Caroline Rosales wurde 1982 in Bonn geboren und ist Journalistin, Autorin, Feministin und alleinerziehende Mutter („Single Mom“). Am 25. Januar 2019 erschien ihr neues Buch Sexuell Verfügbar bei Ullstein.
„Eigentlich ist nichts passiert, aber eigentlich passiert ganz viel.“ – Caroline Rosales im Interview mit Jetzt.
Caroline Rosales schildert in Sexuell Verfügbar viele Situationen, die mir als junge Frau vertraut vorkommen – von mir selbst, von den Erzählungen meiner Freundinnen und Schwestern. Sie spricht zum Beispiel darüber, wie es ist, manchmal den richtigen Moment zu verpassen, um „nein“ zu sagen. Weil es zu viel Aufwand wäre („Jetzt ist er ja schon hier…“) oder die Situation es erfordert („Ich bin ja mit ihm was trinken gegangen… Ich habe ihn ja gefragt, ob er mit hochkommen mag.“). Es ist keine Vergewaltigung, man macht ja freiwillig mit. Aber wirklich wollen tut man/frau es ja eigentlich nicht. Oder doch? Was will man/frau eigentlich? Er will mich doch – das genügt! Oder nicht?
„Moment, das kenn ich doch…“
Genau da liegt die Kunst in diesem Buch! Ganz präzise schildert Rosales Alltagssituationen – in der Familie, bei Unterhaltungen mit Freunden, im Beruf – in denen sich jede Frau wieder findet. Sie beschreibt Situationen, die einem selbstverständlich und normal vorkommen. Bis ich das Buch gelesen habe, fand ich es normal, dass ich als junges Mädchen immer zuvorkommend und höflich zu meinen Verwandten zu sein habe, während meine Brüder ruhig „die Raufbolde“ sein durften. Normal, dass ich als Frau auf mein Äußeres zu achten habe, wenn ich es noch einmal weit bringen möchte. Dass es wichtig ist, dass ich nicht zu dick, aber auch nicht zu dünn bin. Nicht zu langweilig angezogen, aber auch nicht zu freizügig. Dass ich jedem helfe und meine eigenen Bedürfnisse hinter die des anderen stelle – es ist ja mein Vater, meine alte Großmutter, meine Familie, meine beste Freundin, die meine Unterstützung brauchen. Meistens weiß ich nicht einmal, was überhaupt meine Bedürfnisse sind. Ich habe nie gelernt, darauf zu achten.
Das ist es, wozu wir erzogen werden. Zu harmoniebedürftigen, hilfsbereiten, sexuell verfügbaren Frauen. Caroline Rosales schildert in dem #Metoo-Zeitalter völlig neu die vorher so schwer beschreib- und benennbaren Grauzonen zwischen Erziehung, Missbrauch und Feminismus.
Mitten ins Herz
Endlich eine, die Worte findet. Worte für Dinge, die jeder Frau passieren können oder passiert sind: Essstörungen, Machtmissbrauch am Arbeitsplatz, Jobs aufgrund von Äußerlichkeiten kriegen oder die eigene Sexualität nur dadurch zu begreifen, dass man das Objekt der Begierde eines Mannes ist. Zudem noch der Spagat zwischen Autonomie, Selbstverwirklichung im Beruf und gleichzeitig dem hohen kollektiv-gesellschaftlichen Anspruch der perfekten Mutter gerecht zu werden, wovon zum Beispiel auch meine Schwester (3 Jobs, 3 Kinder) ein Lied von singen kann. Und eben nicht nur sie.
Beim Lesen von Sexuell Verfügbar, habe ich einzelne Textpassagen immer an Frauen in meinem Umfeld geschickt. Freundinnen, Schwestern, Kommilitoninnen, deren Leid und Lebensgeschichte ich sofort zwischen Caroline Rosales‘ Zeilen wiedererkannt habe. Alle antworteten einstimmig mit: „JA! DAS STIMMT! Genau das ist mir auch passiert. Genauso fühle ich auch. Genau in der Zwickmühle befinde ich mich auch oft. Genauso werde ich auch bewertet.“
Die Autorin und zweifache Mutter trifft mit ihrem Buch das Herz jeder Frau in meinem Umfeld – und nicht nur dort.
Widersprüche und Stimmen im Kopf
Besonders ihre eigenen Widersprüche haben mir an diesem Buch gefallen. Die vielen Stimmen in Rosales‘ Kopf, die sich andauernd widersprechen. So würde sie bei jeder Gelegenheit „F-E-M-I-N-I-S-M-U-S“ schreien, gleichzeitig aber sehnsüchtig auf den Antrag ihres Freundes warten und auch nach dem 30. Mal Arielle Schauen, immer noch herzzerreißend weinen, weil Arielle verloren auf ihren Disney-Prinzen wartet.
Das macht all das, was die Autorin über ihre Erfahrungen, Einstellungen und Proteste schreibt für mich realistischer. Auch ihr Feminismus ist kein perfektes, gänzlich in sich verständiges System. Man darf Feministin sein und hinter all den Dingen stehen, die man sich als Frau wünscht und in der patriarchalen Gesellschaft kritisiert – und trotzdem Schönheitsoperationen in Betracht ziehen und sich eine Hochzeit in Weiß erträumen. Ein so radikaler Feminismus, der sich jeglichen Widersprüchen entzieht, scheint auch bei Caroline Rosales nicht zu bestehen. Ein menschlicher Zuspruch an alle Feminist*innen.
Chiara Garbers
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