Ich lese schon immer unglaublich gerne. Mit einem Tee warm eingekuschelt einen schönen Schmöker lesen ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Aber ich schäme mich auch dafür. Denn die meisten Bücher, die ich lese, sind keine politische Theorie, anspruchsvolle Gegenwartsliteratur oder feministische Sachbücher. Das Genre, welches ich am häufigsten lese, sind Liebesromane. Und das ist mir super peinlich. Aber warum eigentlich? Und ist die Antwort darauf vielleicht internalisierte Misogynie und Klassismus? Das versuche ich hier zu beantworten.
Schund oder Literatur?
Aber von Anfang an: Das Genre Liebesroman wird oft als Schund und nicht als Literatur bezeichnet. Aber was ist der Unterschied zwischen einem kuscheligen Liebesroman und dem Herman Hesse-Buch, das ich definitiv nicht lesen werde? Das eine ist Hochkultur und das andere Niedrigkultur.
Was ist Hochkultur?
Hochkultur wird durch den Konsum oder die Wertschätzung einer gehobenen Klasse definiert. Hierunter fällt nicht nur die traditionelle reiche oder auch aristokratische Oberschicht, sondern auch das Bildungsbürgertum. Im breiteren Bereich der Kultur ist Oper das beste Beispiel. Meist von der Oberschicht geschätzt und von weniger privilegierten Menschen mit Unverständnis beäugt. Außerdem wird Hochkultur durch eine wahrgenommene Überlegenheit gegenüber anderen Medien definiert. Somit wird Oper, in diesem Fall vielleicht auch berechtigt, als schwieriger und anspruchsvoller in der Ausführung und Konsum gesehen, als zum Bespiel Musicals.
Westliche Hochkultur basierte traditionell auf den Werken der antiken Römer und Griechen. Später kamen Werke von Shakespeare, Goethe, Kafka, Dickens, Hesse, Frisch und Tolstoi dazu, dies sind nur einige Autoren, die heute dazuzählen. Dass mir für diese Aufzählung nur männliche Autoren eingefallen sind, ist kein Zufall. Auch wenn es durchaus Autor*innen gibt, die in diese Sparte fallen, sind es deutlich weniger. Das mag in der Vergangenheit an weniger Output auf Seiten von FLINTA* gelegen haben. Aber struktureller Sexismus spielt definitiv eine Rolle – es gibt Studien, die belegen dass je mehr Prestige ein Verlag hat, desto weniger FLINTA*-Autor*innen hat er im Programm. Aber dazu später mehr.
Die Massen wollen Niedrigkultur
Niedrigkultur wird im Vergleich zu Hochkultur breiter definiert. Sie ist eine Sparte der Populärkultur und wird durch die Anziehungskraft auf die Masse definiert. Hier zeigt sich der Klassismus, denn warum sind Werke, die unverständlich für die breite Masse sind, besser als Werke, die so verständlich geschrieben sind, dass es keinen Uniabschluss braucht um sie zu verstehen? Im Falle von politischer Theorie ist es meiner Meinung nach ein Zeichen schlechter Theorie (und Praxis), wenn sie nicht verständlich wiedergegeben werden können.
Ein Beispiel aus der Musik ist die Abwertung von Popmusik (Populärmusik), sie ist massentauglich und obwohl sie oft die Charts beherrscht, ist weniger Prestige damit verbunden. Ein Beispiel für Hochkultur in der Musik ist Jazz, zwar nicht unbedingt von der Oberschicht, aber definitiv vom Bildungsbürgertum geschätzt. Das Genre Jazz zeigt allerdings auch das Rassismusproblem des Konzeptes Hoch- und Niedrigkultur auf. Jazz hatte seinen Ursprung in der amerikanischen Schwarzen Community und wurde von der weißen Mehrheitsgesellschaft als Niedrigkultur gesehen und abgewertet. Prestige und Anerkennung als Hochkultur fand das Genre erst, als es durch Weiße „entdeckt“ wurde.
Ist das etwa internalisierte Misogynie?
Ein weiterer Charakterzug von Niedrigkultur ist die Beschäftigung mit Themen wie Familie, Emotionen und individuelleren Problemen. Dieser Aspekt ist im Genre Romance sehr deutlich, es geht um Familie, Gefühle und Sex. Hier sehe ich einen (sexistischen) Grund für die Abwertung dieses Genres. Denn vor allem Familie und Gefühle werden traditionell mit der Frauenrolle verbunden. Die Beschäftigung mit Emotionen und die Care-Arbeit, die damit einhergeht, werden definitiv weiblich gelesen. Daraus folgt, dass sie in einer patriarchalen Gesellschaft, die männliche „Rationalität“ über Emotionen stellt, als weniger wert angesehen wird. Liebesromane werden zusätzlich hauptsächlich von Frauen konsumiert und so als „weibliches“ Interessensgebiet (wie Mode, Make-Up und über Gefühle reden ;)) abgewertet.
Lässt trotzdem die Kassen klingeln
Trotz alledem ist es eines der verkaufsstärksten Genres, oft neben Crime/Mystery. Krimis werden ebenfalls eher als Niedrigkultur angesehen, da es viel um Emotionen wie Angst und ein Bedrohungsgefühlt geht. Dieses wird allerdings weniger abgewertet, da es sich um ein eher männlich gelesenes Genre handelt.
Zusammenfassend gesagt, basiert viel von der Herabsetzung des Romance-Genres darauf, dass es sich mit weiblich gelesenen Themen beschäftigt und tatsächlich hauptsächlich von Frauen gelesen wird. Also auf Sexismus. Das zweite Standbein, auf dem die Abwertung basiert, ist die einfache Zugänglichkeit: Die Bücher sind nicht sonderlich anspruchsvoll – ich muss nicht studiert haben, um sie verstehen zu können. Sie sind somit massentauglich und nicht exklusiv.
Keine Verherrlichung hier bitte!
Ich möchte mit diesem Artikel nicht sagen, dass das Genre unproblematisch ist. Es gibt viele sexistische Stereotypen, die reproduziert werden, es ist ein hauptsächlich heteronormatives Genre und vermittelt das Bild, dass ein Happy End eine*n Partner*in voraussetzt.
Gleichzeitig bietet das Genre Raum für queere Liebesgeschichten und alternative Lebensentwürfe (hier eine Liste). Und selbst die klassischen heteronormativen Geschichten sind der Höhepunkt des female Gaze, von Frauen für Frauen. Es thematisiert die in unserer Gesellschaft noch stigmatisierte weibliche Lust und Sexualität.
Im Romance Genre ist der „Orgasm Gap“ geschlossen
Also würde ich allen, die müde des Patriarchats sind, empfehlen, zwischendurch den Anspruch an sich selber etwas zu senken. Es ist komplett okay, sich nicht durchgehend mit den Problemen unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Es kann sogar ein schöner Akt von Self-Care sein, dieser Welt manchmal ein bisschen zu entfliehen.
Und Hot-Tipp: es gibt auch feministische Autor*innen die Liebesromane schreiben, die Maus supporten kann.
Hier findet ihr einige und hier eine Liste auf Goodreads.
Maria Slüter
Lea meint
Du bist nicht allein.
Für alle die es nicht glauben… wie viel ich durch gute 18 Jahre Schnulzen und Schund gelernt habe, ist unermesslich:)
Ganze Gesellschaftstheorien könnte ich aufstellen, aber ich glaub, ich les lieber den zweiten Band der neuen Nora Roberts Trilogie…