Frauen wird oft vorgeworfen, dass sie im Umgang miteinander wenig solidarisch seien. Mitunter heißt es sogar, Frauen sähen einander grundsätzlich als Konkurrenz und es ist von „Stutenbissigkeit“ die Rede. Auch in und zwischen den unterschiedlichen feministischen Strömungen wird immer wieder beklagt, dass es dem Feminismus an Solidarität mangelt. Doch ohne Zusammenhalt kann eine Bewegung kaum erfolgreich sein. Den Vorwurf, dass der Feminismus sich zu sehr auf die Belange verhältnismäßig privilegierter Frauen konzentriere, äußerte schon Clara Zetkin. Das ist knapp hundert Jahre her. Mit einer wachsenden Diversität der Gesellschaft hätte sich auch der Feminismus seitdem für unterschiedliche Belange öffnen können und müssen. Das gelang bei weitem nicht an allen Stellen.
Verstreut unter den Männern
Die Schwierigkeiten des feministischen Zusammenhalts sah Simone de Beauvoir als historisch gewachsen:
Es fehlen [den Frauen] nämlich konkrete Mittel, um sich zu einer Einheit zusammenzuschließen, die sich selbst setzt, indem sie sich entgegen – setzt. Sie haben keine eigene Vergangenheit, Geschichte oder Religion. Sie bilden im Gegensatz zu den Proletariern keine Arbeits- und Interessengemeinschaft. Zwischen ihnen gibt es nicht einmal das räumliche Miteinander […]. Sie leben verstreut unter den Männern. (15)
Mit diesem fast biblischen Fazit fasst de Beauvoir ein zentrales Problem in Worte: Historisch betrachtet war die Unterstützung durch andere Frauen weder viel Wert noch besonders erstrebenswert. Gerade für privilegierte, bürgerliche Frauen lag die Sicherheit in der eigenen Familie, nicht bei den Geschlechtsgenossinnen. Je besser eine Frau gesellschaftlich gestellt war, umso unwahrscheinlicher war es, dass sie jemals für sich selbst einstehen konnte. Von der Tochter wurde sie im Idealfall zur Ehefrau und Mutter, im schlimmsten Fall zur mitversorgten Schwester. Ausnahmen von diesem Werdegang waren unbedingt zu vermeiden und, wenn sie doch vorkamen, eine Blamage für die ganze Familie. Eine Ausbildung und Berufstätigkeit, die wirtschaftliche Unabhängigkeit und selbstständiges Leben ermöglicht hätte, war nicht vorgesehen. In diesen Abhängigkeitsverhältnissen ist es kein Wunder, dass die Interessen der Männer in aller Regel auch zu den eigenen Interessen gemacht wurden.
Ökonomisches Parasitentum
Freundschaften mit anderen Frauen konnten in diesen Verhältnissen eine angenehme Zerstreuung sein, mussten im Zweifel aber hinter anderen, als wichtiger empfundenen Werten zurückstehen:
Die Frauen des Bürgertums waren zu sehr in die Familie eingebunden, um untereinander praktische Solidarität empfinden zu können. Sie bildeten keine Kaste für sich, die imstande gewesen wäre, Forderungen durchzusetzen: ökonomisch war ihre Existenz parasitär. (152)
Dieses ökonomische Parasitentum, wie de Beauvoir es nennt, verhinderte erfolgreich eine Auflehnung gegen die patriarchalen Strukturen. Ein Zerwürfnis mit dem ernährenden Ehemann hätte unweigerlich zu wirtschaftlicher, existenzieller Not geführt. Solidarische Strukturen ließen sich tatsächlich immer am ehesten da feststellen, wo Frauen über zumindest bescheidene wirtschaftliche Eigenständigkeit verfügten. Dies traf vor allem auf Frauen aus der Arbeiterschicht und Sexarbeiterinnen zu, die am Rande der Gesellschaft standen und keine politische Macht ausüben konnten. Schon gar nicht, solange sie keine direkte Möglichkeit zur politischen Partizipation hatten. Die Solidarität blieb also auch hier auf direkte und praktische Hilfe innerhalb des eigenen Milieus beschränkt. Ein spürbarer Wandel dieser Verhältnisse lässt sich erst seit gut hundert Jahren feststellen.
Stimmen für das Patriarchat
Als die Rufe nach einem Wahlrecht für Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts langsam unüberhörbar wurden, war die Befürchtung vielerorts, dass die stimmberechtigten Frauen sich politisch gegen ihre patriarchalen Unterdrücker wenden würden. Vor allem die Sorge vor einem Erstarken der Sozialdemokratie war groß. Doch die Ängste waren unberechtigt – viele Frauen wählten konservativer als ihre Männer. Bis in die 1980er-Jahre wurde in der BRD eine deutliche Tendenz beobachtet, dass Frauen eher christdemokratische bzw. konservative Parteien wählten. Erst in den letzten knapp vierzig Jahren wählen Frauen eher sozialdemokratisch bis links.
Man geht davon aus, dass dieses Wahlverhalten Hand in Hand geht mit einem gestiegenen Bildungs- und Einkommensniveau bei Frauen und einer damit wachsenden Unabhängigkeit. Allerdings darf man nicht der Illusion verfallen, dass Frauen heute notwendigerweise im Interesse der Frauen handeln. In den USA beispielsweise gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass vor allem weiße Frauen für Kandidat*innen stimmen, die durch frauenfeindliche Äußerungen aufgefallen sind oder gegen Gesetzesentwürfe gestimmt haben, welche die Situation von Frauen verbessern könnten. Schwarze Frauen, die weit mehr Diskriminierung erfahren, weisen ein anderes Wahlverhalten auf und stimmen eher für Kandidat*innen, die eine progressivere Politik unterstützen.
Vom Privileg zur Solidarität
Generell legen diese Untersuchungen nahe, dass Menschen in bequemen Verhältnissen wenig dazu neigen, etwas ändern zu wollen. Wer in gesicherten Verhältnissen lebt und wenig Diskriminierung erfährt, legt den Fokus auf andere Interessen und Werte:
Viele Frauen von heute, die das Glück hatten, dass ihnen alle Privilegien des Menschen zurückgegeben wurden, können sich den Luxus der Unparteilichkeit leisten. (24)
Diese Aussage stammt bereits von 1949, ist aber unverändert aktuell. Gleichgültigkeit gegenüber grundlegenden Rechten ist ein Luxus, den sich nur wenige leisten können. Man kommt auf Dauer nicht umhin, zu hinterfragen, wo man durch die eigenen Privilegien gleichgültig und unparteiisch geworden ist und an welchen Stellen man damit weniger Privilegierten Schaden zufügt. Solidarität heißt nicht, die eigenen Rechte aufzugeben. Man muss nur bereit sein, sie auch anderen zuzugestehen und sich im Zweifel dafür einzusetzen, dass sie auch anderen zugesprochen werden.
Marion Rave
Alle Zitate von de Beauvoir stammen aus Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe Rowohlt, 2000.
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