In einem Pilotprojekt wendet der Bremer Verfassungsschutz neu entwickelte Methoden aus der Bereich der Computing Science an, um Gruppen auf Facebook und anderen sozialen Medien zu beobachten. Dierk Schittkowski, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz und Michael Adelmund, Soziologe und Analyst, stellten einige der entwickelten Methoden vor.
Die vorgestellten Methoden nutzen speziell entwickelte Algorithmen, um Daten aus öffentlich zugänglichen Facebook Communities zu sammeln und auszuwerten. Dabei wird unter anderem mit dem linguistischen Algorithmus „LEA“ die politische Orientierung und Zweck von Facebookgruppen ausgewertet. So zeigt sich, dass auf rechtspopulistischen oder rechtsextremen Seiten Begriffe wie „Volk“ einen hohen Stellenwert haben und Begriffe wie „Asylant“ mit vermehrten wütenden Reaktionen einhergehen. Auch Überschneidungen von Mitgliederanteilen mit bekannten extremistischen Gruppen lassen sich durch die Methoden überprüfen. Dadurch kann die Nähe von scheinbar nicht extremistischen Gruppen zu Extremist*innen beobachtet werden.
Emotionen von Nutzer*innen werden ausgespielt
Michael Adelmund ging auf die Vorgehensweise von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremist*innen ein. Seiten, die aus diesen Gruppierungen hervorgehen, nutzen einen Effekt der verbindenden Wut aus, die auf die Sorgen und Ängste von User*innen zielt. Es wird auf Emotionalität der User*innen gesetzt. Gleichzeitig verbreiten Rechtspopulist*innen und Extremist*innen dabei diffamierende Stereotype. Dabei geht es nicht bloß um die Verbreitung von „Fake News“, sondern es werden vermehrt wahre Nachrichten verbreitet, die ein Bedrohungsszenario vermitteln sollen. Diese zielen zum Beispiel auf Migrant*innen ab.
Bei der Bildung von Netzwerken und der Verbreitung diffamierender Inhalte spielen die Algorithmen der sozialen Netzwerke den Gruppen in die Hände. Wenn ein*e Nutzer*in durch ihr oder sein Verhalten Interesse an Inhalten zeigt, die auch für Rechtsextremist*innen oder Populist*innen interessant sind, erhält der oder die Nutzer*in Vorschläge von extremistischen Freunden oder Gruppen. Die extremistische Ausrichtung ist dann nicht immer gleich für Nutzer*innen erkennbar. Dadurch verbreiten einige Nutzer*innen unwissentlich extremistische Inhalte. Auch die Radikalisierung von Nutzer*innen fällt Extremist*innen dadurch leichter.
Die Resultate sollen an die Öffentlichkeit weitergeleitet werden
Die Überwachung der sozialen Netzwerke erfüllt für den Verfassungsschutz verschiedene Funktionen. Laut Dierk Schittkowski dient die Auswertung der Daten als „Frühwarnsystem“. Der Verfassungsschutz will so auf für ihn relevante Personen und Gruppen schneller aufmerksam werden. Auch können die so erfassten Daten als Beweismittel für die Strafverfolgung erfasster Personen genutzt werden. Neben diesem Nutzen sollen die Resultate der Überwachung auch für die Öffentlichkeitsarbeit nützlich werden. Nutzer*innen können so auf extremistische Hintergründe von Seiten hingewiesen werden, statt unachtsam ihre Inhalte weiter zu verbreiten oder von ihnen hingerissen zu werden.
Hetze geschieht immer mehr online
Dierk Schittkowski erwähnt, dass für den Verfassungsschutz relevante Personen in der Öffentlichkeit immer vorsichtiger werden. Den Skinhead, der auf der Straße durch seine Kleidung und Symbole offen als Rechtsextremist bekennt, kenne man nicht mehr so. Auch Hasspredigten seien seltener vorgetragen worden. Die Auswertung der sozialen Netzwerke ist daher als eine Reaktion auf „die immer latenter werdenden Formen der Einflussnahme oder Beteiligung von Extremisten“ zu sehen, so die Pressemitteilung des Senats für Inneres. Dierk Schittkowski wies darauf hin, dass zum Beispiel vermehrt Täter aus den letzten Jahren, die Angriffe auf Geflüchtete verübten, vorher nicht dem Verfassungsschutz bekannt waren. Es sei davon auszugehen, dass diese im Internet radikalisiert wurden.
Fortan werden also Personen, die für den Verfassungsschutz relevante Inhalte verbreiten, in dessen Visier geraten. Laut Dierk Schittkowski solle hierbei zwischen Personen unterschieden werden, die bewusst Inhalte verbreiten und die, die dies leichtfertig tun. „Am Ende des Tages werden wir die Spreu vom Weizen trennen,“ so der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz. Das seltene Liken und Teilen von Beiträge wird also wahrscheinlich nicht gleich zur Beobachtung von Personen durch den Verfassungsschutz führen. Aber die Vorgehensweise liegt im Ermessen des Verfassungsschutzes.
In der Vorstellung der Methoden durch Michael Adelmund und Dierk Schittkowski ging es in erster Linie um Rechtsextremist*innen. Allerdings werden die Methoden sicherlich auch zur Beobachtung anderer Gruppen, wie Linksradikaler und Islamist*innen eingesetzt werden. Die vorgestellten Methoden beschränken sich allerdings auf öffentliche Beiträge. Einzelne Personenprofile, geschlossene Freundschaftsgruppen und Foren würden nicht so ausgewertet.
Kathy Hemken
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