Das Opfer der Frauen, oder: Der Beginn einer feministischen Massenbewegung
Wie bei zahlreichen anderen politischen Protestbewegungen der jüngeren Vergangenheit offenbaren die Bilder, die uns über die Massenmedien erreichen, das weibliche Gesicht der Revolution in Belarus.
“Belarus – jana maja. Belarus ist weiblich. Eine Plakatlosung setzt ein Statement. Auf Belarusisch formuliert, betont sie einerseits das grammatische Geschlecht des Toponyms. Andererseits und vielmehr wird damit das weibliche Gesicht des Widerstandes skizziert: Im Vordergrund das junge, weibliche Trio, das den amtierenden, für seine patriarchalen Ansichten bekannten Langzeitpräsidenten in der Wahlkampagne herausforderte. Gefolgt von Frauen, die nach dem Wahlergebnis und vier Nächten der Gewalt gegen Männer auf die Straße gingen. In Weiß gekleidet, mit Blumen und mitten am Tag stellten sie sich – im starken Kontrast – den schwarz vermummten Polizisten der OMON-Einheit.” – Marina Scharlaj
So der Beginn des Essays der Kulturwissenschaftlerin Marina Scharlaj, der unlängst in der Flugschrift Belarus: Das weibliche Gesicht der Revolution veröffentlicht wurde. Wenngleich die Rede von der Revolution durchaus infrage gestellt werden kann, so sind zwei Punkte doch unumstritten: das Ausmaß und die Kraft der Proteste, die trotz massiver Repressionen seit dem 16. August anhalten. Sie waren anlässlich des Bekanntwerdens massiver Wahlfälschungen zugunsten Lukaschenkos ausgelöst worden und brachten zudem die Wut über willkürliche Verhaftungen und massive Polizeigewalt im Vorfeld der Wahlen, sowie das unzureichende staatliche Reagieren auf die Corona-Pandemie zum Ausdruck. Zum anderen die zentrale Rolle der Frauen in diesen Protesten, deren Beginn mit dem Kandidieren der “Drei Frauen gegen Lukaschenko” markiert wurde, und in deren weiterem Verlauf die Samstagsproteste der Frauen eine zentrale Funktion einnahmen.
Die drei Grazien, oder: Die wahren Siegerinnen der Präsidentschaftswahl
Paradoxerweise könnten gerade tief verankerte Sexismen und ein Präsident, der nicht an den politischen Erfolg von Frauen glaubt, den Weg für das weibliche Gesicht der Protestbewegung geebnet haben. Denn während die aussichtsreichsten männlichen Kandidaten Andrij Barbariko und Sergej Tichanowski im Vorfeld der Wahlen inhaftiert wurden und der unabhängige Kandidat Valerij Cepkalo zum Verlassen des Landes gezwungen wurde, konnten die Kampagnen der medial als “die drei Grazien” belächelten Oppositionellen Swetlana Tichanowskaja, Weronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa, die eigentlich nie Politikerin werden wollten, zunächst reibungslos verlaufen. In der Tat gilt Swetlana Tichanowskaja dabei sogar als die wahre Siegerin der Präsidentschaftswahl. Maria Kolesnikova, die – anders als Zepkalo and Tikhanovskaya – einer Verbannung ins Ausland entkommen war, nachdem sie in einem symbolischen Akt ihren Pass auseinandergerissen hatte und daraufhin inhaftiert wurde, sagte unlängst in einem Interview:
Sieg des Feminismus?
Nach Ansicht der belarussischen Aktivistin Irina Solomatina sei es allerdings zu früh, um einen Sieg des Feminismus zu feiern. So seien feministische oder geschlechtsspezifische Themen wie häusliche Gewalt und Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt beispielswiese kein Thema in den Kampagnen der Oppositionskandidatinnen gewesen:
Auch Marina Scharlaj beklagt eine Identifikation mit „‘femininen‘ Eigenschaften“, die bei „Spaziergängen zur Schau“ gestellt werden und an Figuren wie „inszenierte und romantisierte Bräute“ oder „Mütter“ erinnern. Letztendlich deutet einiges darauf hin, dass es zu früh ist, um ein abschließendes Urteil über die feministische Relevanz der Bewegung und die dabei erkämpften Errungenschaften zu fällen.
Klar sein dürfte allerdings bereits jetzt, dass diese Frauenbewegung – wie Veronika Zepkalo kürzlich in einem Interview sagte –gezeigt hat, dass „auch Frauen ihre politischen Rechte verteidigen können“ und „in die Geschichte eingehen“ wird.“
Nicole Moosmüller
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