
Katja Oskamps Roman „Die vorletzte Frau“ habe ich in einer Nacht geradezu aufgesogen. Das Buch erschien für mich im Sommer 2024 genau zum richtigen Zeitpunkt, als ich mich in einen älteren Mann verliebte. Statt mich nur selbst dazu zu befragen und meinen feministischen Anspruch an meine Beziehungen in Bezug auf mein Begehren zu prüfen, konnte ich Antworten in der Geschichte der autobiographischen Ich-Erzählerin und des 19 Jahre älteren Tosch finden.
Schonungslose Ehrlichkeit
„Wir begleiteten unser Sexualleben verbaltheoretisch.“, schreibt Katja Oskamp und setzt damit den Ton für ihre Erzählung. Die größte Stärke des Buchs ist seine schonungslose Ehrlichkeit. Es gibt nicht vor etwas zu sein. Die darin geschilderte große Liebe wird nicht überhöht, aber sie wird in ihrer Bedeutung auch nicht kleingeredet oder verächtlich gemacht. Genauso werden die beiden Protagonist*innen nicht bloßgestellt. Er nicht, trotz allem. Sie nicht, obwohl sie ihre Abhängigkeiten schildert. Er ist erst ihr Lehrer am Literaturinstitut, später Kritiker und Lektor ihrer Texte sowie über viele Jahre ihr Finanzier. Sie entschuldigt sich nicht für ihre Liebe und ihr Begehren:
„Die Gier meines Körpers nach Toschs Körper brachte mich fast um.“
Im Gegenteil, die Affäre mit ihm, das Ende ihrer Ehe und das vermeintliche Downgrade vom eigenen Haus in die gesponsorte Mietwohnwohnung beschreibt Katja Oskamp als emanzipatorische Befreiung.
Schuldgefühle gibt es aber doch, in Bezug auf Tochter Paula, wegen der schwierigen Geburt, der unglücklichen ersten drei Jahre inklusive Putzzwang, viele Jahre später wegen des Fokus auf den pflegebedürftigen Freund. Die Erzählerin ist Geliebte, Schriftstellerin und Mutter.
Was ist eigentlich so toll an ihm?
Was eigentlich so toll sein soll an ihrem Tosch, bleibt der Leserin verborgen, aber das ist okay, denn wir müssen ihn ja nicht lieben. Als sie massive Zahnprobleme hat und auf Hilfe angewiesen ist, macht er sich aus dem Staub, während sie ihn später jahrelang aufopferungsvoll pflegt: zuerst Prostatakrebs, dann alles Mögliche und schließlich beim akuten Blasenverschluss („Ich (…) kniete mich zwischen Toschs Beine (…), führte die Spritze in das Verbindungsstück ein, das im Penis mündete“). Ihrer kleinen Tochter kann und will er kein Vater sein. Ihr literarischer Durchbruch hat herzlich wenig mit ihm zu tun. Sie braucht ihn nicht für ihren Erfolg, für ihren Alltag, nicht mal für Sex. Jedenfalls braucht er sie mehr als sie ihn.

Emanzipation von der Beziehung
Die sicher gegenseitige aufrichtige Liebe beginnt beneidenswert leidenschaftlich (wie schön war es, beim Lesen meine eigene Leidenschaft verstanden zu wissen) und zieht sich schließlich erbarmungslos hin. Auch im Zerfall der Beziehung bleibt die Geschichte unprätentiös und selbstkritisch. Mit dem eigenen Älterwerden stellt die Protagonistin fest:
„Du schaust einem dir bekannten Stück zu, in dem du nicht mehr mitspielst, in dem Jüngere deine Rolle übernommen haben.“
und reflektiert so ihre Rolle als Freundin eines älteren Mannes. Schließlich kann sie sich erneut emanzipieren und in Kreuzberger Kneipen die Körperlichkeit finden, die er ihr nicht mehr geben kann. Sie bleibt die handelnde Person und nicht nur deswegen ist „Die vorletzte Frau“ ein feministischer Roman.
Lesung in Bremen
Es ist ein Glück, dass Katja Oskamp diese Woche nach Bremen kommt, um aus ihrem Roman zu lesen und darüber zu sprechen. Ich bin mir sicher, ein halbes Jahr nach dem Lesen, noch einmal ganz neue Eindrücke zu gewinnen und empfehle allen, die das Buch noch nicht kennen, die Lektüre, insbesondere den Frauen, die Männer und Sex mit Männern lieben, aber manchmal damit hadern.
„Ohne den Tabubruch und die gehörige Portion Angst davor, ohne die Perversion finde der Mensch nicht die Sexualität, die er suche“,
legt Katja Oskamp Tosch in den Mund.
In eigener Sache werde ich mich diesem Thema auf frauenseiten.bremen in den kommenden Wochen mit einer Textreihe widmen, denn über die Widersprüche des eigenen feministischen Anspruchs und der Lust auf Sex mit Männern gibt es noch einiges zu sagen. Dazu inspiriert hat mich auch Katja Oskamp und ihr großartiger Roman.
Katja Oskamp liest aus „Die vorletzte Frau“ am Donnerstag, 20.3.2025 um 19 Uhr im Theater am Leibnizplatz.
Rosa K.
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