Insgesamt macht die Corona-Pandemie viele Sozialgefälle sichtbar. Trotzdem werden einige Themen momentan weitestgehend aus den Medien verdrängt. Wer sich abseits der Mainstream-Medien schlau macht, stößt schnell auf Stimmen, wie die der österreichischen Journalistin Nicole Schöndorfer oder der Kulturwissenschaftlerin Beatrice Frasl, die in ihren Podcasts aufzeigen, in welchem Ausmaß vor allem Frauen von der Krisensituation betroffen sind.
Das Coronavirus hat die Mängel eines Systems offengelegt, dessen unterdrückende Strukturen Frauenrechte schon immer beschnitten haben, und in dem Gleichberechtigung kaum zu verwirklichen ist. Doch gerade jetzt, in Zeiten der Krise, zeigt sich das besonders deutlich. Denn es sind größtenteils Frauen, die zu den sogenannten Systemerhalter*innen gehören, die in unterbezahlten Berufen ein einsturzgefährdetes Gesellschaftsgerüst zusammenhalten und die in vielerlei Hinsicht mit am schlimmsten unter den Auswirkungen des Coronavirus leiden.
Unbezahlte und unterbezahlte Care-Arbeit
„Ohne Fürsorge- und Pflegearbeiten und damit ohne die unterbezahlte und teilweise unbezahlte Arbeit von Frauen wird die Corona-Krise nicht zu bewältigen sein. Die Auswirkungen des Corona-Virus machen diese unsichtbare Arbeit sichtbar und zeigen drastisch ihre gesellschaftliche Relevanz.“
(Beatrice Frasl)
Laut einer Oxfam-Studie erledigen Frauen in deutschen Haushalten etwa 52 Prozent mehr an Haushalts-, Fürsorge- und Pflegearbeiten, als Männer. Diese Belastung nimmt aktuell noch deutlich zu, wenn Kinder den ganzen Tag über zu Hause betreut werden müssen und noch zusätzliche Erledigungen für die Großeltern anfallen. Nebenbei müssen dann gegebenenfalls noch das Home Office und der übliche Haushalt bewerkstelligt werden. Wird diese Care-Arbeit ausgelagert, wird sie häufig an Frauen aus dem Ausland weitergegeben, die mit dem geringen Gehalt ihre eigene Familie über Wasser halten müssen und es sich nicht leisten können, selbst Hilfe zu beanspruchen.
Auch bezahlte Care-Arbeit wird in Deutschland weitestgehend von Frauen ausgeübt. Der Frauenanteil in Pflegeberufen beträgt hier zu Lande 76 Prozent. Es sind also hauptsächlich Frauen und ihre Familien, die gefährdet sind, wenn es momentan zu Engpässen bei Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln kommt; die 24/7 in Bereitschaft stehen und kaum oder gar keine Pausen einlegen können und so täglich an ihre Grenzen kommen. Und auch für sie steht zu Hause noch Fürsorgearbeit an – Ein drastischer Weckruf für eine bessere Vergütung im Pflegesektor und die gerechte Verteilung von Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern.
Häusliche Gewalt: Eingesperrt mit dem Gefährder
Aufgrund der Corona-Pandemie ist das Leben derzeit weitestgehend auf die eigenen vier Wände beschränkt. Doch betrachtet man die Statistiken zu häuslicher Gewalt, sind gerade diese vier Wände für viele Frauen kein Safe Space, sondern der gefährlichste Ort, an dem sie sich aufhalten können. Laut WHO erlebt eine von drei Frauen weltweit physische oder sexualisierte Gewalt. In den meisten Fällen durch den eigenen Partner. Daher stellen Ausgangssperren und reduzierte Sozialkontakte für viele Gewaltbetroffene den schlimmsten Albtraum dar. Sie sind mit ihrem Gefährder eingesperrt, der rund um die Uhr Zugriff auf sie hat. Sie können durch die Kontaktverbote nicht mehr so einfach Zuflucht bei Familie oder Freund*innen finden, die teilweise vielleicht auch zur Risikogruppe gehören. Auch Beratungsstellen und Gewaltschutzeinrichtungen stehen momentan vor großen Herausforderungen. So gut es geht werden Helplines und Online-Beratungsangebote eingerichtet. Aber wie soll man sich telefonisch Hilfe holen, wenn der Gefährder direkt neben einem sitzt? Fatal ist auch, dass viele sich nicht trauen mit ihren Verletzungen ins Krankenhaus zu gehen, aus Angst davor, sich anzustecken oder die Kapazitäten in den Kliniken noch mehr einzuschränken.
Angst, Stress und Verdiensteinbußen führen außerdem dazu, dass in der Krisensituation das Gewaltaufkommen stark zunimmt. In China wurden, laut der Frauenrechtsorganisation „Weiping“, dreimal so viele Fälle häuslicher Gewalt gemeldet wie vor der Quarantäne.
Einschränkung der reproduktiven Rechte
Wer sich in Deutschland dazu entscheidet eine Schwangerschaft abzubrechen, muss dafür mehrere Termine wahrnehmen. Dazu gehören die Pflichtberatung, die gynäkologische Untersuchung, ein Ultraschall, die Durchführung des Abbruches selbst, sowie die Nachuntersuchung. All das muss in einem Zeitrahmen weniger Wochen passieren, nachdem man eine Schwangerschaft bemerkt hat. Das lässt sich während einer Pandemie kaum einhalten.
Betroffene sind teilweise durch Ausgangsbeschränkungen oder womöglich Quarantäne eingeschränkt, wenn nicht sogar selbst infiziert. Außerdem haben viele Beratungsstellen und Praxen aufgrund von Personalmangel geschlossen oder nur noch begrenzte Öffnungszeiten.
Hinzu kommt, dass durch die Reisebeschränkungen ein Abbruch in einem Nachbarland nicht mehr möglich ist. Das trifft beispielsweise Frauen aus Polen besonders schwer, die aufgrund der dort sehr restriktiven Regelungen von Schwangerschaftsabbrüchen nach Deutschland gekommen wären, um den Abbruch vorzunehmen.
Da es eine enorme psychische und körperliche Belastung darstellt, eine ungewollte Schwangerschaft zu durchleben, befürchten Gynäkolog*innen, dass Betroffene sich gezwungen sehen, zu unsicheren Methoden zu greifen, um ihre Schwangerschaft abzubrechen. Besonders tragisch ist dabei, dass es aufgrund des Anstiegs an häuslicher und sexualisierter Gewalt vermutlich vermehrt zu ungewollten Schwangerschaften kommen wird.
Aber auch gewollte Schwangerschaften stellen momentan eine Herausforderung dar, allem voran die Geburt des Kindes. Wo es zuvor schon nicht ausreichend Hebammen gab, wird die Lage jetzt erst recht prekär. Zudem fehlt es an Schutzkleidung für Hebammen und einige Krankenhäuser haben schon veranlasst, dass die Väter oder andere Angehörige aus den Kreißsälen verbannt werden. Die werdende Mutter muss durch diese oftmals traumatische und beängstigende Erfahrung allein gehen und dem anderen Elternteil wird die Möglichkeit genommen, die Geburt des eigenen Kindes mitzuerleben. Vielen wird auch die Entscheidung abgenommen, ihr Kind durch eine natürliche Geburt auf die Welt zu bringen, da Kaiserschnitte planbarer sind und weniger Kapazitäten verbrauchen. Ein schwerer Eingriff in die körperliche Autonomie von Schwangeren.
Armutsbetroffene haben es jetzt besonders schwer
Vor allem Frauen sind von Armut betroffen, allen voran Rentnerinnen und Alleinerziehende. Für sie fallen jetzt viele Hilfeleistungen flach, da Hilfsorganisationen vorübergehend schließen müssen. Außerdem leiden sie besonders darunter, wenn durch Hamsterkäufe in Supermärkten nicht genug übrig bleibt, was normalerweise an Tafeln und andere Initiativen gespendet wird.
Frauen sind auf unglaublich vielen Ebenen sehr stark von der Corona-Krise betroffen und kämpfen trotzdem an allen Fronten: In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in Supermärkten, als Reinigungskräfte und zu Hause. Sie halten das System am Laufen, aber nicht nur in Zeiten der Krise, sondern immer. Es bleibt zu hoffen, dass das ein Weckruf für Politiker*innen ist. Ein Weckruf, um an vielen Baustellen zu arbeiten und systemrelevanten Berufsgruppen, Hilfsorganisationen und vor allem Frauen endlich die Wertschätzung entgegenzubringen, die sie verdienen.
Karolin Lammer
Ulrike Hauffe meint
Vielen Dank, Karolin, für diese gute Zusammenfassung. Es ist erschreckend, dass vieles, was gut diskutiert wurde, schnell wieder von der Fläche der Öffentlichkeit verschwindet und die Leistungen von Frauen mit Dankbarkeit und Applaus zugedeckt werden.
Damit sich etwas systematisch ändert hat der AKF (Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V.) – zumindest für einen Teil der von Dir genannten Themen – einen Offenen Brief an Bundesminister Olaf Scholz gerichtet: https://www.arbeitskreis-frauengesundheit.de/2020/05/05/offener-brief-an-bundesfinanzminister-scholz-transparenz-zu-den-geldfluessen-der-corona-rettungsschirme-geschlechterparitaet-und-diversitaet-unter-den-expertinnen-in-den-entscheidungsgremien/
Ich finde den Brief gut und verbreitenswert.
Leonie meint
Toller Artikel, gut recherchiert! Es werden viele wichtige Themen angeschnitten. Besonders das Thema Schwangerschaften wird ja gerade viel in den Medien behandelt. Dass Verhütung leider viel zu oft als „Frauensache“ deklariert wird, ist meiner Meinung nach auch ein Riesen Problem. Besonders da es derzeit teilweise Lieferengpässe bei Verhütungsmitteln gibt.