Leyla Imret hat fast ihr ganzes Leben in Osterholz-Scharmbeck gelebt. Hier wuchs sie bei ihrer Tante auf und ging zur Schule. Sie hat Friseurin und dann Erzieherin gelernt und hat in Bremen gearbeitet – für Mädchen in OHZ ein ganz normaler Werdegang. Dann aber, mit 28 Jahren ist sie wieder zurück in ihre am Tigris gelegenen Geburtsstadt Cizre gezogen, im krisengeschüttelten Dreiländereck Türkei, Irak und Syrien. Sie kandidierte als Bürgermeisterin und wurde auf Anhieb mit über 80% der Stimmen gewählt: Was war passiert?!
Die Antworten liegen im türkisch-kurdischen Konflikt
1991 wurde Leylas Vater, Hasim Zana im Gefecht getötet und zwei Jahre danach fuhren Panzer durch die Straßen von Cizre. Es gab ein Massaker, woran sich Leyla noch erinnern kann. Denn sie gehört zur Bevölkerungsgruppe der Kurden, – noch nie Erdogans Lieblingsgeschmack. Doch 20 Jahre später gab es endlich wieder Hoffnung auf eine Wendung zum Guten: 2012 sah es fast nach einem Tauwetter im türkisch-kurdischen Konflikt aus. Erdogan ließ mit dem Kurdenführer Öcalan verhandeln, die HDP-Partei wurde gegründet und zog mit vielen Sitzen ins Parlament ein. Demokratische Politiker*innen wurden gebraucht, zumal wenn sie einen großen Namen tragen, – und Leyla hat einen. Denn ihr Vater war ein bekannter PKK-Kämpfer, sozusagen der Stadtkommandant von Cizre.
Die Bremische Bürgerschaft unterstützte ihr Vorhaben
Das letzte, was ich von ihr gesehen hatte war ein Interview 2014 bei buten un binnen: Sie redete mit Bürgermeisterin Karoline Linnert im oberen Rathaus-Saal darüber, dass sie Cizre so schön aufbauen wolle wie Bremen. Ich war voller Bewunderung – aber auch Zweifel: Was sollte das junge Mädel ausrichten können? fragte ich mich, sie lächelt zu viel und ist noch so unsicher…
Ihr Weg wird im Film dokumentiert
…Jetzt nicht mehr: Ende Juni 2017 erschien der Dokumentarfilm „Dil Leyla“ von Regisseurin Asli Özarslan, auch eine Deutsch-Türkin. Hier sieht man Leyla Imret als gestandene Politikerin, die in der Öffentlichkeit spricht, auf ihren Standpunkt beharrt, über den Neubau eines Schlachthofes verhandelt, Parks und Spielplätze einrichtet. Sie verspricht den Bürger*innen von Cizre „Die Panzer kehren nicht wieder!“
Ihre Träume und Hoffnungen sollten aber nur knapp anderthalb Jahre währen.
Ihre Geschichte folgt dem Schicksal der Kurden
Denn die kurdisch-türkischen Beziehungen wenden sich – auch aufgrund des Krieges, der auf die Türkei übergreift – zum Schlechten und Leyla ergeht es als Bürgermeisterin nicht besser. Sie wird im Staatsfernsehen angeprangert und ihres Amtes „enthoben“. Im Dezember 2015 folgt eine 85-tägige Blockade von Cizre, mit vielen Ausgangssperren, Leyla wird 3 mal verhaftet und immer wieder freigelassen. Sie und ihre Familie schlafen jede Nacht an einem anderen Ort.
„Das Volk hat mich gewählt“
„Das Volk hat mich gewählt“, sagt sie „Ich arbeite weiter, ich gehe nicht weg … es geht nicht um mich.“ Obwohl sie Geschwister hat, entzieht sie sich nicht der Verantwortung, denn in der kurdischen Tradition fühlt sie sich für das Erbe ihres Vaters zuständig: „Es geht nicht um Junge oder Mädchen, ich bin die Älteste“. Und wenn sie in Deutschland geblieben wäre? „Ich wäre nur ein halber Mensch geblieben“, meint sie.
Wenn du in Osterholz aufwächst, Friseurin lernst und Erzieherin, und dann – weil du das älteste Kind eines legendären Freiheitskämpfers bist – zur führenden Politikerin einer kurdisch-türkischen Stadt wirst, die du als Fünfjährige verlassen hast – wenn du also den Stab übernimmst und weiterläufst: Dann Respekt!
Dil Leyla – Leyla mein Herz – Das war der Kosename ihres Vaters für sie.
Glenys Gill, OHZ im September 2017
Der Film Dil Leyla lief Ende Juni 2017 in Bremen an und kommt voraussichtlich Anfang Oktober ins Fernsehen (SWR)
Danke an Essence Film für die Überlassung von Bild- und Videomaterial.
Weitere Information:
Spiegel Online „Gestern Osterholz-Scharmbeck, heute Krieg“
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