Heute vor 75 Jahren liefen die letzten Vorbereitungen, damit am nächsten Tag das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft treten konnte.
Was ist das Grundgesetz überhaupt?
Ursprünglich war das Grundgesetz als Provisorium angelegt, da es nach Ende des Zweiten Weltkriegs nur in Westdeutschland gültig war. Seit der Wiedervereinigung 1990 gilt es in ganz Deutschland. Es ist essenzieller Bestandteil unseres Zusammenlebens und bildet die Basis, auf der die demokratischen Werte beruhen. Am 8. Mai 1949 wurde es durch die alliierten Mächte, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten, bewilligt. In der damaligen Bundeshauptstadt Bonn wurde es am 23. Mai 1949 verkündet und gilt seit der darauffolgenden Nacht.
Das Grundgesetz ist insgesamt mehr als 200 Artikel schwer. In den ersten 19 Artikeln sind die Grundrechte festgeschrieben. Sie beschreiben die allgemeinen Rechte jedes*r Einzelnen gegenüber dem Staat. Dazu gehören beispielsweise der Schutz der Menschenwürde, die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, und die Meinungsfreiheit.
Wie stand es um die Gleichberechtigung?
In der Weimarer Verfassung war seit 1919 festgelegt, dass Männer und Frauen grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten hatten. Darüber hinaus herrschte in der Umsetzung aber eine sehr patriarchale Realität. Nach dem NS-Regime sollte sich mit dem neuen Grundgesetz die Möglichkeit bieten, dem vorherrschenden Ungleichgewicht juristisch weiter entgegenzuwirken. So entstand der Artikel 3 „(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“
Was dann aber den tatsächlich entscheidenden Schritt in Richtung Gleichberechtigung bedeutete, geschah nicht am 22. Mai 1949, sondern einige Monate später. Dem Artikel wurde der Satz “ (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt (…)“ hinzugefügt, der aus der Feder der Juristin Elisabeth Selbert stammt.
Was steckt dahinter?
Als die „Mütter des Grundgesetzes“ werden neben Elisabeth Selbert Friederike Nadig, Helene Weber und Helene Wessel bezeichnet, die als einzige vier Frauen Mitglieder des 65-köpfigen parlamentarischen Rats waren, der das Grundgesetz erarbeitete. Erstere hatte von Anfang an energische Forderungen gestellt und die anderen mit der Zeit motiviert, ebenso gegen die Verharmlosung der Dringlichkeit der Forderungen vorzugehen. Ein aktives und umfangreiches Engagement Selberts in Form von Wandervorträgen konnte viele Frauen im Land mobilisieren, die politischen Forderungen zu verinnerlichen und zu einem relevanten Thema zu machen. Diese Öffentlichkeit führte schließlich zu einem positiv veränderten Klima. Am 18. Januar 1949 wurde der Artikel im vierten (!) Anlauf einstimmig im Grundgesetz verankert.
„Dieser Tag war ein geschichtlicher Tag, eine Wende auf dem Weg der deutschen Frauen in den Westzonen. Lächeln Sie nicht! Es ist nicht falsches Pathos einer Frauenrechtlerin, die mich so sprechen lässt. Ich bin Jurist und unpathetisch […]. Ich spreche aus dem Empfinden einer Sozialistin heraus, die nach jahrzehntelangem Kampf um diese Gleichberechtigung nun das Ziel erreicht hat.“ (Elisabeth Selbert)
Bis die Gesetze in die Tat umgesetzt wurden, sollte allerdings noch einige Zeit vergehen. 1957 und 1977 erfolgten weitere Gesetzeskippungen in Bezug auf die Erziehung und Ehe. Erst 1994 folgte ein weiterer Zusatz zum Artikel 3, Absatz 2: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“.
Und wie steht es heute um die Gleichberechtigung im Grundgesetz?
Auch nach 75 Jahren Grundgesetz ist der Prozess in mehrerlei Hinsicht noch nicht beendet. Der Gender Pay Gap stellt nach wie vor nur eins der strukturellen Probleme dar. Politisch betrachtet steigt die Frauenquote im Bundestag zwar seit 1949, ist aber dennoch nicht auf quantitativer Augenhöhe und auch konkrete juristische Maßnahmen stehen noch aus:
„Mit einem §218 im StGB wird es keine echte Gleichberechtigung und keine Gleichstellung der Geschlechter geben“
Mit diesem Statement fordert Sina Tonk von TERRE DES FEMMES die Bundesregierung erneut zur Entkriminalisierung von Abtreibungen auf. Dieser Paragraph stammt vom 15. Mai. Und zwar Mai vor 153 Jahren…
– Jana und Pia
Schreibe einen Kommentar