Auf einem derben Setting zwischen riesigen Maschinen wird tief gegraben: Studio Urbanistan präsentiert am 29. und 30.09.2023 auf der Brachfläche im Kornquartier das audiovisuelle Ballettstück BAGGERN über Mutterschaft.
Wann:
Freitag 29.9.2023 / 17:30 / Mit Publikumsgespräch
Samstag 30.9.2023 / 14:30 / Mit Kinderbetreuung durch Jokes die Circusschule
Samstag 30.9.2023 / 17:30
Externer Spielort: Brachfläche im Kornquartier / Zuschauer*innenbereich: Parkplatz Volkmannstraße 10 (Bezirkssportanlage Süd), 28201 Bremen
„Konstrukte von Mutterschaft, Momente der Überforderung, unsichtbare Care-Arbeit und Kämpfe um Vereinbarkeit und Geschlechtergerechtigkeit huschen in O-Tönen über die Brache. Ungehörte Stimmen werden laut: Von Schichtarbeiterinnen, Selbstständigen und Vollzeitmüttern aus Ost- und Westdeutschland, aus der Stadt und vom Land, jung und alt, alleinerziehend und im Patchwork. Was ändert sich eigentlich, wenn man Kinder bekommt? Die Bagger machen stoisch ihre Arbeit, die »Mütter« darin dürfen ihre Wut mit Wucht rauslassen, aber auch schweigen und singen. Währenddessen streift das Publikum mit Kopfhörern um die Absperrungen.“ – Schwankhalle Bremen
Wir haben im Vorfeld mit Julia Lehmann und Clara Minckwitz von Studio Urbanistan gesprochen:
Bagger sind Teil des urbanen Raumes, im Theater oder in Performances sieht man sie seltener. Wie kam es zu der Idee, für Eure Auseinandersetzung mit Care-Arbeit mit Baggern zu arbeiten?
Uns hat die vermeintliche Gegensätzlichkeit der Bilder gereizt: Schwere Maschinen im Gegensatz zum Bild der warmen, liebevollen Mutterbrust. Aber auch die Momente der Gleichsetzung von schwerer Lohn- und Care-Arbeit finden wir spannend: Die Bagger haben in diesem Sinne etwas Symbolhaftes, denn Care-Arbeit hat sich vor allem in der Coronazeit wie schwere Arbeit angefühlt, ein bisschen, wie in einem Bagger mit zu wenig Armen und zu viel zu bewegender Erde zu sitzen. Die Bagger und der Umgang damit im Rahmen der Performance wecken viele Assoziationen und wir sind gespannt, welche Gedanken das Bremer Publikum dazu hat.
»Konstrukte von Mutterschaft, Momente der Überforderung, unsichtbare Care-Arbeit und Kämpfe um Vereinbarkeit und Geschlechtergerechtigkeit huschen in O-Tönen über die Brache. Ungehörte Stimmen werden laut …« heißt es im Ankündigungstext. Erwarten das Publikum hauptsächlich wütende Gefühle oder kann sich eine auf Lichtblicke gefasst machen?
Ausgangspunkt des Projektes sind persönliche Erfahrungen und Geschichten des Eltern- und »Mutter«seins, die sonst wenig Platz im Alltäglichen haben, über die wenig geredet wird, über die es vielleicht auch nicht immer einfach ist zu sprechen. Diesen wollten wir einen Raum geben, sie aussprechen, um zu empowern und sich von Erwartungshaltungen ein Stück weit freimachen zu können und gesellschaftliche Probleme sichtbar zu machen. Dabei spielt Wut eine große Rolle, aber natürlich gibt es auch viele andere Gefühle, die hör- und sichtbar werden, ohne zu relativieren. Ein allumfassendes Lösungsrezept können wir nicht bieten, aber Mut möchten wir geben, Elternsein auch abseits der Normen so zu gestalten, wie es für einen selbst gut ist und gemeinsam unseren Umgang und unsere Verantwortung mit und für Kinder und sorgende Personen in unserer Gesellschaft zu überdenken.
Eure Premiere hattet ihr im Juli diesen Jahres in Leipzig. Wie waren die Reaktionen des Publikums auf diese außergewöhnliche Performance?
Es gab sehr viele positive Rückmeldungen. Viele Menschen waren auf ganz unterschiedliche Weise berührt, obwohl die Performance ästhetisch und inhaltlich sehr unterschiedlich gedeutet wurde. Was uns besonders gefreut hat, war, dass BAGGERN sowohl Kinderlose als auch Menschen mit Kindern angesprochen hat. Es hat sich auf jeden Fall gezeigt, dass das Thema sehr viele Anknüpfungspunkte bietet, weil es so komplex ist und sich darin so viele gesellschaftliche Diskurse und Problemlagen kristallisieren.
Ihr sammelt ja gerade Sprachnachrichten aus Bremen, die in ein per Telefon erreichbares Audio-Archiv einfließen. Habt ihr schon einen Überblick, ob es regional verschiedene Themen und Schwerpunkte in den gesammelten Nachrichten gibt?
Dazu können wir im Moment leider noch nichts sagen, auch weil die Nachrichten generell anonym und meist ohne Wohnortangabe bei uns eingehen. Insgesamt sind uns während des Projektes aber schon Unterschiede zwischen unterschiedlichen Sozialisierungen in z.B. Ost und West, Stadt und Land aufgefallen. Das zeigt sich häufig daran, an welchen Erwartungen und/oder Herausforderungen sich (meist weiblich gelesene) Elternteile abarbeiten (müssen). Gerne könnt ihr eure Gedanken per Sprachnachricht über Insta @studio_urbanistan, info@studiourbanistan.de oder unter der Nummer 0151 61 024 042 mit uns teilen. Wer bereits jetzt hören möchte, was andere dazu gesagt haben, kann dies unter 0341 463 688 41 tun.
Für »Baggern« habt ihr die Geschichten von Müttern, Elternteilen und Sorgetragenden gesammelt. Gibt es Erzählungen, die Euch besonders beeindruckt haben oder Euch besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Jedes der zahlreichen Interviews mit Frauen* aus ganz Deutschland und unterschiedlichen Backgrounds war auf seine Weise individuell und meistens auch sehr emotional. Oft blieb das Gefühl zurück, dass sich Frauen aufgrund ihrer Gebärfähigkeit ab einem bestimmten Punkt nicht frei entscheiden können oder nur gegen Widerstände. Das hat uns sehr beschäftigt. Es ist ein sehr intimes Thema und hat gleichzeitig eine so politische Dimension, das spiegelt sich auch in den einzelnen Geschichten wider, zum Beispiel wenn die Frau dann doch länger zu Hause bei dem Kind bleibt, obwohl sie sogar die Besserverdienende wäre.
Besonders in Erinnerung geblieben sind uns zudem die Erfahrungen von Menschen außerhalb unseres eigenen Kontextes. Was bedeutet es zum Beispiel in einem Dorf in Bayern vor etlichen Jahrzehnten, die Kinder neben der Arbeit als Bäuerin großzuziehen, oder als Alleinerziehende in der DDR, oder als Pflegende im Schichtdienst? Die Herausforderungen, mit denen Frauen* zu kämpfen haben, sind individuell und doch einfach (immer noch) unglaublich.
Was sollten Zuschauende vor dem Besuch der Performance »Baggern« wissen? (Zuschauende schlendern im Stück um die Absperrungen? Schuhwerk? Was ist bei Regen? Und so weiter…)
Das Publikum schaut von einem Parkplatz am Rande einer Brache auf das Geschehen, der ebenerdig mit aller Art von Schuhen zugänglich ist. Die gute Nachricht ist auch: Es wird Sitzplätze für alle Zuschauenden geben. Da das Ganze aber unter freiem Himmel stattfindet, ist wettergerechte Kleidung natürlich von Vorteil! Wir haben aber gehört, dass das Bremer Publikum da nicht zimperlich ist. Bei dauerhaftem Starkregen sind wir leider machtlos, also wünscht uns Glück!
Was kommt nach Baggern? Kettensägen oder mal etwas Leises? Gibt es neue Ideen für Projekte im urbanen Raum?
Kettensägen? Gute Idee! Für nächstes Jahr ist aber eine »leisere« Umsetzung geplant, auch wenn es um ein »lautes« Thema geht: In Koproduktion mit LOFFT – DAS THEATER werden wir an einer Performance über Kriegserfahrungen, deren Platz, deren Sagbarkeit und deren (Un-)sichtbarkeit in unserer Gesellschaft arbeiten. Schauplatz soll eine Musterhaussiedlung sein.
Team frauenseiten
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