider kein unrealistisches Szenario, dass frau plötzlich wieder auf sich alleine gestellt ist. Wer sich über mehrere Jahre ausschließlich um die Familie gekümmert hat, wird es schwer haben, einen guten Neustart im Berufsleben zu finden, von Rentenansprüchen mal ganz zu schweigen. In fast keinem anderen europäischen Land arbeiten Frauen so wenig wie in Deutschland. In keiner Altersgruppe liegt die Zahl der in Vollzeit arbeitenden Frauen deutlich über 50%. Bei den Männern hingegen arbeiten 80% in Vollzeit und das fast das gesamte Erwerbsleben lang.
Nun ist eine Vollzeittätigkeit natürlich nicht für jede der Schlüssel zum Glück, aber vielen Frauen ist es auch schlicht nicht möglich, Lohnarbeit in großem Umfang zu leisten. 65% der Frauen geben an, dass sie in Teilzeit arbeiten um sich „Haushalt, Kindererziehung oder Pflege“ widmen zu können. Die Zeit, die ihnen auf der Gehaltsabrechnung fehlt, steckt also nicht in Yogakursen, Waldspaziergängen und anderen Wegen der Selbstentfaltung, sondern in unbezahlter Sorgearbeit, die sie vor und nach Feierabend leisten. So lange sich nichts daran ändert, dass gerade Mütter häufig zurückstecken und ihre eigenständige
finanzielle Sicherheit opfern, ist das „klassische“ Familienleben für sie eben auch mit besonderen Risiken verbunden. Um das zu ändern, bedarf es politischer Maßnahmen und einer Rente, die auch Zeiten unbezahlter Arbeit berücksichtigt, vor allem wenn diese in einem ganz erheblichen Umfang geleistet wird.
Es braucht aber auch eine größere gesellschaftliche Offenheit für Modelle, die eben anders sind. In vielen anderen Bereichen gibt es eine begrüßenswerte Sensibilität, darauf zu achten, dass in Büchern, Filmen und auch in der Werbung möglichst unterschiedliche Menschen gezeigt und positiv besetzt werden. Aber die Familie? Die sitzt heterosexuell, ordentlich angezogen und gut gelaunt am Frühstückstisch. In der medialen Hochglanz-Welt ist kein Platz für gesellschaftliche Experimente. Wer vom Pfad abweicht, muss sich wieder und wieder rechtfertigen und nicht selten auch gegen den unterschwelligen Vorwurf angehen, im Kern versagt zu haben. Denn wer kann schon ernsthaft etwas anderes wollen, als für immer Vater-Mutter-Kind spielen?
Quellen:
Bundesagentur für Arbeit: Sozialversicherungspflichtig beschäftigte Frauen in Deutschland in den Jahren 1999, 2009 und 2018 nach Arbeitszeiten. Statista GmbH, 30. April 2019
OECD (2107): „Verteilung von Erwerbsarbeit und Erwerbseinkommen in Paaren mit Kindern“ in Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf. OECD Publishing, Paris
Marion
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