Sichtbare Hülle, ihre Außenhaut: jemand Anderer sein wollen als die Eigene oder doch nicht?
Sich dem Thema Schönheit zu nähern, ist ein unmögliches Ansinnen, wenn man annähme, es in seiner Gesamtheit betrachten oder beschreiben zu können. Denn schon die Aussage: Schönheit liegt im Auge der Betrachterin/des Betrachters, macht die Weite, die Tiefe, die vielfältigen Möglichkeiten, sich zu nähern, deutlich. Seit einiger Zeit führt der “Thigh Gap”, die Oberschenkellücke die Schönheits-Hitliste an. Schönheit hängt also immer noch damit zusammen, zumindest bei den Mädchen und Frauen, wenn möglichst viel von ihnen verschwindet.
Platon werden die folgenden Sätze zugeschrieben: “Schönheit bietet eine natürliche Überlegenheit; das Gute schafft die Ordnung, das Schöne ist sie; Schönheit ist ästhetisch, praktisch und nützlich; Schönheit ist ein natürlicher Vorteil”. Dann scheint ja alles rechtens zu sein: den Schönen legt sich die Welt zu Füßen. Andererseits kann Schönheit – die Schönheit eines Menschen – langweilig werden. Es ist nur verständlich, dass auch so genannte hässliche Menschen, die also dem gängigen Schönheitsideal gerade nicht entsprechen, mit ihrem Aussehen Geld verdienen können. So gibt es natürlich auch Agenturen für hässliche Menschen. Bedenkenswert ist, dass hier von “Charaktertypen” gesprochen wird.
Inszenierung des Körpers
Sich schön machen, ist selten verbunden mit Lust oder Spaß. Sich schön machen, ist harte Arbeit und buhlt immer um soziale Anerkennung. WER WILL ICH SEIN?, das ist die alltägliche Frage, wenn Mensch sich als sein eigener Körperproduzent begreift und bereit ist, Geld für die Eigenoptimierung auszugeben.
Die Entwicklungen der kosmetischen Chirurgie machen es möglich, den Körper zu verändern, gerade dort, wo der Schönheits-Mainstream es wünscht, wo die mit Komplexen beladene Frau meint, nicht richtig zu sein. Gibt es schon eine Statistik für Schönheitsoperationen-Junkies? Und wenn das Resultat nicht günstig ausfällt, wie viele Menschen deswegen eine Therapie brauchen?
Mein Körper gehört mir
Orlan Externes Angebot, geboren 1937, eine französische Body-Art-Künstlerin schert sich nicht um gängige Schönheitsstandards. Sie macht sich die Chirurgie zunutze, indem sie sich seit den 1990er Jahren schon viele Male ihr Gesicht operativ hat verändern lassen. Dieses Geschehen lässt sie auf einem Bildschirm für andere sichtbar übertragen. Für sie ist es “Carnal Art” – Fleisch-Kunst. Ihr geht es darum, nach einer solchen Operation eine andere zu werden, beziehungswise zu sein.
Orlan interessiert sich nicht für das Endresultat des chirurgischen Eingriffs, sondern für die Operation als Performance und den modifizierten Körper, ihr Gesicht, das zum Ort öffentlicher Debatten geworden ist. Ihr geht es um die individuelle Freiheit (als Künstlerin). Wenn sie ihr Gesicht operieren lässt, kann es sein, dass sie anschließend auf der Stirn zwei Höcker trägt oder eine stark vergrößerte Nase. Oder sie lässt Gesichtspartien nach Vorbildern aus der Kunstgeschichte oder Mythologie nachbilden. Sie akzeptiert ihr genetisches Los nicht. Ihr Körper ist das Material ihrer Kunst, sie ist ihr eigenes Kunstwerk. – Eine etwas andere Ausrichtung als in früheren feministischen Kontexten, dass ihr Körper ihr gehört; sie bezeichnet sich als Feministin und: “Narzissmus ist wichtig” Externes Angebot. Dass, was operativ nicht möglich ist, formt sie per Computer in ihr Gesicht oder auf den Körper.
Keinen perfekten Tanz-Körper?
Ganz anders agiert Doris Uhlich Externes Angebot, geboren 1977 in Österreich. Sie ist Tänzerin und Choreographin. Sie fällt aus dem Rahmen der üblichen Tänzerinnen, denn sie erfüllt nicht die Norm der mageren, hageren Tänzerin. Ihr Körper zeigt Rundungen, deretwegen sie bei einer ersten Aufnahmeprüfung zurückgewiesen wurde, sie solle erst mal abnehmen. Doch sie ließ sich nicht entmutigen und ist heute eine gefragte Künstlerin, nicht nur in Österreich. Ihr Körpereinsatz auf der Bühne versteht sich von selbst. Ein weiterer Aspekt ist ihr wichtig, sie arbeitet immer wieder mit LaiInnen.
Diskriminierende Behandlungen, nicht den richtigen (Tanz-)Körper zu haben hat sie 2009 in dem Tanz-Stück “mehr als genug” dargestellt: darin fragt sie danach, was unter “schön” zu verstehen sei. – Uhlich steht nackt auf der Bühne, reibt sich mit Puder ein, beginnt ihren Körper zu bewegen, eine Puderwolke staubt. Sie nennt es, ‘mein Fett tanzen lassen’. Und weiter hat sie daraus die “Fetttanztechnik” entwickelt. Sie sagt, sie zeige sich nicht nackt, sie sei nackt und begreift sich auch als politisch agierende Tänzerin.
Nackte Menschen auf Bühne
2013 folgt das Stück “more than naked”, zwanzig nackte Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich auf der Bühne. Sie lassen ihr Fleisch zittern, schwabbeln, sie springen sich an, “Verbindung von Lust und Freiheit”, nennt Uhlich es. Was ist ein Körper, fragt Uhlich, sie geht weiter davon aus, dass der Körper wie ein Archiv funktioniert, alles Erlebte wird dort abgelegt, was auch zu Verhärtungen führen kann. Kleidung bedeutet für Uhlich, wie jemand für das Außen wahrgenommen werden will beziehngsweise wahrgenommen wird. Auf der Bühne nackt dazustehen und zu Tanzen beginnen ist eine Loslösung von allen gesellschaftlichen Korsetts. Im Juli ist Doris Uhlich mit “more than naked” in Salzburg zu sehen.
Angelika Behnk
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