Ich erfahre ganz zufällig vom Frauenraum EigenArt – einem Ort, der besonders Frauen mit psychischen Belastungen Rückzugs- und Anschlussmöglichkeiten schaffen soll. An einem düsteren November-Dienstag, mit erstem Schneefall diesen Winter, mache ich mich also auf den Weg zu besagtem „Raum“. Ganz herzlich werde ich in der Dölvesstraße 8 empfangen und nehme den warmen Kontrast des Raumes zur Außenwelt wahr. Ich fühle mich direkt wohl und willkommen.
An diesem Tag habe ich die Möglichkeit, mit drei der Teamfrauen zu sprechen. Sie alle sind bei verschiedenen sozialpsychiatrischen Trägern angestellt und arbeiten 20 Stunden die Woche im Frauenraum. Wir alle sitzen an einem großen Tisch in einem der Aufenthaltsräume, als sie sich mir vorstellen. Gunthild Prüser wirkte zur Gründung des Frauenraums EigenArt bei dessen Konzeption mit und arbeitet nun schon seit zwei Jahren dort. Vorher, erzählt sie, hat sie lange Zeit im Betreuten Wohnen und vor allem mit Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen gearbeitet. Die zweite Teamfrau am Tisch ist Friederike Kreie. Sie fand vor etwa einem Jahr zum Frauenraum und hat vorher viel im ambulanten und stationären Suchtbereich gearbeitet. Auch dabei ist Miriam Krüger, die Diplompädagogik studierte und mit einer Weiterbildung zur Traumapädagogin lange Zeit im Mädchenhaus und der Jugendhilfe gearbeitet hat. Sie ist seit sechs Jahren im Frauenraum EigenArt tätig.
Mit am Tisch sitzen auch zwei Besucherinnen des Frauenraums, die mir aus ihrer Perspektive Einblicke in den Frauenraum EigenArt gewähren.
Ein Ort der Begegnung
„Für mich ist das wie ein Zuhause hier“ – eine der Besucherinnen
In unserem Gespräch höre ich immer wieder, wie wichtig es im Frauenraum ist, Dinge gemeinsam mit den Besucherinnen zu entwickeln.
„Auch schon in der Entstehung haben wir im Vorfeld Benutzerinnen-Befragung gemacht, wie der Bedarf ist. Wir haben uns mit zukünftigen Nutzer*innen zusammengesetzt und überlegt: Was braucht es. Und auch heute haben wir regelmäßig sogenannte Foren, wo alle, die Interesse haben zusammensitzen und gucken, was anliegt. Das geht dann von Kochdiensten bis hin zu Ausflügen, Ferienfahrten oder eben auch wenn es mal einen Konflikt gibt“, erzählt mir Gunthild Prüser.
Auch die Niedrigschwelligkeit und der Austausch auf Augenhöhe sind wichtige Bestandteile des Umgangs miteinander. „Der Frauenraum EigenArt ist ein Ort der Begegnung für Frauen mit seelischen Belastungen“, so heißt es auf ihrer Website.
„Begegnung ist ein sehr offener Begriff und das ist hier auch die Idee. Es ist sehr offen, wie der Raum genutzt wird von den Besucherinnen. Hier ist viel möglich und man kann sich auf ganz verschiedenen Ebenen oder Kontexten begegnen. Der Frauenraum ist ein Ort der Begegnung, aber wie das dann jede Besucherin für sich gestaltet ist sehr offen.“ – Miriam Krüger
Es gibt immer was zutun – wenn es dir hilft
Wie der Name „EigenArt“ schon verrät, kann jede Besucherin ihre Zeit im Frauenraum auf ihre eigene Art gestalten. Auch um Vorhersehbarkeit zu schaffen, gibt es einige feste Angebote, wie das gemeinsame Kochen oder das Forum zur organisatorischen Absprache. Einmal in der Woche kommt zudem eine externe Honorarkraft, die Kreativangebote anbietet – für alle, die Lust haben. Durch die flache Hierarchie zwischen Teamfrauen und Besucherinnen entstehen immer wieder auch Angebote von Besucherinnen selbst, die aus ihren eigenen Interessen etwa Nähkurse, eine Gartengruppe oder gemeinsames Basteln anbieten.
„Wir versuchen sehr stark auf Augenhöhe zu arbeiten. So lerne ich genauso viel von den Besucherinnen, wie womöglich die Besucherinnen von mir“ – Gunthild Prüser
Neben den festen Angeboten stehen die Räumlichkeiten in ihrer vollen Ausstattung für alle Frauen zur Verfügung. Jederzeit stehen ein voll ausgestatteter Kreativraum, Bücher und ganz viele Spiele bereit – oder eben auch kleine Räume zum Rückzug.
„Viel findet in der Gruppe statt – aber nicht zwangsläufig“, erzählt Friederike Kreie. „Es gibt auch immer Frauen, die einfach hierher kommen und sich ins Zimmer drüben setzen und alleine etwas machen.“
So schätzen viele schon den Kontakt, den sie zu bekannten oder neuen Gesichtern im Frauenraum knüpfen können.
„Ich brauche Kontakt und ich weiß, wenn ich hierher komme, dass ich hier mittlerweile schon Freundinnen treffe oder eben auch neue Frauen und Perspektiven kennenlerne“, erzählt mir eine regelmäßige Besucherin des Frauenraums.
„Raus aus dem Kopf – Rein in den Körper“. Nach diesem Motto bietet Miriam Krüger seit einiger Zeit wieder das Boxen an. Sie erzählt mir, dass es vielen Frauen, gerade wenn es ihnen nicht gut geht, hilft, den eigenen Körper und die eigene Kraft wahrzunehmen.
„Die Idee ist, ein Angebot zu schaffen für Frauen, die Lust haben etwas auszuprobieren, zu spüren, wie viel Kraft habe ich und wie komme ich an diese Kraft. Manche haben auch Lust, sich richtig auszupowern – das ist immer flexibel, je nachdem worauf die Frauen Lust haben“ – Miriam Krüger
Ein weiteres Angebot des Frauenraums ist die jährliche Ferienfahrt. So ging es für alle Teilnehmende in den letzten Jahren zweimal an die Nordsee und einmal nach Bredbeck bei Osterholz-Scharmbeck.
„Die Ferienfahrt stellt für viele Besucherinnen ein richtiges Highlight dar, da einige alleine nicht die Möglichkeit haben in den Urlaub zu fahren, sei es aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigungen oder aus finanziellen Gründen.“ – Miriam Krüger
Wie der Frauenraum EigenArt entstand
Mit der Idee, neben den normalen Tagesstätten für psychisch Erkrankte einen Geschützten Ort nur für Frauen zu schaffen, wurde das Projekt initiiert.
Entstanden ist der Frauenraum EigenArt aus dem trägerübergreifenden Arbeitskreis “Frauen & Psychiatrie”, den es seit Mitte der 90er Jahre gibt. „In diesem Arbeitskreis haben sich interessierte Frauen mit der Idee zusammengesetzt, neben den normalen Tagesstätten für psychisch Erkrankte, einen geschützen Ort nur für Frauen zu schaffen,“ erzählt Gunthild Prüser. Sie war damals bei der Konzeption des Frauenraumes dabei und erinnert sich gut an die Anfänge des Frauenraums. Damals übernahm die private Förderorganisation „Aktion Mensch“ die Finanzierung eines dreijährigen Modellprojekts, was dem Frauenraum 2015 den Einzug in seine ersten Räumlichkeiten in der Feldstraße ermöglichte.
Schnell zeigte sich durch die hohen Besucherinnenzahlen, dass das Angebot angenommen und der Bedarf hoch ist. Und so haben die früheren Kolleginnen und Besucherinnen dafür gekämpft, dass der Frauenraum EigenArt weiterhin finanziert wird.
„Die haben viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht und auch Politikerinnen waren hier“, erzählt eine langjährige Besucherin des Frauenraums, „die haben sich für eine feste Finanzierung eingesetzt.“
„Es wurden nacheinander die Sozialsenatorin, die Gesundheitssenatorin, die Frauenbeauftragte, der Psychiatriereferent und die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen in den Frauenraum eingeladen, um sie vom Bedarf des Fortbestehens und der Notwendigkeit einer Weiterfinanzierung des Frauenraums zu überzeugen“, heißt es auf der Website des Frauenraum EigenArt.
2019 schließlich entwickelte sich eine Regelfinanzierung durch vier in Bremen tätige Sozialträger: dem Arbeiter Samariter-Bund, der Initiative zur sozialen Rehabilitation e.V., der Bremer Werkgemeinschaft und dem Verein für Innere Mission in Bremen. Seither ist die Regelfinanzierung gesichert.
„Was wir für die Finanzierung damals und jetzt für die Regelfinanzierung von der Stadt Bremen nachweisen müssen, ist eine Besucherinnen-Statistik, wo wir festhalten, wie viele Frauen pro Tag in den
Frauenraum kommen. Außerdem schreiben wir jährlich einen Jahresbericht in dem wir dokumentieren welche Aktivitäten und Angebote stattgefunden haben, welche Themen uns über das Jahr begleitet haben und was für Veränderungen es im Frauenraum gab.“ – Miriam Krüger
Der Umzug und der heutige Frauenraum
Während der Covid-Zeit stand dann der Umzug des Frauenraums in größere Räumlichkeiten an.
„Anfangs war es hier eine riesige Halle, überall Kabel und Schutt“, erzählt mir eine langjährige Besucherin des Frauenraums. „Ich weiß noch, ich hab damals mit einer Frau, die Architektin war, so ein kleines Modell gebaut und Plakate gestaltet mit Listen von Dingen, die wir für den Umbau brauchen“.
Die Räumlichkeiten sind mit Bedacht gestaltet. Spiele stapeln sich, eine große Küche ist voll ausgestattet und überall hängt selbstgemachte Kunst an den Wänden. Es gibt einen Kreativraum, eine kleine eigenständige Boutique, aber auch Rückzugsräume, in denen die Teamfrauen sogenannte Entlastungsgespräche anbieten.
Keine Therapie – und das soll so
In unserem Gespräch frage ich in die Runde, was den Frauenraum von einer Therapie oder einer ambulanten Psychiatrie unterscheidet. Friederike Kreie erzählt mir, dass der Fokus ein ganz anderer ist:
„Es gibt nichts zu erfüllen, keine Ziele die erarbeitet werden müssen, nichts, was zwangsläufig miteinander betrachtet werden muss – sondern es geht von den Besucherinnen aus, was ihnen wichtig ist oder nicht. So geht es bei vielen eben nicht um eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit oder den Problemen, sondern um das Hier-Miteinander- Sein – und miteinander eine schöne Zeit zu haben“
Gunthild Prüser erklärt, dass alle Frauen, die zum ersten Mal in den Frauenraum kommen, weder eine Verordnung noch aufgelistete Diagnosen mitbringen müssen.
„Wir haben in dem Sinne keinen Anspruch auf Heilung, also ich glaube hier heilen wirklich Einige, – aber es ist nicht so, dass wir das als Konzept haben, sondern man ist hier und guckt eben miteinander, was liegt jetzt an.“
Miriam Krüger ergänzt, dass die Teamfrauen zudem keine ausgebildeten Psychotherapeutinnen sind. Oft sind die Übergänge ihrer Arbeit zwar fließend, dennoch versuchen sie, Grenzen zu therapeutischen Settings zu ziehen.
„Belastungsgespräche begrenzen wir auf 20 Minuten. Der Fokus bleibt sehr auf dem Hier und Jetzt. Auf Genesung und Stabilisierung. Kontakte und Tagesstruktur.“
Wo es an Kapazitäten fehlt
In unserem Gespräch im November 2024 erzählen mir die Teamfrauen auch von fehlenden Kapazitäten, neue Besucherinnen aufzunehmen, was unter anderem ihrer aktuellen Unterbesetzung geschuldet ist.
„Unser Anspruch, wenn neue Besucherinnen kommen, ist, dass sie hier gut ankommen können. Deshalb haben wir gesagt, es ist sinnvoll [den Frauenraum] nicht zu überladen, um mit denen, die da sind, gut im Kontakt bleiben zu können.“ – Miriam Krüger
Zum Zeitpunkt meines Besuches hatte der Frauenraum einen „Aufnahmestopp“ eingeleitet, um der hohen Besucherinnen-Zahl gerecht zu werden. Ab 2025 sollen neue Besucherinnen aber wieder herzlich willkommen sein. Dann wird es, wie zuvor, alle zwei Wochen Kennenlerntermine in einer kleinen Gruppe geben, bei denen die Teamfrauen den Frauenraum vorstellen und Interessierte fragen stellen können und herumgeführt werden.
„Ab dann können sie jederzeit kommen und gehen.“ – Frederike Kreie
Wie der Frauenraum unterstützt werden kann
Über Spenden freut sich der Frauenraum EigenArt sehr.
„Wir haben den Anspruch, dass alles, was hier stattfindet, kostenlos oder gegen sehr geringe Selbstbeteiligung funktioniert. Wenn wir Spenden bekommen, können wir uns gemeinsam mit den Besucherinnen im Forum absprechen und nach Ideen zur Verwendung suchen.“ – Miriam Krüger
Das Spendenkonto: Verein für Innere Mission in Bremen
Verwendungszweck: Frauenraum
Sparkasse Bremen
IBAN: DE22 2905 0101 0001 0777 00
BIC: SBREDE22XXX
Ein Raum, der in Erinnerung bleibt
Rückblickend hat mich der Besuch beim Frauenraum Eigenart sehr gerührt. Solch ein schöner, gemütlicher und unterstützender Ort für Frauen – der Frauenraum ist wirklich eine große Bereicherung für Bremen. Gerade die hohe Nachfrage an Besucherinnen zeigt, wie sehr solch ein geschützter Raum für Frauen benötigt wird. Dank der Teamfrauen bietet der Frauenraum Entlastungsgespräche und viele unterstützende Angebote an, die Frauen mit seelischen Belastungen sehr helfen können. Sie schaffen Vorhersehbarkeit, Austausch und eine herzliche Anlaufstelle für Jederfrau.
„Schon allein, weil für manche der Anreiseweg hier her sehr lang ist“, erzählt mir eine Besucherin, „sollte es zum einen innerhalb Bremens, aber natürlich auch außerhalb mehr solcher Orte geben“.
So verabschiede ich mich von den Teamfrauen und Besucherinnen und lasse einen Ort zurück, der mir auf jeden Fall in Erinnerung bleiben wird.
Alles auf einen Blick
Website: https://frauenraum-bremen.de/
Adresse:
Frauenraum EigenArt
Dölvesstraße 8
28207 Bremen
Öffnungszeiten:
Montag bis Donnerstag von 11:00 bis 17:00 Uhr
Freitag von 11:00 bis 15:30 Uhr
Bei Anfragen: – ab Januar 2025 wieder möglich
Telefon: 0421/ 790 11 800
Email: info@frauenraum-bremen.de
Falls du Hilfe benötigst
Telefonseelsorge: 0800 1110111 oder 0800 1110222
Die Website des PsychNavi hier
Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: 116 016 – anonym, kostenfrei, 24h, mehrsprachig
Onlineberatung hier
Helena Bizarmanis
Schreibe einen Kommentar