Es ist Juli und Sommer. Ihre Semesterferien verbringt Marie zumeist am See oder in der Bibliothek. Inmitten der Bücherregale fällt ihr jemand auf: Robert. Als sie ihre Handynummer in seinen Fahrradkorb wirft, beginnt eine Liebesgeschichte, die ihr Gleichgewicht zwischen spielerischer Leichtigkeit und destruktiver Unnahbarkeit sucht. Eine traumatische Gewalterfahrung in Maries letzter Beziehung hat bei ihr Spuren hinterlassen. Sie steht vor der Herausforderung, wieder Vertrauen in das Leben und in eine neue zwischenmenschliche Verbindung zu gewinnen.
Heilung durch Worte und achtsame Wahrnehmung
Autorin Anne Korth studierte Philosophie, Germanistik, Literarisches Schreiben sowie Sprachkunst in Potsdam, Leipzig und Wien. Ihr Debütroman Protokoll einer Annäherung erscheint im Otto Müller Verlag. Sie nimmt sich darin der Sprachlosigkeit an, die Personen erleben können, nachdem sie sexualisierte Gewalt erfahren haben. Anne Korth erschafft eine Protagonistin, die zur Erzählerin ihrer eigenen Geschichte wird: Marie. Marie schreibt über sich selbst, ihr früheres Ich, in der dritten Person. In einem Protokoll schildert sie die Erlebnisse des Sommers 2018, in dem sie Robert kennenlernt.
Eine sonst übliche Beschreibung von Gefühlen und Innenleben der Charaktere gibt es nicht, auch Dialoge nur kurz und sporadisch. Die fragmentarische Erzählweise verzichtet zudem auf Stringenz: Zwischen den einzelnen Abschnitten des Protokolls vergehen meist undefinierte Zeitspannen mit unbekannten Geschehnissen. Erzählerin Marie sucht in der reinen, sehr detailreichen Beschreibung alltäglicher Szenen um sie herum nach einer Möglichkeit, ihre Verletzung zu überwinden. Die Worte sind für sie ein Sprungbrett, das sie an einen anderen, sicheren Ort bringt.
„Dass die Wörter mir wie ein Balsam sein sollen, mich fortführen von den Bildern dieser Nacht, dorthin, wo sich in mir etwas weitet (…) Dorthin, wo wieder etwas anderes möglich wird, zum Beispiel eine Liebesgeschichte.“
(c) frauenseiten Bremen
Zwischen Nähe und Distanz
Als Robert Teil ihres Lebens wird, taucht gleichzeitig ein Schatten auf, der Marie verfolgt und dem sie nicht entkommen kann. Sie assoziiert die entstehende Liebe und Nähe mit der Gewalterfahrung aus der vorherigen Beziehung. Einerseits fühlt Marie sich zu Robert hingezogen, andererseits kann sie seine Zuneigung nicht immer ertragen.
„Sie begrüßen sich in einer Umarmung, in der noch Platz für etwas Drittes wäre.“
Robert spürt die Distanz, aber gibt Marie Zeit und Raum. Er wirkt wie eine sehr ruhige und verständnisvolle Person – vermutlich genau der richtige Mensch für Marie, um wieder Vertrauen zu fassen. Sie erzählt ihm schließlich von den Erinnerungen an K., die wieder hochkommen, wenn sie Zeit mit Robert verbringt. Als Leser*innen erfahren wir kaum Details darüber, was ihr damals geschehen ist. Durch gelegentliche Rückblicke vermittelt Marie jedoch ein grobes Bild ihrer Erinnerungen.
Trotz des schwerwiegenden Themas verliert der Text nicht an Leichtigkeit. Obwohl es sich beim Lesen anfänglich ungewöhnlich und distanziert angefühlt hat, lassen sich zwischen den Zeilen eine Menge Gefühle und innere Konflikte herauslesen. Insgesamt bietet Anne Korth in „Protokoll einer Annäherung“ durch eine experimentelle Schreibweise und Sprachkunst auf 140 Seiten einen Einblick in die Herausforderungen, denen sich Marie nach dem traumatischen Erlebnis sexualisierter Gewalt stellen muss. Es zeigt den schwierigen Weg zurück zu Vertrauen und Nähe und auch zu sich selbst.
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