Bei uns ist es ja so: an der Unvereinbarkeit in meinem Leben ist gar nicht so sehr meine eigene hypothetische Berufstätigkeit schuld. Wenn ich früher oder später wieder einen Job finde, werde ich meine Arbeitstage wohl mit ziemlich normalen Arbeitszeiten in einem Büro verbringen, morgens den Gu in die KiTa bringen und ihn abends wieder abholen. Ich werde wahrscheinlich weitere Möglichkeiten zur Verfügung haben, wie ich meine familiären Verpflichtungen mit der Berufstätigkeit unter einen Hut bringen kann, beispielsweise auch mal von zu Hause aus zu arbeiten. Wenn der Gu krank wird, werde ich nicht arbeiten gehen, jemand anderes wird mich vertreten – oder die Arbeit muss halt warten. Alles soweit im grünen Bereich, was die Vereinbarkeit angeht.
Die Unvereinbarkeit, die sich zwischen dem Leben mit dem Gu und meiner zukünftigen beruflichen Tätigkeit auftut, liegt am Beruf des Mannes. Er ist Assistenzarzt, arbeitet 50 Stunden die Woche im Schichtdienst. Meist einige gleiche Dienste hintereinander, dann ein-zwei Tage frei, dann wieder einige Dienste. Wobei „einige“ zwischen zwei und sieben bedeutet. Und es gibt Früh-, Spät-, Nacht-, Zwischen-, Joker- und Visitendienst, alle beginnen und enden zu unterschiedlichen Zeiten, manche gibt es nur am Wochenende, andere beginnen am Wochenende zu einer anderen Zeit als unter der Woche. Manchmal arbeitet er zudem einige Wochen hintereinander im Stationsdienst, das sind dann Tagdienste, für die er morgens vor sieben Uhr das Haus verlässt und abends mit Glück kurz vor sieben Uhr zu Hause ist.
Das führt dazu, dass er zwar im Alltag häufiger zu Hause ist als andere Elternteile mit Vollzeit-Job. Aber gleichzeitig setzt dieser Beruf viel Flexibilität voraus, gute Planung und nicht selten auch Verzicht. Zum Beispiel in Bezug auf das Sozialleben – Wochenenden sind bei uns oft nicht frei, wenn es um wichtige Termine oder auch Verabredungen mit Freunden geht, ist es schwierig, ein passendes Datum zu finden. Und das Konzert an jenem Freitagabend, das Geburtstagsfest am Sonntag, der Spieleabend am Donnerstag? Ohne ihn, meist ohne uns, weil er arbeitet.
Manchmal ist das eine Belastung für mich – früher schon, aber mehr denn je, seit der Gu da ist. Nachtdienste beispielsweise sind fast immer schwierig, weil ich dann Tag und Nacht mehr oder weniger alleine für den Gu verantwortlich bin. Denn Nachtdienste machen für den Mann nicht nur die Nacht zum Tag, sondern auch den Tag zur Nacht. Gerade haben wir sechs von sieben Nachtdiensten hinter uns, und ich bin erschöpft. Der Gu zahnt und schläft deshalb unruhig, will in der Nacht oft an die Brust – und das jetzt schon seit über einer Woche (davor hatte er eine Ohrenentzündung und Durchfall, was dem Schlaf auch nicht gerade förderlich war). Ich schlafe also im Moment deutlich weniger und schlechter als es mir gut tun würde, und ich habe keine Chance, das dann tagsüber zu kompensieren, denn der Mann verschläft die Tage grösstenteils, der Gu aber leider nicht (überhaupt: wer sagt, man solle doch schlafen wenn das Baby schläft, kennt den Gu nicht. Sein diesbezügliches Sabotage-Radar ist grandios). Nachtdienste sind Mist und zehren gewaltig an mir. Drei, vier hintereinander – das ist absehbar und geht vorbei. Sieben – das ist eine Woche Ausnahmezustand, komplett in meiner Verantwortung.
Und da die Dienste immer wechseln, kann der Mann nicht fix an einem Tag den Gu in die KiTa bringen oder ihn abholen. Auch wenn er sein Pensum beispielsweise auf 80% reduzieren könnte, würde das nicht einen fixen freien Tag jede Woche bedeuten, sondern einfach weniger Dienste über das Jahr verteilt.
Das heisst: wenn wir möchten, dass der Gu in die KiTa geht, muss das mit meiner Berufstätigkeit vereinbar sein – mit der des Mannes ist sowieso keine Form der Kinderbetreuung wirklich vereinbar, ausser ich würde keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen. Das ist aus vielen verschiedenen Gründen keine Option für mich, obwohl wir wohl von einem Vollzeit-Gehalt leben könnten.
Ich muss also einen Arbeitgeber finden, der nicht nur ein verhältnismässig kleines Pensum bietet, das meinen Qualifikationen entspricht, sondern auch noch einen, der es mir nicht übel nimmt, dass ich im Prinzip alleine für mein Kind verantwortlich bin, obwohl ich nicht alleinerziehend bin. Das Frust-Potenzial, das diese Tatsache mit sich bringt, ist gross. Denn hierzulande ist Kinder haben Privatsache. Priorität hat das Erwerbsleben, verdient man kein Geld, ist man kein produktives Mitglied der Gesellschaft. Und hindern einen Privatsachen – wie zum Beispiel Kinder – daran, die Produktivität auf dem höchstmöglichen Niveau zu halten, erntet man im besten Fall mitleidige Blicke. Es ist ganz klar: die Familie muss mit dem Beruf vereinbar sein. Nicht etwa umgekehrt.
Wenn der Gu krank ist, gibt es zwei Möglichkeiten: der Mann hat zufällig frei und kann zu Hause sein mit ihm. Oder es bleibt mir überlassen, die Betreuung zu übernehmen oder zu organisieren. Er kann nicht kurzfristig mal frei machen oder früher nach Hause gehen. Wenn es hart auf hart geht und er Dienst hat, dann ist der Gu mein Problem. Dass ich mal krank werde und mich nicht mehr um den Gu kümmern kann – nicht auszudenken. Es wäre unmöglich, in halbwegs nützlicher Frist etwas zu organisieren.
Manchmal hadere ich damit. Diese ganze Sache mit seinem Beruf macht es für mich nicht nur schwieriger, einen passenden Job zu finden, sondern sie beeinflusst seit der Gu da ist auch meine Freizeit. Früher war ich einmal in der Woche am Abend singen, einmal habe ich über Mittag Yoga gemacht. Jetzt sind Aktivitäten mit fixem Termin undenkbar geworden. Leider sind unsere Eltern nicht in der Nähe, diese Unterstützung fällt also aus. Klar, es wäre sehr viel leichter, wenn man sie regelmässig für die Betreuung einplanen könnte, aber diesen Luxus haben wir nun einmal nicht. Also muss es anders gehen.
Ich würde mir wünschen, dass beim Thema Vereinbarkeit nicht nur immer darüber gesprochen würde, wie ein Elternteil (meistens die Mutter) ihren Beruf mit den familiären Verpflichtungen unter einen Hut bringt – sondern dass das individuelle Gesamtbild einer Familie im Fokus stünde. Da spielen so viele Faktoren eine Rolle, so dass die gängigen Ideen wie Teilzeit, Papi-Tag, KiTa, Grosi als Babysitter etc. einfach nicht für alle funktionieren. Es gibt sicher Familien, die es diesbezüglich leichter haben als wir (und viele, bei denen es noch schwieriger ist – aber das macht unsere Situation nicht einfacher). Manchmal denke ich an diesen Spruch mit den Zitronen, aus denen man Limonade machen soll (oder zu denen man sich halt Tequila organisieren muss, je nach Vorliebe). Wir haben aktuell ganz schön viele Zitronen im Obstkorb. Und noch keine Zitruspresse dafür.
Nachtrag:
Am Tag nach dem siebten Nachtdienst hat es schliesslich geknallt. Ich wurde böse – weil der Mann am Morgen nach Hause gekommen ist und nicht gefragt hat, wie es mir geht. Natürlich war das nur der letzte Tropfen im berühmten Fass, das überläuft. In mir hatte sich so viel angestaut in diesen Nächten. Wenn man die Erschöpfung nicht mehr teilen kann, wenn da keine vertraute Hand ist, die einen streichelt, wenn man wieder einmal in ungesunder Position da liegt und versucht, bloss nicht das gerade eingeschlafene Kind zu wecken, dann zehrt das, an den Nerven, an den sorgsam aufgebauten Reserven. Jedenfalls: ich bin böse und emotional geworden, es hat den Mann sehr getroffen. Er hat sich den Gu geschnappt und ist erstmal raus. Ich bin unter die Dusche und habe mich furchtbar gefühlt. Danach, beim Kaffee, nachdem wir uns wieder versöhnt hatten, stand plötzlich eine Idee im Raum, wie wir uns die Sache zumindest für eine gewisse Zeit leichter machen könnten, eine Idee, die gleich mehrere unserer aktuellen Baustellen entscheidend voranbringen könnte. Manchmal muss man die Grenzen der eigenen Belastbarkeit sehr deutlich spüren, um einen neuen Weg gehen zu können. Wir werden sehen, was daraus wird. Vielleicht haben wir die Zitrus-Presse gefunden und es wird doch noch was mit der Limonade.
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