„Weibliche Nacktheit ist kein natürlicher Körperzustand mehr, sie wird systematisch sexualisiert.“ (S. 88)
Kunstkritik und Feminismus – wie passt das zusammen? Diese Frage beantwortet Zelba in ihrem neuen Comic „Der Große Zwischenfall“ mit Witz und zugleich scharfer Kritik an den patriarchalen Machtstrukturen unserer Gesellschaft.

Die Handlung
Die Geschichte dreht sich um einen skurrilen Vorfall: Im berühmten Louvre verschwinden eines Tages sämtliche Frauenakte. Die Museumsmitarbeiterin Teresa und ihr Kollege, der Kunststudent Nadir, finden sich plötzlich inmitten einer panischen Suche nach den verschwundenen Kunstwerken wieder, die ganz Paris auf den Kopf stellen soll. Autorin Zelba nutzt diese „fantastikomische“ Prämisse, um aktuelle feministische Fragestellungen mit der europäischen Kunstgeschichte zu verbinden und legt dabei den Finger in die Wunde: Im Fokus stehen hier Sexismus und die Objektifizierung des weiblichen Körpers – sei es in antiken Kunstwerken oder im Alltag – sowie die diskriminierte gesellschaftliche Stellung von Frauen.
Feministische Kunstkritik
Bevor ich „Der Große Zwischenfall“ gelesen habe, war mir gar nicht bewusst, wie viel Antifeminismus und schlichtweg Sexismus in der (antiken) Kunst steckt. Besonders die patriarchalen Machtstrukturen, die im Kunstbetrieb noch immer vorherrschen, werden hier maßgeblich verdeutlicht: Da ist der männliche Blick von Besuchern, der die Frauenakte stets sexualisiert und entwürdigt. Da ist der Kapitalismus, der den Marktwert des weiblichen Körpers über die Bedeutung von feministischen Kämpfen setzt. Und da ist die Negierung der weiblichen Erfahrung, die Cis-Männer oft nicht nachvollziehen können oder wollen – Stichwort Catcalling.
Eine Rebellion der Frauen
All diesen schweren, aber ebenso wichtigen Themen gibt Zelba in ihrem Comic Platz. Ich war beim Lesen sehr beeindruckt, wie viele feministische Ansätze in diesem Comic vereint werden. Am liebsten würde ich über alle sprechen, doch das würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Stattdessen möchte ich mich auf den wohl größten Themenbereich konzentrieren, die Körperkritik.
Frauenkörper sind in unserer Gesellschaft kaum vor dem männlichen Blick geschützt, der sie leider nur allzu oft bewertet, sexualisiert, entwürdigt. Beim titelgebenden „großen Zwischenfall“ entziehen sich die weiblichen Akte diesem patriarchalen Blick, indem sie sich selbst unsichtbar machen. Es ist eine „Rebellion der Frauen“, die es leid sind, den lüsternen und übergriffigen männlichen Blicken im Museum ausgesetzt zu sein. Doch ist die Lösung wirklich, sich unsichtbar zu machen, nur, damit frau nicht mehr sexualisiert wird?
Nein, natürlich nicht.
Es ist mehr eine Fluchtreaktion, als eine echte und nachhaltige Lösung des Problems – quasi eine Symptombehandlung. Ich war erleichtert, als genau dieser Aspekt im Comic angesprochen wurde:
„Der männliche Blick kann sich nicht ändern, indem man die nackten Frauen versteckt. Im Grunde bestrafen sie sich selbst. Sie brauchen Hilfe!“ (S. 65)
… und diese Hilfe bekommen sie auch. Ohne euch jetzt zu spoilern – es wird eine passende, und auch etwas überraschende Lösung für das Sexismus-Problem gefunden, die definitiv zum Nachdenken anregt!
Erschreckend echt
Ich möchte hier auf eine Erkenntnis eingehen, die ich beim Lesen des Comics hatte, denn diese hat mich nicht nur beeindruckt, sondern auch etwas erschrocken. Zu Beginn gibt es eine einschneidende Szene, in der die Statuen von männlichen Besuchern sexualisiert werden, indem man(n) sie unangemessen anfasst. Das war extrem unangenehm zu lesen, aber besser hätte man das grundlegende Problem, den strukturellen und alltäglichen Sexismus, nicht darstellen können. Diese Szenen zeigen perfekt, womit viele Frauen im Alltag konfrontiert sind. Und es macht eine Sache erschreckend deutlich: Es spielt keine Rolle, ob Frau aus Marmor, Ölfarbe oder Fleisch und Blut ist – der Fakt, dass sie eine Frau ist, reicht aus, um Opfer von Sexualisierung zu werden. Let that sink in!
Männer als Verbündete
Okay, bis jetzt kommen die Männer in diesem Comic ja nicht allzu gut weg, und das könnte man als Kritikpunkt sehen. In feministischen Werken gibt es nämlich die Tendenz, eine sehr binäre Darstellung der „guten Frauen“ und „bösen Männern“ zu zeichnen. Ich finde aber, dass eine solche Darstellung nicht immer zielführend ist – es fehlt an Differenzierung.
„Der Große Zwischenfall“ ist da anders. Ja, die sexistischen und übergriffigen Kommentare stammen von männlichen Besuchern, und der patriarchale Blick wird scharf – und völlig zurecht – kritisiert. Doch im Laufe des Comics gibt es männliche Verbündete, die das Problem erkennen, einen Wake-up-Call erleben und sich der Rebellion der Frauen anschließen:
„Was, wenn das Verhalten gewisser Männer Auslöser des großen Zwischenfalls war? Ein gesellschaftliches Problem.“ (S. 72)
Diese Worte stammen von Nadir, Kunststudent und Freund von Teresa, der sich ihrem feministischen Kampf angeschlossen hat.
Ich finde es großartig, dass Zelba hier keinen „Frauen-gegen-Männer“-Kampf inszeniert, sondern zeigt, dass feministische Kämpfe für alle wichtig sind und ein starrer Geschlechterkampf niemandem nützt. Die Gefahr ist nicht „der Mann“ selbst, sondern das Patriarchat und seine Strukturen, in denen Sexismus und sexuelle Übergriffe überhaupt erst ermöglicht werden, ohne dass die Täter ernsthafte Konsequenzen fürchten müssen.
Die Zeichnungen – reduziert und kraftvoll!
Nachdem ich ausführlich über die Handlung geschrieben habe, ist es wichtig, auch über das Herzstück eines jeden Comics zu sprechen, die Zeichnungen – und hier liefert Zelba etwas ganz Besonderes ab!

Auffällig ist, dass der Comic mit wenigen Farben auskommt, die jedoch gezielt eingesetzt werden und so die Stimmung beim Lesen beeinflussen. Auch die Figurenzeichnungen sind bunt und vielfältig, und spiegeln die Diversität der Pariser Gesellschaft wieder. Auch der Lesefluss des Comics ist durchgehend flüssig – man fliegt geradezu über die Seiten, die mit teils sehr detailreichen Zeichnungen ausgestattet sind, ohne je überladen zu wirken. Die Gestaltung der Seiten ist ein weiteres Highlight, denn im Gegensatz zu klassischen Comic-Seiten, die durch Panels eingeteilt sind, verzichtet „Der Große Zwischenfall“ auf strikte Einrahmungen der Zeichnungen. Alles wirkt sehr lose, sehr frei, und dennoch gelingt es der Autorin, dass man der Geschichte stets folgen kann und das Auge gekonnt über die Seite geführt wird.
Mit den Zeichnungen transportiert Zelba die feministische Thematik wirksam: Wie könnte man Kunstkritik besser darstellen als durch Zeichnungen selbst? Leser*innen sehen die Kunstwerke, die wegen ihrer sexistischen Darstellung angeprangert werden direkt, anstatt nur eine Beschreibung über sie zu lesen, was die Botschaft des Comics noch greifbarer macht.
Fazit
„Der Große Zwischenfall“ ist definitiv einer meiner neuen Lieblinge unter feministischen Comics, Mangas und Graphic Novels. Neben einer gut ausgearbeiteten und teils richtig lustigen Geschichte mit aussagekräftigen Zeichnungen gelingt es Zelba, feministische Themen anzusprechen, und zum Nachdenken anzuregen. Ich werde „Der Große Zwischenfall“ sicherlich noch ein paar Mal lesen, und auch in weitere Comics der Autorin reinblicken. Klare Empfehlung!
Die Illustratorin
Die deutsche Autorin und Illustratorin Zelba wurde in Aachen geboren und hat bereits zwei Graphic Novels veröffentlicht: Im selben Boot (2019) und Mes mauvaises filles. Zelba lebt in Frankreich.
„Der Große Zwischenfall“ erschien im Januar 2025 beim Helvetiq-Verlag, dem ihr auf Instagram, X oder Facebook folgen könnt.
Kristina Andabak
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