Triggerwarnung: Dieser Bericht beschreibt einen Todesfall. Einige Leser*innen könnten das beunruhigend und retraumatisierend finden. Lest diesen Text also nur, wenn ihr euch psychisch stabil genug fühlt.

Prozessbericht vom 20.1.2025
Heute hören wir das Plädoyer der Strafverteidigung, das letzte Wort des Angeklagten und die Urteilsverkündung.
Plädoyer des Strafverteidigers
Der Strafverteidiger nahm Bezug auf das Plädoyer des Staatsanwalts und wies auf das Fehlen von direkten, mittelbaren Beweisen hin. Er hielt es für fraglich, ob der Kopfschuss selbst- oder fremdbeigebracht wurde und meinte, der Staatsanwalt halte an Indizien fest und habe nicht die Beteiligung eines Dritten in Betracht gezogen.
In Bezugnahme auf die Feststellungen durch den Sachverständigen, wäre der Winkel des Einschusses auch durch Abrutschen denkbar und es gäbe keine Statistiken, die über die üblichen Winkel bei Selbsttötungen aufklären würden. Fehlende „Backspatter“ würden einen Suizid nicht ausschließen und auf dem Angeklagten konnten keine Blutspuren sichergestellt werden.
Was Schmauchspuren angehe, so hätte der Angeklagte die Möglichkeit gehabt, sich die Hände zu waschen, müsse es aber nicht getan haben. Handtücher, die das gegebenenfalls hätten beweisen können, wurden nicht untersucht. Die geringe Menge an Schmauchspuren auf den Händen des Angeklagten könnten bei Sicherung der Waffe übertragen worden sein, gleichzeitig hätte auch die Tote Schmauchspuren gehabt. Er fügte hinzu, dass die Tests des Sachverständigen zu ungenau seien und meinte, die Beschaffenheit, beziehungsweise der Zustand der Waffe vor oder bei der Tat könne einen Einfluss auf Schmauchspuren haben können, ferner hätten die Hunde eventuell Schmauchspuren ablecken können.
Es müsse konkret festgestellt werden, ob der Angeklagte die Tote getötet hat und nicht, ob ein Suizid vorläge. Er stellte die Frage: „Was spricht weiterhin gegen die Täterschaft des Angeklagten? Und was spricht für einen Suizid?“
Zunächst könne kein Motiv festgestellt werden, im Gegenteil; der Angeklagte wäre finanziell von der Rente der Toten abhängig. Vor ihrem Tod hätte er sich um die Tote gekümmert. Sein „Nachtatverhalten“ zeigte schwere Betroffenheit, er wäre mitgenommen gewesen, habe sich nach einem Beerdigungstermin erkundigt und wurde in eine Klinik eingewiesen.
Seine Lebenspartnerin habe Aufenthalte in der Tagesklinik gehabt, und wäre in einem wechselhaften Zustand gewesen; gegebenenfalls wieder suizidal. Es sei unbekannt, ob sie ihre Medikamente tatsächlich eingenommen habe. Auch hätten sich DNA-Merkmale von der Toten am Abzug gefunden und sie habe keine Abwehrverletzungen gehabt.
Zum Schluss meinte er, die Indizien würden weder die vorgeworfene Tat, noch gegebenenfalls den Suizid belegen: Es könne sich auch um einen tragischen Unfall handeln. Aber das wäre nicht die Frage: „Es bleibt in der deutschen Rechtsprechung: Im Zweifel für den Angeklagten“.

Das letzte Wort des Angeklagten
Er schloss sich seinem Verteidiger an und beteuerte unter Tränen, dass er seine Lebenspartnerin nicht getötet hätte.
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Der Richter kündigte daraufhin eine Unterbrechung des Prozesstages an und bat alle Beteiligten, um 14:00 Uhr wieder im Saal zu erscheinen.
Diesmal sind die Zuschauerbänke vollbesetzt und ein Kamerateam macht Aufnahmen im Saal.
Das Urteil
Der Richter folgt den Forderungen der Staatsanwaltschaft und verhängt eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten nach Paragraph 212 StGB. Der Angeklagte habe die Tote um 7:50 Uhr am Tattag erschossen und nahm ihren Tod zumindest billigend in Kauf. Ob es vorher einen Streit gegeben habe, bliebe unklar; der Angeklagter habe von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht.
Die Begründung
Da es kein Geständnis des Angeklagten gibt und es sich um einen Indizienprozess handelt, wäre die Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien maßgeblich; diese dürften nicht isoliert betrachtet werden, aber nur weil es keine isolierten Beweise gäbe, dürfe der Angeklagte nicht freigesprochen werden.
Der Verlust der Rente der Toten spräche für eine spontane, nicht lang geplante Tat, Gleichsam beweise sie nicht die Unschuld des Angeklagten. DNA der Toten sei zwar an der Waffe, aber aufgrund des Herumliegens diverser Waffen in diversen Bereichen des Hauses (nicht sachgemäß verschlossen), hätte sie genug Möglichkeit gehabt, die Waffe bei anderer Gelegenheit anzufassen.
Die Argumente für seine Täterschaft würden überwiegen, insbesondere die Schmauchspuren (Verweis auf Vergleichsreihe). Der Sachverständige hielte die Variante des Täters für möglich, gleichwohl auch die Variante des Tötens mit anschließendem Händewaschen unter fließendem Wasser ohne Seife. Ferner hätte der Angeklagter eine Affinität für (Schreck)-Schusswaffen; Gaspistolen wären sein Hobby: Daher kannte er sich mit deren Funktionsweisen gut aus.
Gegen eine Selbsttötung sprächen die sehr wenigen Schmauchspuren an der Toten (10-15 Partikel) bei der Versuchsreihe gegen die über 2.000 beim Angeklagten. Ferner fehlten bei der Toten die sogenannten „Backspatter“, die beim Suizid üblich seien. Diese Tatsachen in Kombination seien ungewöhnlich, zumal auch der Schusswinkel untypisch sei.
Der Angeklagte habe unrichtige Angaben zum Notruf gemacht, insbesondere was die Aufforderung zur Sicherung der Waffe angehe.
Das Urteil laute daher auf Totschlag in Tateinheit mit Verstoß gegen das Waffengesetz. Es gäbe keine Anhaltspunkte für Mord, beziehungsweise fehlende Schuldfähigkeit. Der Angeklagte sei alkoholkrank gewesen und zum Zeitpunkt der Tat wahrscheinlich mit 1-1,5 Promille alkoholisiert; das sei aber nicht ausschlaggebend. Dem Angeklagten wurde positiv ausgelegt, dass er bis zur Tötung straffrei war, und seine schwierige, konfliktreiche Beziehung zur Toten wurde berücksichtigt. Der zweite Anruf bei dem Notdienst mit dem Hinweis, seine Lebensgefährtin lebe doch noch, wurde als Bemühung um ihr Leben gewertet.
Die Länge der Strafe wäre wie von Staatsanwaltschaft gefordert und der Haftbefehlt vom 9.4.2024 würde noch bestehen. Zum Schluss wies der Richter darauf hin, dass Revision innerhalb der Frist von einer Woche möglich sei.
Wir möchten darauf hinweisen, dass der Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen (AKJ) mit deren exzellenten Hilfe wir die letzten beiden Beiträge in dieser Serie verfasst haben, sich bei diesem Fall nicht endgültig auf den Begriff „Femizid“ festlegen würde.
Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen (AKJ) / Glenys Gill
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