Tanztheater als ein Erlebnis. Eine erlebnisbeschreibende Annäherung an das Stück “Diamonds”. Wir kommen an und werden wie in einem freundschaftlichen Raum empfangen. Setzen uns auf Treppenpolster. Andere Personen wählen einen Stuhl oder ganz und gar den Boden. Die so entstandene Stimmung knüpft durchaus an Aussagen der US-amerikanischen Feministin bell books an.
“Generous sharing of all resources is one concrete way to express love. These resources can be time, attention, material objects, skills, money etc…Once we embark on love’s path we see how easy it is to give. A useful gift all love’s practitioners can give is the offering of forgiveness. ” bell hooks, all about love. new visions.
Nicht nur die Interaktion, das Ankommen, auch die vorherrschende Musik wird in den nächsten rund hundert Minuten unsere Eindrücke ausfüllen, vielleicht sogar lenken.
Der DJ Zen Jefferson untermalt sphärisch die ersten besonderen zeitlupenartigen Miniaturen. „I don’t want him, you can have him, he’s not worth fighting for“ erklingt immer wieder . Der DJ bleibt das ganze Stück über mit seinem Pult Teil des Bühnenbildes. Zen Jefferson wird uns mit Mashups aus Metal und Klassik quälen. Mit brasilianischen Songs um unser Herz buhlen. Manchmal sehr laut mit beißenden Höhen und manchmal leise.
Die ruhigen Beziehungsminiaturen werden von Tumult abgewechselt. Doch nun sind wir ja durch den emphatischen Empfang der Mitwirkenden und die langsame Steigerung schon mittendrin und können uns in die Gefühle von Liebe und Verbundenheit hineinfinden. Abschied gehört hier auch immer wieder in die Erzählung. Denn das Zitat aus dem Jazz Standard “You can have him” taucht zuweilen als Mantra auf.
Der Diamant aus Leuchtstoffröhren hat noch keine Erwähnung gefunden. Es ist ein einerseits komplexer, andererseits klarer Fixpunkt. Er schwebt über allem. Durch seine Lichtwandlungen teilt er das Stück in stilistische Kapitel. Die Lichtveränderungen läuten Veränderungen ein, unterstreichen auch gezeigte Stimmungen. Blaue Kälte, bunte Verbundenheit, einige Farbwechsel nehmen die Farben verschiedenster queerer Flaggen auf.
Es passiert immer recht viel. Die Tänzer*innen nehmen immer wieder Kontakt auf: zum Publikum auf die ein oder andere Weise. Freudig funkelt es in den Augen einer Tänzerin (Maria Pasadaki), als eine Zuschauerin Bewegungen erwidert, gar sitzend spiegelt. Die Trennung von Publikum und Tänzer*innen wird im Laufe des Abends immer wieder hinterfragt und zuweilen durchbrochen.
Wir werden immer wieder durch Möglichkeiten von Beziehungen zwischen Personen geführt. Deutliches Zeichen ist hier, dass die Variablen stets neu gemischt werden. Wir werden in einen Kosmus hineingezogen, der uns daran erinnert, dass die Karten im Leben neu gemischt werden. Wir brauchen bedingungslose Solidarität und eben Verbundenheit. Verbundenheit klingt so hochtrabend, verbindlich steckt auch irgendwie dahinter. In einer Art thematischem Zwischenboden hält das Werk der US-amerikanischen Feministin und Wissenschaftlerin bell hooks die Handlungen zusammen. Renan Martins, der Brasilianische Choreograph, zeigt ausgehend von bell hooks Buch „all about love“ über siebzig Minuten lang eine intensive Studie menschlicher Verbindungen. Ein wichtiger Schritt, den intersektionalen Kanon auf andere Art und Weise in das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft zu bekommen.
Die Bildsprache der Kostüme von Sofie Dornes ist inspiriert von Veränderung und Variablen, lehnt sich gleichermaßen an Streetwear an. Wir wollen nicht so viel über das Ende verraten. Böse Zungen könnten es als Ende eines Gemeindefestes beschreiben. Introvertierte Personen könnten es als Stressfaktor sehen und sollten sich generell eher weiter entfernt vom Geschehen platzieren. Es gibt keine fest buchbaren Plätze, so ist es möglich.
Diamonds ist trotzdem kein Tanztheater, vor dem mensch Angst haben muss. Es durchbricht durchaus elitäre, gläserne Schranken. Popkulturelle Anspielungen erzeugen Vertrautheit im Unbekannten. Diamonds ist nahbar ohne in Gleichgültigkeit zu rutschen. Möglicherweise für manche Person ein guter Einstieg in das Genre generell.
Sonntag, 19. Mai 2024, 18:30 – 20:00 Uhr
Sonntag, 09. Juni 2024, 18:30 – 20:00 Uhr / Zum letzten Mal in dieser Spielzeit
Besetzung
Paulina Będkowska, Aaron Samuel Davis, Gabrio Gabrielli, Maria Pasadaki, Nora Ronge, Andor Rusu, Waithera Lena Schreyeck, Young-Won Song, Csenger K. Szabó
Choreografie und Bühne Renan Martins
Kostüme Sofie Durnez
Licht Marius Lorenzen
Sounddesign und DJ Zen Jefferson
Dramaturgie Gregor Runge
Renate Strümpel
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