Den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden ist erfahrungsgemäß meist nicht realisierbar, jedenfalls nicht konstant. Die meisten neigen dazu, überaus selbstkritisch mit sich umzugehen. Überträgt man dies auf den feministischen Diskurs, wird es interessant. Ich habe bei mir selbst die Beobachtung gemacht, den eigenen Maßstab besonders hoch anzusetzen, wenn es um politischen Ausdruck, geschlechterneutrale Sprache und das äußere Auftreten, was bei der gesamten Debatte nicht ausgeblendet werden darf, geht.
Sind es bloß Haare?
Letzteres hat bei mir persönlich einen ganz besonderen Stellenwert: Vor zwei Jahren rasierte ich mir die langen Haare ab. Ich hatte also eine Glatze. Naja, drei Millimeter um genau zu sein. Es scheint fast offensichtlich, dass, wenn man dies als Cis-Frau tut (bewusst betone ich hier Cis-Frau, da ich nur von meiner persönlichen Erfahrung sprechen kann), sich vorerst einige Reaktionen des privaten, wie auch weiterem Umfeld nicht vermeiden lassen. Und vor allem die nach einiger Zeit so nervige Frage des „Warum?“. Dies ist auch okay. Irgendwie. Doch einer Frage musste ich mich in dieser Zeit, jedenfalls nach außen hin, nicht stellen: „Bin ich Feministin?“, denn mein Umfeld nahm dies ohnehin an, und so begriff ich mich schließlich auch.
Das erscheint vorerst als oberflächlich. Was hat das Abrasieren von Haaren mit Feminismus zu tun? Eigentlich gar nichts. Doch ich bemerkte in dieser Periode zunehmend die Anerkennung anderer, natürlich nicht immer positiv, aber immerhin, ich wurde gesehen und die Message war eindeutig: „Ich habe keine Lust auf eure Schönheitskonventionen. Ist mir egal.“ Auch in der Szene, in der ich mich aufhalte, scheint das Abrasieren wie ein Erkennungsmerkmal zu fungieren. Und es funktioniert. Man gibt der anderen innerlich recht, erteilt ihr Zuspruch und gesteht einander Solidarität zu, nach dem Motto „Ich weiß was du durchmachst.“
Wer ist Feministin?
Es klingt irrwitzig, aber zwei Jahre später, mit nachgewachsenen Haaren, verspüre ich vermehrt das Bedürfnis wieder dazuzugehören. Es schien offensichtlich, dass ich Feministin war, ich musste nicht viel dafür tun. Sicherlich ist diese Beschreibung zugespitzt, aber ich versuche auf etwas hinzuweisen, welches oft im öffentlich geführten Diskurs untergeht. Frauen, die geschminkt, rasiert, mit langem Haar, kurz, der weiblichen Schönheitsno
rm zugeordnet werden, sind oftmals von Debatten ausgeschlossen, manchmal bewusst, manchmal unbewusst.
Diesen Mechanismus habe ich selber bei mir beobachten können. Da schien sich eine Kluft aufzutun, zwischen denen, die sich diesen vermeintlichen Idealen eben unterwerfen, und jenen, die es eben nicht tun. Und das ist nicht fair. Für niemanden, und vor allem ist es nicht progressiv, wo man doch eigentlich das gleiche verfolgt und zusammenstehen möchte.
Was bleibt?
Die Frage, ob frau feministisch genug sei, sollte sich daher auflösen. Stattdessen muss sie sich wieder auf das besinnen, worum es geht: Eine Gesellschaft ohne Ausschluss und mit der Freiheit, die sich jede*r wünscht, mit kurzen oder langen Haaren.
Sarah A.
Schreibe einen Kommentar