Mit ganz hanseatischer Treue werden hier in Bremen zuweilen Traditionen gepflegt. Beispielsweise das Eiswettfest. Ein klassisches Diner mit speziellem Wein und opulentem Essen, zu dem sich die Honoratioren der Bremer Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nebst Gästen treffen. 800 an der Zahl. Erwartet wird, dass diese Herren – ja, Herren (wir hatten das 19. Jahrhundert, genauer 1828, als diese Tradition entstand) dann auch ordentlich spenden. Die Erlöse kommen der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) zugute. Dieses Jahr, wie immer am dritten Samstag im Monat Januar und 190 Jahre später, sollen dabei über 475.000 Euro zusammen gekommen sein. Für einen guten Zweck, das können wir doch nur unterstützen! Aber während inzwischen in der Währung des 21. Jahrhunderts gezahlt wird, scheint die Eiswette ansonsten noch nicht in der Gegenwart angekommen zu sein: Frauen dürfen nämlich nicht teilnehmen!
Sollte dies dem Gender Paygap geschuldet sein? Da Frauen immer noch weniger Geld verdienen als Männer, glauben die Herren nicht, dass aus weiblichen Geldbörsen ein erwähnenswerter Beitrag auf das Spendenkonto fließen würde? Oder vielleicht soll das eine Art Ausgleich für das Lohngefälle sein und man erwartet von Frauen dankenswerterweise nicht, dass sie große Summen spenden? Nein, so frauenfreundlich sind die Herren dann doch nicht. Sie haben einfach noch nicht begriffen, dass auch Frauen heutzutage in hohen Funktionen arbeiten und in einigen Positionen durchaus dasselbe verdienen wie Männer. Wie zum Beispiel die Bürgermeisterin und Finanzsenatorin Karoline Linnert. Sie ist nicht nur in der gleichen Gehaltsklasse wie ihre männlichen Kollegen Mäurer, Lohse, Günthner (die übrigens eingeladen waren), sondern steht als Vertreterin des Landeschefs Sieling protokollarisch sogar im Rang über ihnen. Dass sie den verhinderten Bürgermeister nicht vertreten durfte, weil sie nun mal kein Mann ist, ist ein Affront sondergleichen und sollte den sonst so Etikette-bewussten Herren (Smoking ist auf der Veranstaltung Pflicht!) die Schamesröte ins Gesicht treiben. Senator Mäurer immerhin hatte die Courage und sagte seine Teilnahme daraufhin aus Protest ab. Leider blieb er damit der Einzige.
Entlarvend ist auch die Begründung des Eiswett-Präsidenten Patrick Wendisch. Laut Weser Kurier (den Artikel durfte immerhin eine Frau schreiben – ja, in den dienenden Funktionen sind wir durchaus willkommen…) sagte er: “Die Eiswette ist ein Kind der Aufklärung und des Zeitalters der Vernunft und da ist es nicht unvernünftig, dass wir Kerle wenigstens einmal im Jahr unter uns sind”. Kann uns jemand die Logik dieser Aussage erklären?
Wir diagnostizieren ein Männer Gaga
Einladungen, Protokoll und Tradition? Die Geschichte in einfachen Sätzen zusammengefasst, liest sich so: Zum Eiswettfest sind nur Männer eingeladen. Der Bürgermeister, als Vertreter des Landes ist auch eingeladen. Auch wenn der Bürgermeister verhindert ist, wird keineswegs die protokollarisch ranghohe Bürgermeisterin zum Fest gebeten, da sie eine Frau ist, sondern der ohnehin eingeladene Oberbürgermeister der Stadt Bremerhaven als Vertreter angesehen. Auf Nachfrage der BILD Zeitung, reagiert der Vereinspräsident Dr. Patrick Wendisch mit folgender Aussage:
„Wir sind ein Herrenclub, machen diesen Gendergaga nicht mit. Selbst der Papst würde nicht eingeladen, wenn er eine Frau wäre.
Auch wenn die Weser fließt und jene Tatsache alljährlich am 6. Januar geprüft wird, kann von Bewegung und Fortschritt kaum die Rede sein. Was denken wir hier also über die Frage, ob die Weser geiht oder steiht? Möge sie geologisch fließen, aber der Stillstand und die Rückwärtsgewandtheit konnte sich selten so deutlich und rückschrittlich in der Frage der Gleichberechtigung zeigen, wie am Beispiel der Eiswette und dem darauf folgenden Eiswettfest am 19. Januar. Die frauenfeindlichen Argumentationen haben gezeigt, dass die Weser in Bremen leider steht. Traurige Medienpräsenz für Bremen, das Leser*innen nun wohl als in Genderfragen rückschrittliches Bundesland in Erinnerung bleiben wird. So fasst die Landesfrauenbeauftragte, Bettina Wilhelm ganz präzise zusammen:
„Der Ausschluss von Frauen beim Eiswettessen, nur weil sie Frauen sind, ist sexistisch, nichts anderes.“
Müssen wir also so weit gehen, und im Jahr, in dem wir 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern, eine Wette zur Eiswette initiieren: wir wetten, dass Frauen im kommenden Jahr zugelassen sind? Das wäre ein sehr bitteres Spiel, das wir da spielen würden. Denn Gleichberechtigung ist kein Glücksspiel und sollte in keiner Weise “gameifiziert” werden. Unser Unverständnis bleibt. Möge der 19. Januar 2019 und die Reaktionen auf das Eiswettfest alle Beteiligten wachrütteln. Öffentliche Bekundungen, die Fragen der Gleichstellung mit einem “Gaga-Zusatz” versehen, sind nicht nur unzeitgemäß und respektlos, sondern schlicht diskriminierend.
Ein Kommentar von Irene Meyer-Herbst & Renate Strümpel
Jenz P. Eters meint
Warum können Männer nicht auch mal was unter sich machen?
Warum müssen Männer Frauen immer mit in ihren Club aufnehmen?
Es gibt Sachen/Clubs/Situationen unter Frauen/unter Männern/ unter Frauen und Männern.
Das ist gelebte Gleiberechtigung
gerda meint
Frage: Warum ist es fortschrittlichen Frauen so wichtig, bei dieser altertümlichen (prahlenden) Tradition dabei zu sein???? Verstehe ich nicht.
Macht doch eine Eiswette oder was anderes ohne Zugangsbeschränkung, um zu zeigen, dass es auch anders gehen kann – und lasst die ignoranten Kerle (Alm-Öhis im Flachland) links liegen. Man muss doch nicht bei jedem Schais mitmachen. Meine Meinung.
renate meint
Traditionen können sich auch modernisieren, so ist unsere Meinung. Dass Frauen auch Zugang zu solchen Veranstaltungen haben, in denen Wirtschaft und Politik zusammenkommen, ist uns wichtig.
Karo meint
…und wie peinlich: Herr Wendisch traut der katholischen Kirche eher zu, im 21. Jahrhundert anzukommen als der Stadt Bremen. Das können wir nicht auf uns sitzen lassen! Schreibt massenhaft Leserbriefe!
renate meint
Beobachten wir also, ob sich etwas bewegt und werden nicht müde, auf solche Missstände hinzuweisen.
Karo meint
Eine Versammlung von Alm-Öhis im Flachland…. Es macht mich traurig, dass mein heiß geliebtes Bremen sich so langsam zur piefigsten Stadt in der Bundesrepublik entwickelt hat. Die Welt hat sich längst bewegt und in Bremen hat man das noch nicht bemerkt.
Ulrike Hauffe meint
Toller Text. Danke. Dem gegenüber steht eine schräge Einschätzung des Chefredakteurs des WK im heutigen WK (22.01.) auf der prominenten Seite 2. Ich fände es Klasse, wenn kurze Leser_innenbriefe an den WK geschickt würden. Es lohnt sich!
renate meint
Sehr gute Idee. Sicherlich fühlen sich einige angesprochen.
Florentine meint
Am meisten ärgert mich, dass die Herren der Bremer Regierung nicht geschlossen boykottiert haben!!! Nur Herr Mäurer war konsequent. Herr Lohse als Grüner ging hin !!! So sieht keine Solidarität aus !
Und die Kommentare der ” feinen Herren” haben mir wieder mal gezeigt, wie unweit wir mit der eigentlich selbstverständlichen Gleichstellung der Frau bis jetzt gekommen sind.
Gender-Gaga nennen sie das ! Ich kann gar nicht so viel essen wie ich kotzen muß.
renate meint
Danke für deinen Kommentar. In der Tat können wir auf alle weiteren Wortmeldungen zum Thema gespannt sein.