Als ich den Titel „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ das erste Mal hörte, dachte ich sofort an die neoliberalen Forderungen nach mehr Frauen im Militär oder mehr weiblichen CEOs. Feministische Außenpolitik ist kein geschützter Ausdruck und leider werden darunter oft Panzer mit Regenbogenflagge vermarktet.
Aber Kristina Lunz stellt viel größere Forderungen: Abschaffung von Atomwaffen, humanitäre Sicherheit, das Ende des Patriarchats.
Oxford, „Nein heißt Nein“ und die UN
Aber von vorne: Kristina Lunz fängt an, über ihren eigenen Bezug zu Feminismus zu erzählen und einer*m wird klar, dass niemand besser geeignet ist, dieses Buch zu schreiben: Sie engagiert sich seit Jahren feministisch, hat Internationale Beziehungen in Oxford studiert, bei der UN gearbeitet und ihre Non-Profit-Organisation „Center for Feminist Foreign Policy“ beschäftigt sich – wie der Name schon sagt – seit 2016 mit feministischer Außenpolitik. Trotzdem schafft sie es, die Zusammenhänge und Probleme verständlich und alltagsweltlich zu erklären, selbst wenn das Thema vorerst abschreckend wirken mag.
Gute Grundlagen in Feminismus, Außenpolitik und feministischer Außenpolitik
Sie erklärt zuerst die Grundlagen des intersektionalen Feminismus und warum gerade Außenpolitik auch ein feministisches Thema sein muss. Dann gibt es auch eine Erklärung der Grundsätze der Diplomatie und der „Realpolitik“, die in außenpolitischen Beziehungen vorherrscht: Warum gerade diese nicht feministisch ist, wenn sie Sicherheit lediglich als einen Zustand festlegt, in dem keine Waffengewalt herrscht, statt sich um Gerechtigkeit und Frieden zu bemühen. Die Verbindung von Feminismus und Außenpolitik ist besonders in der Theorie stark, weil dadurch vieles hinterfragt wird, was man glaubt, über Außenpolitik und die Beschaffenheit der Welt zu wissen. Das ist das, was ich von Feminismus erhoffe.
Obwohl es das erste Buch ist, das die Wörter Feminismus und Außenpolitik zusammentut, ist das nicht der Anfang der feministischen Außenpolitik, den Kristina Lunz verständlich erklärt. Dann beschreibt sie auch die derzeitige Umsetzung: die Länder, die sich feministische Außenpolitik auf die Fahne schreiben, und die UN-Resolutionen, die über internationalen Feminismus verfasst wurden. Diese Realitäten und in welchen Belangen Deutschland diese noch nicht umgesetzt hat und wie diese zustande kamen, sollten zur feministischen Allgemeinbildung gehören und ich bin sehr froh, dass ich jetzt darüber Bescheid weiß.
Es gibt umfassende und berechtigte Kritik an der UN, die auch angesprochen wird, allerdings wird in dem Abschnitt über die NATO zu wenig Kritik an ihr geäußert, was mich sehr gestört hat. Die NATO steht für vieles, dem in diesem Buch vehement widersprochen wird: Aufrüstung, die Vorherrschaft der USA und damit einhergehender Imperialismus und Rassismus. Man muss Kristina Lunz jedoch zugutehalten, dass sie die NATO als Negativbeispiel verwendet, da sie in heutigen Zeiten mehr auf militärische Stärke statt auf die Priorisierung von menschlichen Leben setzt.
In einem weiteren Kapitel macht sie bedrohlich deutlich, dass es einen internationalen Backlash zur Ausweitung der Rechte von Minderheiten gibt. Dass dies so klar erkennbar und beweisbar ist, war mir nicht bewusst. So wie das ganze Buch ist dieses Kapitel voll von fundierten Statistiken und überzeugenden Erklärungen. Die kurzen Erklärungen politischer Begriffe und Institutionen macht es für jede*n Leser*in verständlich.
„Das ist eine der schlimmsten Sachen, wenn erst Katastrophen passieren und sich dann niemand mehr kümmert“
Im dritten großen Teil geht es um Feminismus, angewandt auf außenpolitische Themen: Gesundheit, die Klimakrise und Abrüstung. Dies ist eine aktuelle und wichtige Perspektive. Politische Entscheidungen werden häufig ohne die Berücksichtigung der Lebensrealitäten von FLINTA* getroffen. Dabei werden die Bedürfnisse eines großen Teils der Gesellschaft vergessen und genau da setzt feministische Außenpolitik an. Hier wird auch klar, wie wichtig es ist, sich kontinuierlich feministisch einzusetzen, damit Ungleichheiten überbrückt werden.
Ein Buch für die realistischen Utopien
Insgesamt ist es ein sehr gut verständliches Buch, das trotz seiner großen Ansprüche an Utopien und große Forderungen stets auf dem Boden der Tatsachen bleibt, reale Situationen beschreibt und konkrete Forderungen aufstellt. Dabei geht es um langfristige, mittelfristige und kurzfristige Ziele – langfristig sollte es keine Atomwaffen mehr geben, mittelfristig muss abgerüstet werden und kurzfristig reicht es vielleicht, wenn keine neuen gebaut werden. Trotzdem ist es eher ein Buch für Realist*innen, die ein wenig mehr wagen wollen. Kristina Lunz fordert nicht Revolution, sondern ihre Organisation arbeitet an konkreten humanitären Krisen, wie in Afghanistan, daran, dass die Belange von Frauenorganisationen auch in Europa und Deutschland gehört werden. Die Zukunft der Außenpolitik ist hoffentlich zumindest bis dahin feministisch, denn Sicherheit durch Waffen und Kräftemessen wird unsere Probleme nicht lösen.
Das Buch bietet eine gute Einführung in feministische Außenpolitik. Es ist sehr verständlich geschrieben und schließt keine*n aus. Besonders gut ist, dass es sich nicht in einem elitären, politikwissenschaftlichen Forschungsjargon verliert, wie es bei Lektüren zum Thema Politik oft der Fall ist. Es bleibt die Frage der Radikalität des Themas. Wie Lunz selber schreibt: ich hoffe, dass es noch viele (radikalere) Bücher über feministische Außenpolitik gibt. Diese Lektüre bietet jedoch einen guten Einstieg, denn immerhin gibt es jetzt ein Buch zu feministischer Außenpolitik, welches die breite Masse dazu bewegt, über diese Perspektive nachzudenken.
Ella
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