Was ist eine normale Geburt? Ist es das, was in einer Kultur am häufigsten vorkommt? Oder das, was die Natur so vorgesehen hat? „Normale Geburt“ – darf man das überhaupt so sagen? Ist es inzwischen vielleicht gar nicht mehr politisch korrekt, von der normalen Geburt zu sprechen? Zumindest immer dann, wenn ich hier im Blog von der normalen Geburt schreibe, meldet sich garantiert eine Kaiserschnittmutter, die sich dadurch diskriminiert fühlt und sagt: „Schreib doch bitte spontane Geburt, sonst bin ich ja anormal.“ Muss die normale Geburt also in Anführungszeichen gesetzt werden? Und was würde das bringen? Mir liegt es übrigens gänzlich fern, Kaiserschnitte zu bashen…!
Definition der normalen Geburt
Fakt ist aber, dass es eine Definition für die normale Geburt gibt:
„Unter normaler Geburt versteht man eine physiologische Geburt, die spontan beginnt, sich im effektiven Rhythmus zwischen Wehen und Wehenpausen von alleine entwickelt und somit ohne fremdes Eingreifen der Muttermund öffnet, das Kind durch unwillkürlichen Pressdrang geboren wird.“
Quelle: WHO 1996 Care in normal birth (a practical guide, report of a technical working group)
Das bedeutet: Eine Geburt kann auch dann noch als spontan bezeichnet werden, wenn in den Geburtsverlauf ordentlich eingegriffen wurde. Also nach einer Einleitung und einem Wehentropf und einer PDA, ja sogar nach Kristella-Hilfe. Normal ist die Geburt dann aber nicht mehr gewesen.
Die normale Geburt als Kulturgut
Die normale Geburt ist selten geworden. So selten, dass manche Fachleute sich bereits Sorgen machen, ob sie irgendwann womöglich ganz verschwindet. Und dass auch das Wissen um die Möglichkeit an sich verschwindet. Die Salutogenese, also das „Alles wird gut gehen“-Gefühl, verabschiedet sich zunehmend. Und zwar nicht nur aus den Köpfen der Frauen, sondern auch aus denen vieler Geburtshelfer!
Die Berliner Hebamme Bettina Kraus und der Chefarzt vom Berliner St.-Joseph-Krankenhaus, Prof. Dr. Michael Abou-Dakn, haben im November 2013 gemeinsam einen Antrag bei der UNESCO gestellt: Die normale Geburt sollte in die Liste der Kulturgüter aufgenommen werden. Auf einer Hebammenfortbildung der Firma Bübchen, die Herr Abou-Dakn im März 2015 in Berlin moderierte, berichtete er über das Ergebnis des Antrags.
Um es kurz zu machen: Der Antrag wurde natürlich abgelehnt. Hier die Begründung:
In der Begründung wurde die antragstellende Hebamme übrigens vollkommen ignoriert – allein das sagt schon Einiges aus. Und in die Kulturgüterliste wurde statt dessen die Schrippe aufgenommen! Nun ja…
Geburten im Zeitalter des Sicherheitsdenkens
So viel zum Thema Kulturgut. Aber woher kommt es überhaupt, dass die normale Geburt immer seltener wird und oft gar nicht mehr als normal angesehen wird?
Schwanger zu werden und Kinder zu bekommen ist ja eigentlich ein ganz natürlicher Teil des Lebens. Die äußeren Bedingungen dafür waren nie besser als jetzt. Aber gerade die Geburt wird immer mehr als unglaubliches Risiko gesehen. Normale Geburten werden seltener – Ängste und Verunsicherungen wachsen. Natürlich sollen Risiken bei einer Geburt vermieden werden. Das Sicherheitsbedürfnis aller Beteiligten ist enorm. Geburtshelfer denken oftmals nur noch in juristischen und haftungsrechtlichen Dimensionen. Aber ist die natürliche Geburt ein echtes Risiko? Vielleicht…
Aber absolute Sicherheit gibt es eben nicht. Wird es auch niemals geben. Fakt ist, dass nicht alle Sicherheitsvorkehrungen die Sache auch wirklich besser machen. Eingriffe in natürliche Prozesse führen eben nicht immer – nein nur selten – zu einer Verbesserung des Ganzen. Für Geburtshelfer gibt es aber natürlich nur dann rechtliche Konsequenzen, wenn sie sich nicht an die geburtshilflichen Standards gehalten haben. Mit der Folge, dass sie genau das tun: Ganz oft Schema F.
Die individuellen Entscheidungskorridore werden enger und enger und enden immer häufiger im OP. Dabei ist nachgewiesen, dass mehr Sectios nicht automatisch auch zu besseren gesundheitlichen Ergebnissen führen. Es gibt inzwischen circa 33% Kaiserschnittgeburten in Deutschland. 10 bis 15% hält die WHO überhaupt nur für gerechtfertigt.
Was Frauen wünschen
Andererseits: Wo ist das Problem? Wenn die Frauen das wünschen?
Tun sie aber nicht! Laut einer Studie (von Helmers & Schücking 2005) wünschen sich nur 3,8% aller Frauen primär einen Kaiserschnitt. Und auch aus meiner Arbeit in der Schwangerenberatung kann ich bestätigen: Fragt man die Frauen nach ihren Wünschen zur Geburt, dann sagen die Meisten: „Ich möchte erst mal alles so natürlich wie möglich haben.“ Bald darauf kommen allerdings die ersten zaghaften Einschränkungen, die aus den Ängsten entstehen:
- Angst vor Schmerzen
- Sorge um die Gesundheit des Kindes
- Angst um die eigene Unversehrtheit
- Angst etwas Unbekanntem ausgeliefert zu sein
- Angst vor Kontrollverlust
- Versagensangst
All diese Sorgen prallen in der Klinik dann auf die oben genannten Befürchtungen der Geburtshelfer und bilden den Mix, der wiederum Tür und Tor für alle möglichen Interventionen öffnet und somit der natürlichen Geburt im Weg steht.
Ich glaube es war Dr. Wolf Lütje (Präsident der Deutschen Gesellschaft für psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie), der sagte:
„Das größte Geburtshindernis ist der KOPF, den wir den Frauen machen. Wenn wir mehr von Chancen als von Risiken sprechen, wird der Weg wieder frei für die Geburt.(…) Ständig heißt es zu groß zu klein, zu viel zu wenig, zu früh zu spät, zu alt zu jung. Kein Wunder, dass im Becken alles ZU geht“
Trendwende
In der Entwicklung der Geburtshilfe bewegt sich immer alles in Wellen. Die Amplitude der Extreme ist relativ groß. Von der programmierten Geburt, über die Hausgeburts- & Geburtshausbewegung, die wiederum positiv auf die Kliniken abfärbte, und grüne Kacheln und Klinikbetten in bunte Wände und Badewannen verwandelte, hin zum aktuellen Sectio-Trend „Save your Love-Channel“, erwarte ich bald wieder eine neue Gegenbewegung. Die Alleingeburten zeigen es schon und erhitzen bereits die Gemüter.
Frauen wollen sich nicht kontrollieren lassen – sie wollen wieder mehr ihrem Körper vertrauen dürfen! Und auch wenn ich Alleingeburten per se nicht gutheißen kann, verstehe ich sie doch als extreme, nachvollziehbare Reaktion auf die momentan „regelverseuchte“ Geburtshilfe.
Und wer weiß? Wenn das Pendel erneut in die andere Richtung schwingt, dann sehen wir vielleicht auch wieder vermehrt normale Geburten. Das wünsche ich uns sehr!
Kopf aus – Bauchgefühl an!
… möchte ich manchmal sagen und dann einfach dem evolutionären Programm seinen Lauf lassen. Denn „verkopfte Frauen“ haben es unter der Geburt schwer. Das hört man Hebammen oft sagen.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn auch die gut informierten Frauen haben natürlich sehr schöne Geburten. Das könnt ihr hier in den Geburtsberichten nachlesen.
Ich denke, es kommt dabei vor allem auf die richtige Vorbereitung an. „Die selbstbestimmte Geburt“ von Ina May Gaskin ist dafür eine von mir sehr geschätzte Quelle – natürlich neben einem guten Geburtsvorbereitungskurs bei der Hebamme eures Vertrauens…
Von Mutter zu Mutter
Und? Wie war es bei euch? Hattet ihr normale Geburten im Sinne der oben genannten Definition?
Was ist euer wertvollster Tip für die, denen die Geburt noch bevor steht?
Ich würde mich freuen, wenn hier – mit eurer Hilfe – eine schöne Sammlung zusammen kommt! Vielleicht wird da ja sogar ein neuer Artikel draus. Also, immer her mit euren Erfahrungen, Meinungen & Statements!
Gastbeitrag von Jana Friedrich. Hier findet ihr das Original.
Weitere interessante Beiträge rund um das Thema Geburt findet ihr auf Janas Blog hebammenblog.de.
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