Die Kunst ist nicht allzu weit entfernt vom Menschen. Es ist eine Verkörperung der Auffassung, des Gefühls, der Form, der Begegnung und des Alltags. An einem schönen, sonnigen Nachmittag habe ich das Gerhard Marcks Haus besucht und bin dort drei Terrakottafiguren begegnet.
Sie standen in Überlebensgröße nebeneinander und schauten mich an. Eigentlich standen weitere drei hinter mir, nur waren diese weniger interessant. Mein Augenmerk richtete sich auf die Frau. In der Mitte platziert, mit entblößter Brust, ähnelte sie schon fast der heiligen Maria. Die Unschuldige. Die Mutter. Der Grund für dieses Gleichnis war ein Junge, der sich an dem Saum ihres Kleides festklammerte. Ich glaube, in dem Moment hatte ich das Gefühl, dass eine Skulptur niemals die Gestalt eines kleinen Mädchens annehmen konnte, sondern immer einen Jungen verkörperte. Und eine Frau war fast immer in Begleitung und Schutz – von einem Mann eben. Diese hier war aber in Begleitung von zweien.
Ich blieb eine Weile stehen, starrte, schaute, zog die Augenbrauen zusammen und ließ wieder locker, führte meine Hand ans Kinn und dachte nach. In meiner Welt muss alles einen Sinn ergeben, es muss einen Zusammenhang geben, zumindest wage ich mich seit meiner Kindheit genau aus diesem Grund Symbole zu deuten. Dafür sind sie da. Sie verdienen es so.
Links und rechts von der Frau standen männliche Figuren. Der eine etwas mickrig, böse, hektisch, der andere verständnisvoll, ergeben und so dargestellt, als würde er seinen Körper, vielmehr aber seine Männlichkeit verbergen. Ich griff zur Broschüre. So standen sie also aneinandergereiht: Brandstifter, Mutter mit Kind, Prophet (Gerhard Marcks, 1947). Wenn man Gestalten nicht nur bloß anschaut sondern in ihrer kompletten Fülle annimmt, entwickelt man Ideen und Theorien. Mir fiel auf, dass alle Barfuß waren. So war dies für mich eine Einsicht, dass jeder Mensch auf dieser Welt auf der selben Erde wandelt, nicht auf Gold und nicht auf Platin. Bloß Erde, die sich anfühlt wie der Leib der Mutter. Heimisch, wohltuend und gleich. In dem Moment ärgerte ich mich darüber, dass bei Frauen so oft die Brüste und bei Männern das Glied entblößt sind. Warum? War das ein Bildnis über die Macht des männlichen? Nein. Ich denke, dass es keineswegs zur Debatte stehen sollte – zumindest in dieser Hinsicht. Es ist kein Machtverhältnis. Es ist die Natur.
Eine Frau nährt mit ihrer Milch, und ein Mann spendet Leben. Und diese beiden müssen immer im Zusammenhang stehen, als Erschaffende und Beschützer. Als Kreislauf der Dinge, ohne welche es kein Leben gäbe.
Und dann gab es da noch eine kleine Liebesgeschichte. Es erinnerte mich an die Historie von Kain und Abel, Kinder Adams und Evas. Sie symbolisieren wie gewöhnlich das Gute und das Böse auf der Welt, so, wie in diesem Fall der Brandstifter und der Prophet es tun. Beides sind Erscheinungen männlicher Charakteristika, die große Rollen im Leben einer Frau einnehmen. Und ich denke, ohne dies verallgemeinern zu wollen, dass jede Frau diesen Weg einmal in ihrem Leben geht. Den Weg durch das Feuer zum Guten.
Jeden ersten Donnerstag im Monat hat das Gerhard Marcks Museum für die Besucher*innen geöffnet. Ich kann nur dafür sprechen, sich, wenn auch für kurze Zeit, eine Auszeit zu nehmen, um in die eigene Seele ab zu tauchen und den Gedanken freien Lauf zu lassen. Sie werden ganz sicher auch den einen oder anderen Spiegel zu ihrem Innersten vorfinden.
Damla Ekin
Ricarda meint
Das ist ein schöner Ausflug in die Welt der Deutung – dass wir da stehen, Kunst auf uns einwirken lassen und etwas daraus gewinnen.