Auch wenn der Titel die Handlung vorwegzunehmen scheint – und der erste Satz des Buches dies ebenfalls tut – ist „Die Selbstmordschwestern“ von Jeffrey Eugenides alles andere als vorhersehbar. Die Geschichte der fünf Schwestern, die sich alle nacheinander das Leben nehmen, besteht aus mehr als nur der Tragik von jugendlichem Selbstmord.
Fünf Schwestern, fünf Selbstmorde
Die Selbstmordschwestern, das sind die fünf Töchter von Mr. und Mrs. Lisbon: Cecilia, Lux, Bonnie, Mary und Therese, zwischen 13 und 17 Jahren alt. Losgetreten wird die Welle von Selbstmorden von Cecilia, ironischerweise der Jüngsten, die sich nach einem ersten gescheiterten Versuch, schließlich während einer Party bei den Lisbons zu Hause sich aus dem Fenster auf einen Eisenzaun wirft. Dieser grausame Tod bewirkt eine verständliche Schutzreaktion bei den Eltern der Mädchen: Kaum bis gar kein Kontakt mehr nach außen für die jungen Mädchen. Dass die verbleibenden vier Schwestern dagegen rebellieren und nacheinander die Regeln brechen, ist nur zu verständlich. Zwischen Kleingartenkrieg, Vorortproblemen und Mittelklassestreiks beobachten die Nachbarn der Lisbons, wie das Familienidyll zerbricht. Je mehr sie versuchen auszubrechen, desto mehr schließt ihre streng katholische Mutter die Mädchen von der Öffentlichkeit aus. Während die Lisbon Familie sich immer weiter verschließt und dabei auflöst, wird die ganze Nachbarschaft Zeuge von der tragischen Welle von Suiziden.
Die große Frage: Warum?
Normalerweise ist es schwierig, ein fiktionales Buch zu beschreiben, ohne zu viel von der Handlung vorwegzunehmen. Hier besteht die Gefahr kaum und dennoch ist das Buch unvergleichbar spannend. Es ist gerade das Wissen um das Ende, das dieses Buch so vorantreibt. Was am Ende der Handlung steht, das ist klar; der Weg dahin ist das, was man herausfinden will, förmlich muss. Aus der Sicht der Nachbarskinder, einer Gruppe von Jungs, die von den enigmatischen Lisbon-Schwestern fasziniert sind, wird die Geschichte von fünf Mädchen erzählt. Die Jungen scheint die gleiche Frage anzutreiben, die wohl auch den Leser im Bann der Geschichte hält: Warum? Warum nehmen sich fünf Mädchen im Verlauf eines Jahres alle auf verschiedene Art das Leben? Fast schon obsessiv sammeln die jungen Männer Beweismaterialien aus dem Leben der Mädchen, beobachten das Haus wie heimliche Spanner durch ihr Teleskop und versuchen, das Rätsel hinter den Suiziden aufzudecken. Noch als Erwachsene, verheiratete Männer treffen sie sich regelmäßig wieder in ihrem alten Baumhaus, um ihre makabre Sammlung an Lisbon-Material zu begutachten.
Mehr als nur Jugendliteratur
Die Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ soll hier natürlich nicht verraten werden. So oder so ist „Die Selbstmordschwestern“ alleine schon eine lohnenswerte Lektüre aufgrund ihrer sprachlichen Komplexität. Jeffrey Eugenides versteht es, die Trostlosigkeit des Alltags mit den kometenhaften Momenten der Begeisterung durch die Mädchen gekonnt zu verbinden. Neben dem Einblick in den Alltag einer amerikanischen Vorstadt in den siebziger Jahren, gewinnt man auch ganz neue Perspektiven, vor allem als weiblicher Leser, durch die Augen der Nachbarsjungen. Wie sieht ein 15-Jähriger ein Mädchen in seinem Alter? Was versteht ein pubertierender Junge von den Problemen eines pubertierenden Mädchens? Auch für Leser außerhalb der Teenagerjahre ist die Thematik keinesfalls uninteressant, verfolgen die Jungs doch ihre Gedanken über die Mädchen bis in ihr Erwachsenenalter und suchen auch noch im fortgeschrittenen Alter nach Zeugen für die Geschehnisse. Während des Lesens formen sich im Kopf des Lesers immer wieder neue eigene Theorien zur Erklärung der Suizide und der Wunsch nach Aufklärung zwingt einen förmlich weiterzulesen. Die fast gruselige Faszination der gleichaltrigen Jungs mit den Lisbon-Mädchen, die sie noch als erwachsene Männer im Bann hält, ist nicht nur etwas für Jugendliche.
Für alle, die vielleicht weniger lesebegeistert sind: Die gleichnamige Verfilmung von Sofia Coppola mit einer jungen Kirsten Dunst in der Hauptrolle als Lux Lisbon sowie den Schauspielern James Woods und Josh Hartnett hält sich sehr nah an die Buchvorlage und ist mit seinem einzigartigen Soundtrack ebenso sehenswert.
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