„Misfit – Der Begriff ‚Misfits‘ hat eine doppelte Bedeutung: Misfits sehen die Welt anders; manche von uns werden zu Misfits, weil sie von der Welt als anders gesehen werden. Großbritanniens Schwarze, asiatische oder rothaarige Communitys zum Beispiel. Und es gibt viele weitere Beispiele.
Der Begriff ‚Misfits‘ kann Generationen, Geschlechter- oder Kulturgrenzen überschreiten, allein durch das Streben nach Transparenz, den Wunsch, die Sichtweise einer anderen Person zu verstehen. Misfits, die sichtbar dazugehören, gehen gelegentlich im Mainstream auf – im Tausch für ein Gefühl von Sicherheit“ (S.69)
So definiert die Fernsehmacherin Michaela Coel den Begriff „Misfits“, der als Buchtitel ihres ersten Buchs dient. Bekannt ist Coel aus Serien wie „Chewing Gum“ (2015-2017) und dem herausragenden „I May Destroy You“, in denen sie Protagonistin, Drehbuchautorin und Serienmacherin zugleich ist. Die Britin wird als eine der spannendsten Stimmen serieller Formate des englischsprachigen Raums gehandelt. Nun erscheint ihr Buch im Ullsteinverlag. Basierend auf einem Vortrag beim Edinburgh International Televisions Festival von 2018, beschreibt Coel ihren Werdegang und ihre Forderungen an die Film- und Fernsehbranche.
Chronologisch erzählt Coel von ihrem Leben; über ihr Aufwachsen als Tochter ghanaischer Eltern in einem Sozialbau in Londons Bankenviertel, den Zusammenhalt zwischen ihr und ihren Freund*innen in der Schulzeit, ihr Weg zum Theater und schließlich zum Fernsehen. Hier zeichnet sie ein Bild von einer Fernsehbranche, die einerseits Interesse an „diversen Geschichten“ hat, da sie als profitabel gelten. Andererseits jedoch nichts anzufangen weiß mit diesen „Misfits“, die nun immer öfter Zugang zu Räumen bekommen, die ihnen bis vor wenigen Jahren verschlossen waren. Eine Fernsehbranche, in der Rassismus und Sexismus in den Strukturen eingeschrieben ist, aber niemand eingesteht, selbst rassistisch oder sexistisch zu handeln.
Während Coel Serien entwickelt und Preise dafür gewinnt, sieht sie immer deutlicher, welchen Schwierigkeiten Menschen aus marginalisierten Gruppen ausgesetzt sind, um medial wahrgenommen zu werden. Für den metaphorischen Weg nach oben hätten sie, so Coel, nur defekte Leitern.
Coel fordert die Zuhörer*innen des Vortrags und uns, die Leser*innen, auf, gemeinsam an einer Alternative zu arbeiten. „Misfits“ ist keine einfache Aufstiegserzählung, sondern ein Manifest, das für radikale Ehrlichkeit, Transparenz und Menschlichkeit plädiert. Radikal ist ihre Ehrlichkeit, weil sie statt zu schweigen spricht und ihre Wahrheit mitteilt. Dabei vergisst Coel nicht, aufzuzeigen, wie das Film- und Fernsehsystem durch Ausschluss funktioniert und dass es nicht reicht, „einen Platz am Tisch“ der Fernsehmacher*innen zu bekommen, um grundlegende Veränderungen herbeizuführen.
Mit ihrem wachen Blick auf die eigene Lebensbiografie schafft Coel eine scharfe Analyse des unterschwelligen Rassismus, Klassismus und Sexismus in der Fernsehbranche und der britischen Gesellschaft. Das macht das Buch über die Kunst- und Kulturszene hinaus interessant für Leser*innen.
Bei weiterem Interesse an Michaela Coel und ihren kreativen Machenschaften: ihre Serien „Chewing Gum“ und „I May Destroy You“ sind auf den gängigen Streamingdiensten zu finden.
Tanja Zafronskaia
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