“Deutschland ist kein Einwanderungsland”, “Wir sind mit der Situation überfordert”, Sätze wie diese hört man in letzter Zeit häufig. Einwanderung: ein trojanisches Pferd der Neuzeit. Dabei sollten die letzten 400 Jahre deutscher Geschichte – und zwar deutscher Einwanderungsgeschichte – eigentlich zeigen, dass die derzeitige Panik unbegründet ist.
Das ZEIT Geschichte Magazin hat diesen Monat eine spannende Ausgabe mit brisanter Relevanz zur derzeitigen Krisenstimmung herausgegeben: „Die Neuen Deutschen“. Damit wird offen Stellung genommen gegen die vorherrschenden Angstpredigten, die der Bundesrepublik aufgrund der anhaltenden Einwanderungsbewegungen nach Europa eine düstere Zukunft voraussagen.
Einwanderung nach Deutschland keine Neuheit
Die wichtigste Aussage sei darum gleich zu Beginn festgehalten: Einwanderung nach Deutschland ist KEINE Neuheit! Schon seit dem Dreißigjährigen Krieg im 17ten Jahrhundert hat es regelmäßig Ein- und Auswanderungsbewegungen in ganz Europa gegeben, wodurch auch Deutschland geprägt wurde. Und dies nicht ohne positive Nebenwirkungen! Nach den verheerenden Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges lagen ganze Dörfer und Landstriche brach, die Bevölkerungszahl war auf 60 Prozent der Vorkriegspopulation gesunken. An Wiederaufbau und Wiederaufnahme der Landwirtschaft war dabei kaum zu denken. Die Lösung kam in Form der „Peuplierung“, dem bewussten Anwerben von Fremden durch ein forciertes Bevölkerungswachstum. Befürworter wussten um die positiven Auswirkungen dieses Plans und versprachen beschleunigende wirtschaftliche Entwicklungen sowie anwachsenden Reichtum aller.
Zudem ist festzuhalten, dass es geschichtlich immer auch zu Auswanderungsströmen kam, die sich zumeist mit der Zahl der Einwanderbewegungen die Waage hielten. Diese Zahlen werden jedoch in den Medien häufig unterschlagen, Auswanderbewegungen seltener erwähnt. Darauf haben die Frauenseiten mit der Reihe “Deutsche Auswanderungskultur” bereits vergangenes Jahr aufmerksam gemacht. Doch auch ganz unabhängig von dieser Tatsache sind Migration und Einwanderung keinesfalls Unheilsbringer für unser Land. Auch wenn diese Erkenntnis bei vielen Menschen noch nicht durchgesickert zu sein scheint.
Migration ist der historische Normalfall
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Widerstand hat es dabei in der deutschen Geschichte schon immer gegeben. Im 17ten Jahrhundert waren es die sogenannten Hugenotten, im 19ten Jahrhundert dann Polen, später Italiener oder Türken, die ausgegrenzt und verteufelt wurden. Heute gilt die größte Anfeindung den Muslim*innen. Diese Fremden seien eine Gefährdung sittlicher sowie politischer Ordnung. Auch wurde schon in den vergangenen Jahrhunderten die Sorge laut, die Fremden könnten uns Nahrung oder Arbeitsplätze nehmen. Dabei wird deutlich, dass es nicht so sehr um das wer geht. Angefeindet und gefürchtet wird vielmehr alles Fremde. Ganz gleich ihrer Herkunft oder Einwanderungsgründe: ausgegrenzt werden zumeist diejenigen, die anders sind, fremde Kulturen mitbringen, ein anderes Aussehen haben oder unbekannte Kleidung tragen.
Doch die geschichtlichen Ereignisse zeigen, dass meist das Gegenteil der Fall war. Anstatt den Deutschen Nahrung und Arbeit wegzunehmen sorgten die Einwanderer im 17ten Jahrhundert vielmehr dafür, die deutsche Landwirtschaft sowie die städtische Industrie wieder in Schwung zu setzen. Im 17ten Jahrhundert gab es gar eine Phase, in der die Neuankömmlinge so begehrt waren, dass kulturelle wie religiöse Toleranz ein bis heute unvergleichbares Ausmaß annahmen. So gab es ökonomische Anreize, Befreiung von Steuern und eine religiöse Toleranzpolitik, die es den Neuankömmlingen erleichtern sollte, im für sie fremden Land Fuß zu fassen. Der wirtschaftliche Aufschwung nach Ende des Zweiten Weltkrieges zeugt als weiteres Beispiel von positiven Auswirkungen der Einwanderung. Und auch unsere heutigen Supermärkte und Stadtzentren, mit ihren ausländischen Restaurants, die von italienischer über chinesische zu polnischer Küche reichen, sähen ohne Migrant*innen heute ganz anders aus.
Edeka in Hamburger Hafencity macht Aktion gegen Rassismus. 👍 #saynotoracism pic.twitter.com/S3puFdn62g
— Sven @opendev@chaos.social (@opendev) August 19, 2017
Herausforderungen der Integration
Natürlich kommen nicht alle Flüchtlinge und Fremde zu uns, um sogleich notwendige Arbeiten zu leisten. Gerade in der neueren Geschichte war es üblich, Gastarbeiter*innen anzuwerben, die nach getaner Arbeit bestmöglich wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren sollten. Dass viele Einwander*innen stattdessen oft ihre Familie nachholten und sich in Deutschland niederließen, war dabei wohl weniger das Problem als die verpasste Integrationsarbeit und Eingliederung der neuen Arbeitskräfte. Die meisten Menschen, die heute über die Grenzen Europas kommen und Zuflucht in den europäischen Ländern suchen, wären durchaus bereit, für ihren Aufenthalt und ihre Aufnahme in einem fremden Land etwas zu tun. Oftmals stehen dem jedoch bürokratische Hürden und langwierige, stockende Bearbeitungen aller Anträge, Prüfungen und Anfragen im Weg. Sollte sich dagegen die Lebenssituation in ihren Herkunftsländern verbessern, würden viele der Neuankömmlinge womöglich auch gerne in ihre Heimat zurückkehren.
Aufruf zu mehr Verantwortung
Wie kann es sein, dass Deutschland bewusst Fremde anwirbt, um dem eigenen Land Vorteile und Nutzen zu bringen – Vorteile also, die offensichtlich in Verbindung mit Einwanderung und Migration gebracht werden – und im nächsten Atemzug die Alarmglocken läutet, sobald Fremde bei uns Schutz und Wohlstand suchen? Es ist schon ein zweischneidiges Gesicht, das Deutschland an den Tag legt, wenn es Zuwanderung erwünscht, sich jedoch gleichzeitig um die Konsequenzen und daraus resultierenden Herausforderungen drücken will. In einer so eng vernetzten Welt wie der unseren kann es sich kein Land mehr erlauben, ausschließlich eigenen Nutzen aus den geschichtlichen Ereignissen und Bewegungen ziehen zu wollen, ohne im Umkehrschluss dafür auch etwas ab- oder weiterzugeben.
Deutschland hat, wie die Geschichte der vergangenen 400 Jahre zeigt, nicht nur von Einwanderung und Migration profitiert. Deutschland und unsere Bevölkerung ist auch seit jeher geprägt und geformt worden von den durch Zu- und Auswanderung entstandenen Netzwerken, Handelsbeziehungen sowie einem demographischen Wandel, der einer Überaltung der deutschen Bevölkerung entgegen wirkt. Nicht zuletzt das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit hat eindrücklich bewiesen, wie gut Deutschland doch aufgrund, nicht nur trotz steter Einwanderungsbewegungen heutzutage dasteht. Wir sind im Verlauf der jüngsten Geschichte zu einem der wohlhabendsten und lebenswertesten Länder der Welt geworden. Nun ist es an der Zeit, Danke zu sagen und auch solche Gründe unseres eigenen Aufstiegs anzuerkennen, die uns derzeit allzu schnell in unbegründete Panik verfallen lassen.
Maren Göttke
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