Die französische Philosophin, Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir ist die Autorin des weltberühmten Werkes Das andere Geschlecht. Dieses wird heutzutage sogar als die „Bibel“ des Feminismus bezeichnet, da es die Grundlage vieler gendertheoretischer Ansätze ist. Durch die Thematisierung von verschiedenen Tabuthemen in ihrem Werk, wie zum Beispiel Sexualität bei Frauen, hat sie vielen Frauen der westlichen Gesellschaft die Augen geöffnet und gezeigt, dass die Frau ein selbstbestimmtes Leben als Subjekt führen kann. In der Bundeskunsthalle in Bonn ist vom 4. März bis zum 16. Oktober 2022 eine Ausstellung über Simone de Beauvoir und ihr wohl bekanntestes Werk Das andere Geschlecht zu sehen.
Wer ist Simone de Beauvoir?
Simone de Beauvoir ist am 9. Januar 1908 in Paris geboren und am 14. April 1986 ebenfalls in Paris gestorben. Die Schriftstellerin und Feministin gehört zusätzlich zu den wichtigsten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts. Mit ihren Werken prägte sie die Frauenbewegung ungemein. Sie gilt als eine der bekanntesten Vertreterinnen des Existentialismus. Der Existentialismus ist eine philosophische Strömung. Sie war die Partnerin von Jean-Paul Sartre, der auch ein bekannter Existentialist aus Frankreich war. Simone de Beauvoir hat sich lange Zeit nicht als Feministin bezeichnet, aber mit ihrem wachsendem Wissen über den Feminismus und den Aktivismus, den sie betrieb, bekannte sie sich selbst doch als Feministin. Während sie Das andere Geschlecht schrieb, habe sie sich in der Rolle einer Philosophin gesehen, denn sie wollte lediglich die Situation der Frau aus einer existentialistischen Sicht beschreiben. Dass dieses Werk als feministische Literatur zählt, war während der Entstehung des Werkes noch nicht ihre Absicht.
Das andere Geschlecht
Ihr wohl bekanntestes Buch Das andere Geschlecht setzt sich auf 941 Seiten mit der Rolle der Frau in der westlichen Gesellschaft auseinander. Es erschien erstmals im Jahr 1949 in Frankreich. Es trug den französischen Titell Le Deuxième Sexe (Das zweite Geschlecht). Im Jahr 1951 erschien beim Rowohlt Verlag dann die erste deutsche Ausgabe des Buches. Der deutsche Titel des Buches ist Das andere Geschlecht, sodass hier eine Abweichung zum originalen französischen Titel vorzufinden ist. Mit dem Titel Das zweite Geschlecht sollte eigentlich auf die Hierarchie der Geschlechter eingegangen werden, was mit dem deutschen Titel Das andere Geschlecht leider etwas verfehlt ist. Dies bedauerte beispielsweise Sylvie Le Bon de Beauvoir, die Adoptivtochter von Simon de Beauvoir, in einem Interview mit der Intendantin Eva Kraus von der Bundeskunsthalle. Simone de Beauvoirs Adoptivtochter ist selbst Philosophieprofessorin und Schriftstellerin.
Für die zweite Welle des Feminismus, in der es um die allgemeine Emanzipation und Selbstbestimmung von Frauen ging, war das Buch sehr wichtig. Dadurch, dass es auf die Trennung von biologischem und gesellschaftlichem Geschlecht aufmerksam machte, wurde diesbezüglich zum ersten Mal ein sozialwissenschaftlicher Diskurs eröffnet. Die heutigen Gender Studies beschäftigen sich viel mit der Trennung von sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales/ kulturelles Geschlecht). Somit hat Das andere Geschlecht die weitere Forschung in diesem Bereich geprägt. Eine berühmte Aussage, die de Beauvoir getätigt hat, zeigt, dass das Geschlecht als eine soziale Kategorie markiert ist:
Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. (Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, S. 265.)
Mit dieser Aussage verdeutlicht sie, dass das „Frausein“ keine angeborene Sache ist. Es ist vielmehr eine soziale Kategorie, die den Menschen zugeschrieben wird. Das Patriarchat fordert damit ein bestimmtes Verhalten und eine vorgebene soziale Position von Menschen ein, die als biologisch weiblich zu bezeichnen sind. Simone de Beauvoir bricht somit die Annahme, dass das biologische Geschlecht eine Grundlage dafür sei, alle Menschen desselben biologischen Geschlechts in ein soziales Gefüge zu bringen. Denn damit wird die persönliche Auslegung des Lebens mit einer Vorgabe der patriarchalen Gesellschaft verbaut. Ihr Buch beleuchtete damit erstmals die Situation, in der sich die westliche Frau befindet. Vielen Frauen war es in der damaligen Zeit nämlich nicht bewusst, dass es auch eine alternative Lebensführung geben kann. Mit ihrem Werk machte sie zudem auch auf Tabuthemen aufmerksam. So thematisiert ihr Buch beispielsweise die Homosexualität bei Frauen, Prostitution und Schwangerschaftsabbrüche. Das waren große Tabuthemen der damaligen Zeit, die leider heutzutage noch als Tabuthemen angesehen werden können. Erst zwanzig Jahre nach der Entstehung ihres Werkes galt es als ein feministisches Standardwerk. Das war vermutlich auch der Tatsache zu verschulden, dass das Werk in der damaligen Zeit negativ aufgefasst wurde, da Simone de Beauvoir auf die unterschiedlichen Tabuthemen aufmerksam machte.
Der Existentialismus
Der Existentialismus ist eine philosophische Strömung, die vor allem in Frankreich ihre Hauptvertreter*innen hatte. Im 20. Jahrhundert erlebte der Existentialismus seine Hochphase. Die Szene des Existentialismus ist in den Cafés von Saint-Germain-des-Prés entstanden. Zu den Hauptvertreter*innen gehören neben Simone de Beauvoir auch Jean-Paul Sartre, Albert Camus und Gabriel Marcel. Wie man bereits dem Wort Existentialismus entnehmen kann, steckt das Wort der Existenz darin. Der Existentialismus beschäftigt sich mit der Auslegung des Lebens eines Menschen und mit den damit einhergehenden Eigenverantwortungen. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie sich ein Mensch als Subjekt setzen kann.
Der Existentialismus kann in zwei Strömungen unterteilt werden. Es gibt eine christliche Auslegung des Existentialismus, dessen Hauptvertreter beispielsweise Gabriel Marcel ist. Des Weiteren gibt es aber auch eine atheistische Auslegung des Existentialismus und diese wurde vor allem von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir betrieben. Während es bei der christlichen Auslegung vor allem darum geht, dass der Mensch den Sinn des Lebens in Gott sucht, betrachtet der atheistische Existentialismus vor allem die Freiheit des Menschen. Die Freiheit richtet sich dabei auf die Werte, die ein Mensch selbst für sich bestimmen kann. Durch diese Freiheit sollen sich die Menschen von dem sinnlosen Leben befreien. Generell lässt sich sagen, dass der Existentialismus aussagt, dass das Leben an sich keinen Sinn hat. Erst durch das Denken des Menschen wird dem Leben einen Sinn verliehen. Der Existentialismus soll dem einzelnen Menschen eine Erlösung aus dem sinnlosen Leben verschaffen.
Existentialismus und Feminismus
Simone de Beauvoir prägte mit ihrem Werk Das andere Geschlecht den Feminismus mit einem existentialistischen Ansatz. In ihrem Buch geht es darum, wie sich Frauen verhalten und ob diese folglich als Subjekt wahrgenommen werden oder nicht. Bereits am Titel ihres Buches ist zu entnehmen, was Simone de Beauvoir im Bezug auf den Existentialismus verdeutlichen möchte. Im Patriarchat machen die Männer die Frauen zum anderen Geschlecht. Die Männer setzen sich somit als Subjekt. Folglich erfahren die Frauen nicht den Status eines vollendeten Individuums. Das bedeutet, dass der Mann als Maßstab gesehen wird und alles was die Frau betrifft, lediglich von den Gegebenheiten des Mannes abgeleitet wird. In dem Kapitel „Der psychoanalytische Standpunkt“ wird das besonders deutlich. Dort wird über die Psychoanalyse Freuds und die Sexualentwicklung des Mädchens geschrieben. Demnach erfährt das Mädchen und somit die Frau keine eigene Betrachtung der Sexualentwicklung, denn die Sexualentwicklung des Mädchens wird lediglich von den Beobachtungen des Jungens abgeleitet. Dem Mann wird ein aktiver Part zugeschrieben, während die Frau nur eine passive Rolle erhält. Simone de Beauvoir kritisiert zum einen die partriarchalen Gegebenheiten, in denen nur der Mann als Subjekt angesehen wird. Außerdem ist sie aber der Meinung, dass sich Frauen ebenso selbst als Subjekt setzen müssen und in eine aktive Teilnahme eintreten sollen. Sie ruft somit dazu auf, dass sich Frauen aktiv darum bemühen müssen, als Subjekt angesehen zu werden und folglich aus der Abhängigkeit des Mannes austreten. Laut Simone de Beauvoir gäbe es eben keine vorgegebenen Standards, die die Essenz, also das Wesen der Frau bestimmen. Diese Bestimmungen sind lediglich gesellschaftlich konstruiert, um die Frau in ein durch Männer erschaffenes Gefüge zu bringen. Es käme jedoch mehr auf die individuellen Erfahrungen einer jeden Frau an.
Die Ausstellung
Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle gibt den Besucher*innen eine Auskunft über den Werdegang von Simone de Beauvoir und die Thematik des Existentialismus in Frankreich. Es wird auf die Entstehung des Werkes Das andere Geschlecht eingegangen. Die Besucher*innen erfahren etwas über die Biografie von Simone de Beauvoir. Der Existentialismus und die Entstehung ihres Werkes Das andere Geschlecht wird in der Ausstellung deutlich. So verfügt die Ausstellung über einen Bereich, der mit Stühlen und Tischen ausgestattet ist, sodass die Besucher*innen selbst das Gefühl bekommen, in einem Café in Frankreich zu sitzen. Damit wird die Atmosphäre der existentialistischen Szene des 20. Jahrhunderts verdeutlicht.
Ihr Werk wurde zu einem globalen Standardwerk der feministischen Literatur und ist in über vierzig Sprachen erhältlich. Die Ausstellung stellt mithilfe einer Darstellung dar, in welchem Jahr das Buch in welchem Land, beziehungsweise in welcher Sprache herausgebracht wurde. Die unterschiedlichen Übersetzungsjahre können zudem eine Auskunft über die politische Situation in dem Land geben, denn de Beauvoirs Werk war in manchen Ländern sehr umstritten und durfte deswegen nicht publiziert werden.
In der Ausstellung kommen unterschiedliche Medien, wie zum Beispiel Bilder, Interviews, Filme und Textauszüge zum Einsatz. Simone de Beauvoirs Partner Jean-Paul Sartre, der ebenso ein bedeutender Existentialist war, ist auch ein Bestandteil der Ausstellung. Außerdem kann man der Ausstellung entnehmen, dass Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer mehrere Gespräche zusammen hatten und sich über feministische Themen austauschten. Alice Schwarzer zählt zu den bekanntesten Feministinnen Europas. Sie ist die Herausgeberin des feministischen Magazins Emma. Sie begleitete Simone de Beauvoir auf ihrem Weg und war ihre Freundin. Ab Juni 2022 kann eine 96-seitige Publikation zur Ausstellung erworben werden.
Für wen ist die Ausstellung geeignet?
Die Ausstellung eignet sich hervorragend für Menschen, die noch keinerlei Erfahrungen mit Simone de Beauvoir und dem Existentialismus als philosophische Thematik gesammelt haben. Außerdem verlangt der Besuch in der Ausstellung nicht, dass man ihr Werk Das andere Geschlecht gelesen haben muss. Menschen, die sich bereits mit der Thematik auseinandergesetzt haben, stoßen in der Ausstellung vermutlich auf bereits bekannte Inhalte. Dennoch lässt sich die Ausstellung gut dafür nutzen, Bekanntes noch einmal zu festigen und zu rekapitulieren. Menschen die bereits Das andere Geschlecht gelesen haben, können sich in der Ausstellung zudem mit der Biografie Simone de Beauvoirs weiterbilden.
Die Ausstellung besuchen
Für den Fall, dass man in Bonn wohnt oder in nächster Zeit vor Ort sein wird, lohnt sich ein Besuch in der Ausstellung. Jeden Dienstag finden zwischen 17 und 18 Uhr öffentliche Führungen in der Ausstellung statt. Weitere Informationen können auf der Website der Bundeskunsthalle entnommen werden. Die Bundeskunsthalle bietet die Ausstellung für Menschen, die gerade aus der Ukraine nach Deutschland gekommen sind, umsonst an und es gibt ebenso Führungen auf Ukrainisch.
Maria
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