Birgit Kelle, umstrittene Autorin, hielt am Montagabend, den 28.November, einen Vortrag zu „Gender-Verrücktheit“. Der Bremer Presse-Club bot im Schnoor seine Räumlichkeiten an und Jens Eckhoff führte durch die CDU-Veranstaltung. Frau Kelle, wie Eckhoff CDU-Mitglied, kritisiert öffentlich den heutigen Feminismus und die Genderbewegung. Die Proteste sind aus diesen und anderen Gründen enorm.
Gleich nach der Begrüßung unterbrachen Kelle-Kritiker*innen lautstark die Veranstaltung. Etwa 20 bis 25 Personen protestierten im Raum mit Pfeifen, Klatschen und Sprechchören, bevor Frau Kelle zu Wort kommen konnte. Konfetti, Glitzer und farbige Flugblätter flogen durch die Luft während für Feminismus und Antifaschismus ausgerufen wurde. Nachdem die Protestierenden vom Sicherheitsdienst und einzelnen CDU-Männern herausbefördert wurden, fanden die Proteste vor dem Raum statt. Birgit Kelle konnte nun ihren Vortrag beginnen, aber die Demonstrant*innen hörte man noch bis die Polizei nach 30 Minuten eintraf.
Es geht um mehr als provokante Thesen
Diesen Protest konnte Birgit Kelle nutzen, um zu zeigen, wie sehr gegen sie gehetzt anstatt mit ihr gesprochen werde. Frau Kelle verstand offenbar die Gründe der Proteste nicht. Sie sagte: „Die draußen glauben für Feminismus zu kämpfen. Das sind die, die zu mir sagen, ich sei nicht tolerant!“ Der Grund für die Aufruhr im Saal war aber nicht nur, dass es den Demonstrant*innen nicht gefällt, dass Birgit Kelle sich gegen Feminismus ausspricht. Die Liste an Kritik ist viel länger. Frau Kelle wird Sexismus, Homophobie, Rape-Culture-Argumentation und eine inhaltliche Nähe zu rechtsextremistischer Politik und der populistischen AfD vorgeworfen. Während einige Demonstrant*innen in der Veranstaltung blieben und ihre Kritik an Birgit Kelle durch Reaktionen und Fragen äußerten, ging es anderen nicht darum mit Frau Kelle über ihre Thesen zu diskutierten. Sie kritisierten durch Protest, dass der Autorin überhaupt ein Forum geboten wird. „Mit dieser Einladung von Birgit Kelle macht die CDU rechte Positionen gesellschaftsfähig“, liest sich auf den bunten Flugblättern.
Birgit Kelles Vortrag
Birgit Kelle trägt zunächst vor, was sie an der feministischen Szene und der Genderbewegung stört. Sie beschreibt Vorurteile und negative Reaktionen auf Frauen und Mütter, die als Hausfrauen arbeiten. Sie kritisiert, dass unter Frauen oft kein Zusammenhalt da ist und Gender-Mainstreaming nicht offen diskutiert, sondern einfach übernommen wird. Dafür erntet sie viel Beifall. Sie sieht das Problem der geringeren Bezahlung von Frauen außerdem bei denen selbst. Sie sollten doch einfach mehr fordern. Bestimmte Eigenschaften seien außerdem angeboren und Frauen daher in Bewerbungsgesprächen schüchterner und Männer dafür aggressiver. Ihre eigene Tochter beschreibt sie allerdings als extrem selbstbewusst, weswegen aus dem Publikum die Frage ertönt: „Was haben Sie mit ihrer Tochter gemacht, dass sie kein schüchternes Reh ist?“ Ich halte die Frage für berechtigt. Frau Kelle nicht.
Soziologie ist keine Wissenschaft?
Am meisten Kritik erntet Frau Kelle später in der Fragerunde durch ihre negativen Aussagen über Geistes- und Sozialwissenschaften. Sie wünscht sich einen „Austausch unter Wissenschaftlern, nicht Soziologen!“ Sie versichert sie habe Toleranz und Respekt vor manchen (!) Inhalten der Gendertheorie. Doch sie erklärt nicht, welche Inhalte das genau sind. Und sie macht sich durchweg über Genderregelungen und Gender Studies lächerlich. Zweimal fragt sie, warum denn für eine Frauenquote, beispielsweise bei Podiumsdiskussion, gefordert wird, wenn Frauen und Männer doch gleich wären. Dieser Kommentar zeigt, dass sie das Grundprinzip von Gender Studies entweder nicht verstanden hat oder nicht verstehen möchte.
Zum Glück macht die CDU mit..
Kritiker*innen erkennen an Kelles Argumentation, dass sie viele Begriffe durcheinander benutzt, um ihren „Gender-Gaga“ zu unterstreichen. Manchmal macht sie nicht klar, ob sie von der Wissenschaft Gender Studies, von der generellen Genderbewegung oder vom Gender-Mainstreaming spricht. Außerdem lenkt sie von Fragen ab, schwenkt beispielsweise bei einer Frage über Transsexuelle zu Kindern und zu denen „da draußen“. Sie vergleicht Anglizismen als Sprachwandel mit gegenderter Sprache. Eine Doktorandin der Universität Bremen möchte, dass Frau Kelle „Gender“ doch einmal definiere, nachdem diese nur über die Unwissenheit und verschiedenen Auslegungen von Gender geklagt hatte. Eine andere Frau möchte Frau Kelles Position zur AfD erfahren. Diese antwortet, dass sie sich bewusst gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD entschieden habe. Dann lenkt sie aber ein, dass das Thema zum Glück in der CDU aufgenommen wurde. Was wäre, wenn die CDU das nicht getan hätte?
Die fehlender Perspektive
Es würde zu lange dauern, alle Themen anzusprechen, die Frau Kelle erwähnt hat. Ich habe versucht, einige ihrer häufigsten Argumente und die Gegenkritik aufzuzeigen. Ihr wurde auch noch Populismus vorgeworfen, indem sie falsche Zahlen zum Gender Pay Gap nenne. Die meiste konstruktive Kritik aus dem Publikum scheint von Frauen zu sein, die sich mit Gender Studies und den Begriffen auskennen und diese verteidigen. Denen fällt Kelles Einseitigkeit und Unwissen auf. Es ist deutlich, dass Frau Kelle eine konservative Frau ist. Und das ist ja auch ok. Sie zeigt aber offen, dass ihr Veränderungen in Richtung tolerantere, buntere und offenere Gesellschaft missfallen.
Sie betont zwar immer wieder ihre Toleranz, denn „alle sollen machen und leben wie sie wollen“, aber sie möchte nicht „dem Druck der Minderheiten nachgeben“, denn sonst „nennt man das Diktatur“.
Was ist mit den Menschen, die sich nicht in den Kategorien biologische Frau = feminin, oder biologischer Mann = maskulin wiederfinden? Denn genau darum geht es in der Genderbewegung. Nicht nur darum, dass es Ungerechtigkeiten und sexuelle Vielfalt gibt. Sondern auch schlicht und ergreifend darum, dass es in unserer Gesellschaft eine vorherrschende Meinung darüber gibt, wie sich Frauen und Männer zu kleiden und zu verhalten haben.
Genau das sind diese sozialisierten Merkmale, die Frau Kelle für angeboren hält. Und genau da bedarf es Aufklärung, Offenheit und Veränderung in den Köpfen, den Medien, der Mode- und Spielzeugindustrie und vielem mehr. Rosa für Mädchen, blau für Jungs? Frauen als Sekretärinnen und Männer als Geschäftsführer? Nach Frau Kelle, ja. Wir sollen die Unterschiede zwischen Mann und Frau doch bitte einfach so hinnehmen, meint sie. Und vor allem: Frauen mögen aufhören zu jammern und selbst Veränderungen in die Hand nehmen. Wobei, eigentlich mit Männern zusammen, denn ohne die ginge es nicht…
Zwei Seiten
Birgit Kelles Kritik an Frauen- und Familienpolitik ist legitim, denn Hausfrauen sollten nicht unterstellt werden, sie wären gefangen. Ich kann auch verstehen, warum sie bei der Genderbewegung nicht so durchblickt. Es ist ein komplexes Thema mit vielen Verzweigungen und unterschiedlichen Positionen. Aber Unisextoiletten für schwachsinnig erklären und Gewalt an Frauen als reines Gewaltthema abzutun, finde ich dramatisch. Frauen sind häufiger Opfer von Gewalt, Sexismus und Unterdrückung als Männer. Das macht es zu einer Genderfrage, auch wenn Birgit Kelle das nicht so sieht. Die Gendersensibilisierung ist aber noch viel mehr! Nicht jede Person kann und muss jede Form von sozialem Geschlecht, sexueller Orientierung oder sexueller Identität kennen. Aber man sollte wissen, dass es da eine Vielfalt gibt und dass unsere Gesellschaft in vielen Dingen noch zu sehr im Mann-Frau-Schema denkt. Die Tatsache, dass Ministerien, Arbeitgeber*innen, Schulen und Universitäten sich damit beschäftigen und Veränderungen annehmen, zeigt ein Bewusstsein und Verständnis auf verschiedenen Ebenen. Frau Kelle fühlt sich da übergangen und meint, dass ihre Sorgen nicht ernstgenommen werden. Das ist verständlich. Aber wie ich bereits in einem anderen Artikel zu Fortschritt in Gesellschaft und Politik gesagt habe: Den einen geht es immer zu schnell und den anderen nicht schnell genug.
Ich verstehe auch die Protestierenden, die Kelles Meinung nicht teilen und einige ihrer Positionen auf Schärfste kritisieren. Die Veranstaltung hat gezeigt, dass Frau Kelle die Bühne gegeben wird, sich ausführlich für und gegen alles Mögliche auszusprechen, oder von Fragen abzulenken. Sie möchte eine Diskussion statt einer Demonstration, aber eine richtige Diskussion war das nicht, sondern eher ein Frage-Antwort-Spiel. Am Ende der Veranstaltung wird gewarnt, dass vor dem Haus noch Demonstrierende stehen könnten, zum Schutz sei die Polizei aber auch noch da. Als ich rauskomme, sehe ich nur sechs junge Menschen mit Bannern, die mich freundlich fragen, ob ich Glitzer möchte.
Tabea Georgi
https://www.youtube.com/watch?v=TmoAa3fgFS8
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