Bremen hat eine neue Popularmusikbeauftragte in der Person von Andrea Rothaug. Seit März 2021 kümmern sie und ihr Team sich sich im Namen der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa um den Aufbau eines Kompetenzzentrums für Popularmusik in Bremen. Die Wahlhamburgerin kennt Bremen schon aus ihrer Punkzeit und wird jetzt wichtige Netze für die Bremer Musikwirtschaft knüpfen. Wir sprachen mit ihr über das Projekt und die Situation in Bremen.
Herzlich willkommen in Bremen, Frau Rothaug. Mit welchem Song sind Sie in den Tag gestartet?
„Ich bin mit dem Song „Sometimes it snows in April“ von Prince in den Tag gestartet. Das ist ein sehr schönes Stück zum Tagesstart, passend zum eigenwilligen Aprilwetter.“
Wie würden Sie ihre aktuelle Position bei der Wirtschaftssenatorin beschreiben?
„Ich starte als Beauftragte für Musik und Popkultur hier in Bremen mit einer sehr spannenden Aufgabe. Hier kann ich meine langjährigen Erfahrungen aus Popkultur und Musikszene, Musikwirtschaft, aber auch Veranstaltungs- und Digitalwirtschaft bündeln und einbringen, ich gründe und entwickle gern Netzwerke und bringe Menschen zusammen. Ich bin dankbar für das Vertrauen, das Bremen mir entgegenbringt, aber auch für die Möglichkeit, eine spannende und effektive Anlaufstelle für Bremen und Bremerhaven aufzubauen.“
Was macht die Bremer Musikszene aus, Charakteristika, die besonders für das Land Bremen sind? Gibt es Parallelen zu Hamburg?
„Ich arbeite punktuell seit 2010 immer wieder mal für Bremen, ob in der Musikjury der Kulturbehörde oder als Artist Development Coach. Ich habe gemeinsam mit der Initiative Musik auch schon strukturell mitgewirkt. Für mich ist die Bremer Musikszene mit ihren vielen Veranstalter_innnen, ihren starken Vereinen und Institutionen immer spannend gewesen. Ich mag die Stadt und die Leute einfach. Ich war viel in Bremen als junges Punkmädchen und als Tourmanagerin, habe Freund*innen hier und lustigerweise meine Zahnärztin. Viele Musik-Akteur*innen sind mir aber auch durch die Popförderung auf Bundesebene bekannt, z.B. Livekomm, Initiative Musik, Landesmusikrat, Studio Nord, und andere.
Im Städtevergleich haben Hamburg und Bremen nicht nur Weser und Elbe oder die beiden erfolgreichsten Fußballvereine in Norddeutschland Werder Bremen und HSV als Parallele. Auch musikalisch haben Bremen und Bremerhaven einiges zu bieten: Große Veranstaltende, wichtige Festivals, aber auch Radio Bremen, RTL Nord und andere. Es gibt strukturelle und mentale Parallelen zu Hamburg. Auch die Clubszene hier in Bremen ist recht dicht. Man sagt ja gerne: Hamburg hat die Beatles und Bremen den Beat Club. Doch es gibt recht wenig Verlage, Labels und Vertriebe, viele Nanoselbständige und die Strukturförderung für Musiker_innen und DJs kann Hilfe gebrauchen.
Fast die Hälfte der Beschäftigten der Branche ist geringfügig oder nanobeschäftigt. Sie gehören auf künstler_ischer Ebene zu den sogenannten Selbstvermarktenden und Einzelunternehmenden. Gerade in diesem Bereich benötigen wir gezielte Hilfen und Maßnahmen, Strukturen, die nachhaltig wirken, für Bands, Musiker*innen, DJs, Produzent*innen und viele, viele andere, damit Bands in Bremen groß werden und den jungen Musiker*innen hier im Land eine Struktur geboten wird, die effizient hilft, die berufliche Karriere aufzubauen und in Bremen zu bleiben.“
Wie steht es um die Repräsentanz von weiblich gelesenen Personen in der Bremer Szene?
„Weiblich gelesene Musikschaffende, aber auch BIPOC (Black, Indigenous and People of Color) haben es leider auch in Bremen nicht leicht, in der Branche Fuß zu fassen. Hier ist viel Luft nach oben. Die Musikbranche ist gerade da, wo gutes Geld verdient wird und männlich gelesene Personen wichtige Gatekeeper sind, sehr Testosteron-dominiert. Deshalb bilden sich ja auch so viele Netzwerke, wie Music Women* Germany, Keychange, und andere, die hier ansetzen. Wir alle haben ein Recht auf gemischte Teams und darauf, dass unsere Schwestern genau soviel verdienen wie ihre Brüder. Seit der Pandemie ist dieses Ziel jedoch wieder in die Ferne gerückt. CORONA verschärft jede Schieflage, auch den niedrigen Anteil von Frauen* in der Musik.
Verschiedene Bremer Player*innen, wie den Internationalen Arbeitskreis Frauen und Musik e.V., das Bremer Frauenmuseum und andere sind am Start. Bremen Eins hat zum Internationalen Frauentag eine schöne kleine Übersicht zu Frauen aus der Musik gegeben – allerdings war keine Musikerin* aus Bremen dabei, kaum eine aus Deutschland. Die Ausrichtung meiner Arbeit orientiert sich an ihrer Effektivität und Modernität, aber eben auch an einer diversen Sichtweise, die durch Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und Inklusion gewährleistet wird. Wir wollen auf dieser Grundlage zukünftig auch Strukturen für Bremer und Bremerhavener Musikfrauen* schaffen. Unser Bundesverband Music Women* Germany kann hierbei Support auf Bundesebene bieten. Als Dach der Musikfrauen* und ihrer Netzwerke in Deutschland kann hier auch eine regionale Initiative der MW*G initiiert werden.“
Ist Keychange ein mögliches Modell für Bremer Bühnen?
„Keychange ist ein globales Netzwerk, das sich seit 2017 mit dem globalen Thema Gender Gap in der Musikbranche beschäftigt. Gegründet vom Reeperbahnfestival, agiert Keychange mit den verschiedensten Aktivitäten, um Musikfrauen* zu supporten und ein Augenmerk auf diese Problematik zu setzen. Die 50:50-Pledge-Kampagne, Coachingprogramme, aber auch die neue Studie, bei der wir ebenfalls mitwirken, sind Schritte in die richtige Richtung.
Mehr Gleichberechtigung auf Bühnen, in Konzerthäusern, in Clubs und nicht nur auf Festivals zu bekommen, ist existenziell in einer Branche, die vom Live-Geschäft lebt. Wir brauchen Präsenz, Zahlen, Fakten, Qualifikation, Botschafterinnen*, Mentoring und Empowerment. Deshalb haben wir eine Datenbank für alle Musikfrauen* aus der Branche gebaut, eine Jobbörse, machen Meet-ups und Workshops und bald mehr. In Deutschland sind für mich die Music Women* Germany die ergänzende Initiative aus Deutschland, die übrigens auch eine Quote fordert: 50 Prozent männliche Personen sind doch eigentlich genug.“
Weibliche Bühnenpräsenz verändert die eigene Wahrnehmung von Frauen.
„Kar, da wo Frauen* arbeiten, wachsen mehr Frauen* nach und umgekehrt. Wir brauchen Rolemodels, bestes Wissen, andere, auch agile Arbeitsmöglichkeiten und eine Treibhaus-Atmosphäre, in der junge Musikfrauen* wachsen können. Auch Männer wünschen sich zunehmend mehr Mixed Teams, da es sich wirtschaftlich für die Betriebe auszahlt.“
Wer kann sich an das Bremer Kompetenzzentrum für Popularmusik wenden?
„Ich bin zu Mitte März gestartet und treffe mich zurzeit mit sehr vielen Bremer Akteur*innen, denn wir brauchen Input und Meinungen von diversen Menschen aus diversen Perspektiven, wenn wir morgen noch kraftvoll zubeißen wollen. Mich interessieren besonders Menschen, die einen Unterschied machen, denn heute ist die spannende Frage ja nicht mehr „Was lasse ich mir erzählen?“, sondern „Von wem lasse ich mir etwas erzählen?“. Nach Sichtung des Inputs werden wir Maßnahmen und Ziele passgenau entwickeln, immer im bundesweiten Abgleich der Projektarchitektur. Durch meine Zeit als Präsidentin des Bundesverbands für Popularmusik habe ich Einblick erhalten dürfen, was es an spannenden Formaten in den Bundesländern gibt, hiervon können Bremen und Bremerhaven profitieren. Natürlich wird es ebenfalls Runden mit Politik, Branche und Akteur*innen aus Bremen und Bremerhaven geben. Momentan sind wir noch in der Entwicklung, aber jede/r kann sich per Mail an mich wenden. Auch die Stimmen von Personen, die vielleicht in der Vergangenheit gar nicht gehört wurden, wenn es um das Thema Musikwirtschaft in Bremerhaven und Bremen geht, sind spannend für unser Büro und herzlich eingeladen, mit uns Kontakt aufzunehmen.“
Welche Rolle spielt die Subkultur, spielen die einzelnen Stimmen aus der Szene?
„Die einzelnen Stimmen sowie die Mainstream- aber auch Subkulturen spielen eine große Rolle, ohne subkulturelle, freie und Off-Szene keine großen Themen. Aus dem Experiment entstehen große Erfolge, das müssen wir jeden Tag wieder wagen. Deshalb gehören unterschiedliche Sichtweisen von unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Kontexten und Kulturen dringend in die Entscheidungsfindung dazu.“
Gibt es schon konkrete Ideen für die Umsetzung?
„Ich habe zwar erst vor vier Wochen begonnen, aber zunächst stehen die Gespräche mit den Akteur_innen aus den Musikszenen auf dem Plan. Parallel entwickele ich das Konzept und diskutiere mit Kolleg_innen aus der Musikbranche. Bekannte Maßnahmen der Popförderung sind ja zum Beispiel Coaching und Beratung, Mentoringprogramme, Stipendien, Residenzprogramme, Projektförderungen oder Musikexport lokaler Bands, und vieles mehr… Für uns gilt es, zu sichten, neu zu denken, auf den Kopf zu stellen, Synergien zu sehen und zu nutzen, und auch mehr aus den vorhandenen Mitteln zu machen, als jetzt vorhanden sind. Im Fokus steht dabei, bestehende Angebote zu stützen und zu stärken. Es ist eine super spannende Aufgabe und ich freue mich sehr darauf.“
Das Interview führte Renate Strümpel
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