Vor gut 10 Jahren war Facebook in Deutschland noch ein „Buch ohne Gesichter“ und das Handy war tatsächlich nur zum telefonieren und SMS schreiben da. Wer technisch auf dem neusten Stand war, besaß schon eine Digi-Cam. Erstmals wurden also Freund*innen, Familie, Landschaften, Erlebnisse vermehrt in Pixelform festgehalten. Oft waren die digitalen Fotos qualitativ so schlecht, dass man nicht immer alles auf Anhieb erkennen konnte.
Ich erinnere mich daran, dass ich damals eine Diskussion mit Freund*innen darüber führte, wie dauerhaft dieses Speichermedium denn eigentlich sein würde. Immerhin existieren die Schwarzweiß-Bilder unserer Großeltern bis heute noch. Sie liegen fein säuberlich in Kartons gepackt im Schrank von Omi und Opi und werden regelmäßig bei Familienfeiern oder während eines nostalgischen Gemütszustands rausgeholt. Dabei ist immer diejenige Person, die das Bild gemacht hat, nicht mit auf dem Bild. Niemals ist jemand von unseren Großeltern oder sogar Eltern auf den Gedanken gekommen, haufenweise Fotos von sich selbst zu schießen! Wozu denn auch? So etwas galt als total absurd! Außerdem gab es doch genug Menschen, die einen fotografierten. So selbstverliebt konnte doch niemand sein! Auch Omi nicht.
Das Ego in Pixelform
Vor fünf Jahren kam ich mit einer Digi-Cam in die verbotene Versuchung ein digitales Abbild von mir selbst zu schießen. Das Online-Portal StudiVZ war grad in aller Munde und ein aktuelles Foto musste schnell her. Wichtig war dabei, dass dieses Bild so aussehen musste, als hätte es jemand anderes gemacht. Ein selbstgeschossenes Bild konnte doch auch bedeuten, dass man niemanden hatte, der ein Foto von einem schießen möchte. Also wurde dann über einen längeren Zeitraum versucht, sich so für das Foto zu positionieren, dass dabei die eigenen ausgestreckten Arme auf keinen Fall zu sehen sind. Das wäre sonst viel zu peinlich gewesen!
Aber warum sind dann Selfies auf einmal so unglaublich beliebt? Diese Frage gehen wir jetzt mal so an, wie es in jeder Wissenschaftssendung gemacht wird: Wir blicken in die Geschichte.
Selfies im Spiegel der Zeit
Die griechische Mythologie erzählt von einem schönen Jüngling namens Narziss. Durch seine Schönheit übte er eine unglaubliche Anziehungskraft auf seine Mitmenschen aus, doch wies er alle aus Stolz und Überheblichkeit zurück. Als Narziss sich eines Tages an einer Wasserquelle niederlässt, um etwas zu trinken, verliebte er sich in sein Selbstbild. Er gerät in einem Wahn, versucht verzweifelt dieses Spiegelbild zu greifen. Dabei fällt der schöne Jüngling ins Wasser und ertrinkt.
Es gibt verschiedene Versionen dieser Geschichte, aber eines haben sie alle gemeinsam: Narziss liebt nicht sich selbst, sondern nur das Spiegelbild, dass er von sich hat. Und er versucht es, dauerhaft festzuhalten. Der Begriff „Narzissmus“ als Synonym für übersteigerte Eitelkeit ist geboren.
Eine große Leidenschaft für sein eigenes Bild pflegte auch Ludwig XIV. Nachdem er sich selbst zum Kaiser krönte, ließ es sich einen königlichen Jagdsitz in Versailles zum prachtvollsten Schloss Europas ausbauen. Der selbstverliebte Sonnenkönig befahl einen fast 75 Meter langen und mehr als zehn Meter breiten Raum mit 357 Spiegelflächen zuzupflastern – der weltbekannte Spiegelsaal. Damit seine Herrlichkeit auch für seine Nachkommen erhalten bleibt, beauftragte er die besten Künstler seiner Gegenwart damit, auch noch unzählige Prunkbilder von ihm selbst in voller Königsmontur zu malen. In seinem Geltungswahn brachte der Kaiser den französischen Staat an den Rand des Bankrotts.
Wir halten also fest: Das Social-Media-Zeitalter hat den Narzissmus nicht erfunden. Schon immer strebten wir danach, dass andere sich für uns begeistern – ja uns vielleicht insgeheim beneiden. Wir wollen schöne Momente für die Ewigkeit festhalten, so wie der schöne Narziss oder Ludwig XIV. „Schaut mich an, l’état, c’est moi!“
Wie sexy, cool, verrückt bin ich?
Beim Selfie dreht es sich also weniger um die Person an sich, sondern vor allem um die Schönheit bzw. das Aussehen und um die Bewertung dessen. Ein Selfie wird auf Facebook oder Instagram gepostet und es ist wenig wert, wenn es keinen „Like“ bekommt. Es impliziert die unterschwellige Frage: Wie sexy, cool, verrückt bin ich? Bewerte mich! Beneide mich! Es suggeriert uns nur, dass jemand eine schöne Zeit, ein tolles Leben hat. Es spielt auch mit unseren eigenen Sehnsüchten. Aber im Grunde genommen, ist es nichts anderes, als eine Form der Kommunikation. Wir brauchen die Bestätigung von anderen. Wir werden süchtig danach.
Inzwischen hat jedes Selfie und jede Pose auch einen Namen. Duckface, Belfie, Welfie, Relfie, After Sex Selfie, Shufles…der Wahnsinn kennt kein Ende! Und viele vergessen dabei auch, dass alles, was einmal ins Netz gelandet ist, meistens auch für immer im Netz bleibt.
Ein Plädoyer für das Leben und gegen Selfies
Was mich persönlich an Selfies stört, ist, dass es uns daran hindert, den Moment zu genießen. Wir zerstören ihn, indem wir ein Foto davon machen. Meistens nerven wir auch noch andere damit. Wir verplempern unsere Zeit, indem wir unsere Selfies auch noch per Photoshop bearbeiten, damit es uns im perfekten Licht einfängt. Zum Glück geht jeder Hype auch irgendwann vorbei…
Pauline Lis
Schreibe einen Kommentar