Inhaltswarnung: Schwangerschaftsabbruch, Sexismus
„Wie können wir die Reproduktion so organisieren, dass grundlegende Werte – individuelle Freiheit, Menschenrechte, der Schutz der Schwächeren, Solidarität, gleiche Chancen und Möglichkeiten – dabei gewahrt sind, und zwar für alle Beteiligten, auch für diejenigen, die (potenziell) schwanger werden?“ (Antje Schrupp, Reproduktive Freiheit, März 2022, Unrast Verlag, S. 5)
Diese Frage deutet auf den Inhalt des Buches Reproduktive Freiheit. Eine Feministische Ethik der Fortpflanzung. von Antje Schurpp hin. Auf knapp 86 Seiten beschreibt die Autorin die Situation der Schwangerschaft auf allen Ebenen. So spricht sie von gewollten Schwangerschaften, Schwangerschaftsabbrüchen und Schwangerschaften in Konstellationen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Sie eröffnet einen (queer-) feministischen Diskurs über das Thema der Reproduktion – und bezieht sich dabei eben nicht nur auf Schwangerschaftsabbrüche.
Mein Körper, meine Entscheidung
Der Titel Reproduktive Freiheit sagt bereits etwas sehr Wichtiges aus – denn eine schwangere Person sollte selbst darüber entscheiden können, ob sie schwanger sein möchte oder eben nicht. Jedoch kann das leider nicht jede schwangere Person selbst entscheiden. Das beinhaltet auch, dass Schwangerschaftsabbrüche zugänglich sein sollten und dieses Recht niemandem genommen werden sollte.
„Väterrechtler“ = emanzipatorisch?
Es gibt „Väterrechtler“, die das Thema Feminismus und Kinderkriegen in den falschen Hals bekommen haben. Sie sind der Meinung, dass sie über die Schwangerschaft entscheiden dürfen, wenn sie der biologische Vater sind. Schließlich soll doch alles gleichberechtigt sein, oder? Dabei handelt es sich nicht um Gleichberechtigung. Es ist lediglich der Versuch, „die Freiheit von Menschen, die Kinder gebären, zu untergraben“ (S.8), so beschreibt es Antje Schrupp in ihrem Buch. Oft haben die Menschen mit der Keimzelle das Gefühl, ihnen steht mehr Macht zu, sodass sie die Person mit Uterus unterdrücken.
Und es beginnt mit der Natur…
Gerne bedienen sich Menschen des Arguments der Natur. Die Reproduktion (Fortpflanzung) und binäre Geschlechterrollen werden dann als das „Natürliche“ deklariert, sodass es keiner weiteren Argumentation bedarf.
Doch was ist, wenn das, was als natürlich angenommen wird, eigentlich falsch ist?
Genau das ist nämlich der Fall, wenn von der männlichen Ejakulation gesprochen wird. Diese wird nämlich seit den Zeiten Aristoteles als Sperma oder Samen bezeichnet. Antje Schrupp erklärt, dass dieser naturalistische Fehlschluss der männlichen Ejakulation und folglich dem nicht gebärenden Part bei der Fortpflanzung, viel zu viel Macht gäbe. Somit hat Aristoteles den Mann zum aktiven Part der Fortpflanzung gemacht, denn dieser besitzt angeblich den Samen. Folglich ist laut Aristoteles die Frau der passive Part, denn sie empfängt lediglich den Samen des Mannes. Da hat sich Aristoteles nur leider vertan! Und diese misogyne (=frauenfeindliche) Annahme, die dann auch noch mithilfe von naturalistischen Fehlschlüssen als Wahrheit dargestellt wird, ist somit eigentlich kompletter Unsinn. Letztendlich haben aber genau solche falschen biologischen Schlüsse zur Unterdrückung von weiblich gelesenen Menschen und zum Patriarchat geführt.
Erst der Embryo, der im Leib der schwangeren Person ist, kann als Samen bezeichnet werden. Die Ejakulation des Mannes bezeichnet mensch somit als Keimzelle oder Polle. Die Eizelle ist also der aktive Part der Fortpflanzung. Diese entscheidet nämlich darüber, welche männlichen Keimzellen besonders gut für die Befruchtung geeignet sind.
Opferbereitschaft
Die Opferbereitschaft ist im Diskurs über die Reproduktion äußerst wichtig. Es wird leider häufig als selbstverständlich angenommen, dass Menschen die schwanger sind, eine gewisse Opferbereitschaft mitbringen müssen. Das Wohl des Embryos steht dann meistens über dem Wohl der schwangeren Person.
„Dass Schwangere oder auch potenziell Schwangere nicht sachgemäß medizinisch versorgt werden, ist Standard in unserer Kultur.“ (Antje Schrupp, Reproduktive Freiheit, März 2022, Unrast Verlag, S. 32)
Antje Schrupp beschreibt zuvor einen Vorfall, bei dem eine Frau ungewollt schwanger wird. Sie wollte einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen und musste die dreitägige Frist abwarten, die es zwischen dem Beratungsgespräch bei einem potentiellen Schwangerschaftsabbruch und dem Eingriff an sich gibt. Die Frau ist letztendlich an einer Lungenembolie gestorben, obwohl sie mit Atemnot ins Krankenhaus gekommen ist. Dort hat sie keine vernünftige medizinische Untersuchung erfahren, denn eine Strahlenuntersuchung hätte schließlich ihr ungeborenes Baby gefährden können. Ein erschreckender Beweis dafür, dass auch das Gesetz für Schwangerschaftsabbrüche diese Opferbereitschaft beinhaltet. Schwangere Menschen können eine mangelnde medizinische Versorgung erfahren und sogar so mangelhaft, dass dabei ihr Leben aufs Spiel gesetzt.
Auch beim Thema Corona müssen Schwangere eine Opferbereitschaft zeigen!
Schwangere Menschen durften sich nämlich erst gegen das Corona-Virus impfen lassen, als alle anderen erwachsenen Menschen schon ein Impfangebot hatten. Hier zieht Antje Schrupp also einen sehr guten Vergleich zu einem aktuellen Thema, bei dem Schwangere schon wieder in die Opferbereitschaft gedrängt wurden.
Reproduktion und Queerfeminismus
Besonders gut gefällt mir, dass Antje Schrupp den queeren Feminismus mit in ihre Analyse inkludiert hat. Auch in feministischen Debatten über die Reproduktion wird eine queere Sichtweise auf Schwangerschaften häufig vernachlässigt. Schwangerschaften werden meistens mit der Heternormativität in Verbindung gebracht. Dabei gibt es viele Menschen, die außerhalb von einer heterosexuellen und monogamen Beziehung sind und ein Kind bekommen möchten. Somit sollten beim Thema Schwangerschaft Familienkonstellationen beachtet werden, die abseits der Heteronormativität leben.
„Die israelische Neurobiologin Ruth Feldmann hat herausgefunden, dass sich die Hirntätigkeit homosexueller Väter, die sich hauptverantwortlich um Kleinkinder kümmern, nicht von der von Müttern unterscheidet, die Kinder geboren haben. Offenbar ist es nicht so, dass eine bestimmte körperliche Disposition (die Tatsache, dass man ein Kind geboren hat) unweigerlich dazu führt, dass diese Person sich besonders gerne um dieses Kind kümmert, sondern es ist genau anders herum: Eine Person, die sich besonders intensiv um ein Kind kümmert, erfährt messbare körperliche Veränderungen, zum Beispiel der Hirntätigkeit.“ (Antje Schrupp, Reproduktive Freiheit, März 2022, Unrast Verlag,S. 71)
Daran wird deutlich: Nur, weil eine Person ein Kind zur Welt gebracht hat, heißt das noch lange nicht, dass sich diese Person auch nach der Geburt um das Kind kümmert. Das Kind kann auch von anderen Erwachsenen großgezogen werden, wie es beispielsweise im Zitat angeführt wird. Homosexuelle Väter können also genau so Eltern von einem Kind sein, wie es heterosexuelle Paare sein können.
Abseits der monogamen Ehe
Antje Schrupp beschäftigt sich mit der Tatsache, dass es auch Menschen gibt, die eine Familie gründen möchten, aber nicht in einer monogamen Beziehung sind. Die monogame Beziehung wird auch heutzutage oftmals als Grundlage für eine Familiengründung angesehen. Dabei gibt es viele alternative Beziehungskonzepte oder auch alleinstehende Menschen, die ein Kind großziehen möchten.
„Welche ethischen Kriterien legen wir an für den Fall, dass Kinder nach der Geburt nicht bei der Gebärerin bleiben, sondern in die Obhut anderer Erwachsener überwechseln? Genau das ist die entscheidende Frage, die sich heute, nach dem Ende der lebenslangen monogamen Ehe als einzig legitimem Ort der Fortpflanzung, stellt: Wie kann auf eine freiheitliche Weise der Übergang gestaltet werden zwischen einer Schwangerschaft und der Familiengründung?„ (Antje Schrupp, Reproduktive Freiheit, März 2022, Unrast Verlag, S. 67-68)
Reproduktive Freiheit im Patriarchat?
Das Buch thematisiert nicht nur bereits bekannte feministische Diskurse zur Reproduktion, wie beispielsweise Schwangerschaftsabbrüche, sondern beschäftigt sich auch mit anderen sehr wichtigen Themen. Unter anderem spricht Antje Schrupp das Thema der Schwangerschaft bei Trans*menschen an. Auch Männer können schwanger sein. So ist es beispielsweise bei trans* Männern der Fall. Jedoch werden sie leider immer noch als „Mütter“ bezeichnet.
„2011 wurde das Transsexuellengesetz dahingehend geändert, dass für eine Personenstandsänderung keine geschlechtsangleichende Operation mehr erforderlich ist. Seither können also Männer offiziell schwanger werden. Nach deutschem Recht gelten sie allerdings wegen § 1591 BGB immer noch als ›Mütter‹ ihrer Kinder, nicht als Väter.“ (Antje Schrupp, Reproduktive Freiheit, März 2022, Unrast Verlag, S. 75)
Das Patriarchat denkt in einem binären und patriarchalen Geschlechtersystem und Trans*menschen werden auch hier dadurch diskriminiert.
Reproduktive Freiheit beinhaltet mehr als Schwangerschaftsabbrüche
In dem Buch Reproduktive Freiheit von Antje Schrupp wird deutlich, dass die Freiheit aller schwangeren Menschen mehr beinhaltet als das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Es ist ein sehr wichtiges Thema, über das gesprochen werden muss, jedoch gibt es auch weitere Themen, die im feministischen Diskurs der Reproduktion vorhanden sein sollten. Es muss über Elternschaft geredet werden, damit die heterosexuelle und monogame Perspektive erweitert wird, denn es gibt auch polygame Beziehungen. Die Opferbereitschaft und das Wohl der Schwangeren muss ebenso in den Fokus der Analyse zur Reproduktion gebracht werden. All das, thematisiert Antje Schrupp auf präzise Weise in ihrem Buch.
Für wen eignet sich das Buch?
Das Buch eignet sich sehr gut für Menschen, die sich noch nicht mit allen Facetten der Reproduktion beschäftigt haben. Häufig wird im Bezug auf den feministischen Diskurs hauptsächlich über Schwangerschaftsabbrüche diskutiert, jedoch thematisiert Antje Schrupp in ihrem Buch noch weitere Bereiche der Reproduktion. Neben Schwangerschaftsabbrüchen ist es also auch wichtig, über das Wohl der Schwangeren und die damit verbundene „Opferbereitschaft“, alternative Familienkonstellationen und queere Perspektiven zu sprechen. All das beachtet Antje Schrupp in ihrem Buch. Somit können Menschen mit diesem Buch ihren Horizont erweitern und erkennen, was alles zur Reproduktion gehört. Das Buch könnte gut in Schulen behandelt werden. Ab einer bestimmten Altersklasse sind Schüler*innen mit dem Thema der Reproduktion konfrontiert und sie sollten über alle Facetten dieses Themenbereichs aufgeklärt werden, da sie so beispielsweise auch für Homosexualität und Trans*sein sensibilisiert werden. Schüler*innen sollten auch darüber aufgeklärt werden, dass ihnen niemand das Recht am eigenen Körper nehmen sollte.
Maria
Franziska meint
Ich habe das Buch gelesen und mir fehlt in dieser Diskussion ganz eindeutig ein weiterer Themenkomplex, der meiner Meinung nach ebenfalls zur selbstbestimmten Reproduktion gehört und in eine ähnliche Kerbe schlägt: das Recht zur Sterilisation ohne weitere Diskussionen. Wie viele Frauen ohne Kinderwunsch wollen gerne im Vorfeld schon eine Schwangerschaft und einen daraus möglicherweise folgenden Abbruch vermeiden durch eine Sterilisation und werden von Ärzten abgewiesen, die meinen, es besser zu wissen als die Patientin selbst.