Heute ist Equal Pay Day. Das heisst, wir Frauen haben in der Schweiz vom Jahresanfang bis jetzt im Vergleich mit den Männern für die gleichwertige Arbeit nichts verdient. Nichts. Stellt euch einfach mal vor, ihr hättet fast zwei Monatslöhne mehr (oder weniger, je nach Perspektive).
Ich höre schon die Zwischenrufe, von wegen „erklärbarer“ und „nicht erklärbarer“ Lohnunterschied. Ja, gibt es. Und: nein, das macht die Sache nicht besser. Denn auch der erklärbare Unterschied enthält diskriminierende Elemente, wie man hier auf Seite 12 nachlesen kann.
Also… fast zwei Monatslöhne mehr, das wären…
Moment. Ich arbeite ja nicht. Genau genommen habe ich zwar den ganzen Tag (eher 20 Stunden pro Tag) alle Hände voll zu tun, aber eben: das ist keine Arbeit. Jedenfalls keine „richtige“ Arbeit, für die man Geld bekommt und Sozialleistungen. Denn ich bin im Augenblick Vollzeit-Mutter, oder, weil’s so hipstermässig klingt, eine SAHM*.
Kinder, so will uns zumindest die aktuelle politische Mehrheit weismachen, sind Privatsache (so lange, bis wieder einer „wir sterben aus! wir kriegen zu wenig Kinder!“ schreit und alle hoch und heilig versprechen, man werde die Bedingungen für Familien verbessern, irgendwann). Sich den ganzen Tag mit einem Kind (oder mehreren) zu beschäftigen macht ja Spass, oder? Das ist doch nicht zu vergleichen mit einem anstrengenden Job, bei dem man müde wird und/oder dreckig, sich über den tyrannischen Chef ärgert und nicht zum Essen kommt am Mittag, weil man viel zu viel zu tun hat… finde den Fehler.
Ich bin im Moment also vieles – Mutter eines bald neun Monate alten Kindes, daher: wandelnde Milchbar, lebender Kletterturm, Trösterin, erste Windelwechslerin; ausserdem: Partnerin eines Arztes, Dosenöffnerin einer furchtlosen Stadtkatze, Chef-Einkäuferin, CEO und Hauswartin unseres Klein-Unternehmens namens „Familie“; unter anderem auch noch: Akademikerin und Amateur-Amigurumi-Häklerin – aber anscheinend kein Teil der arbeitenden Bevölkerung. Ab nächstem Monat bin ich zudem „stellensuchend“ (weil, eben: arbeitslos wäre anders) und – ta-daa, dazu aber an anderer Stelle mehr, „vermittlungsfähig“.
Nicht erst seit mein Kind auf der Welt ist gehört es zudem zu meinen Stärken, mich leidenschaftlich über gewisse Dinge aufzuregen. Seit ich Mutter geworden bin, werde ich häufig vor lauter Verständnislosigkeit und Irritation gar nicht mehr fertig mit Kopfschütteln. Schweiz, du könntest das mit der Familienpolitik so viel besser. Vereinbarkeit ist ein schönes Wort, aber in der Realität oft leider nicht mehr als das. Passender und ehrlicher wäre es, aktuell von Unvereinbarkeit zu sprechen. Denn – ausser man hat wirklich sehr viel Geld – kaum eine Familie kann die erste Zeit mit Kind, die ersten Jahre, genau so gestalten wie sie es sich wünschen würde. Kinder zu haben lässt sich allzu oft nicht mit dem Leben vereinbaren, das man gerne leben würde.
Der Equal Pay Day hat insofern mit der Vereinbarkeit zu tun, als dass die Ungleichbehandlung von Frauen in der Erwerbswelt nicht selten damit zusammenhängt, dass sie eben Kinder bekommen können oder schon welche haben. Beides scheint für viel zu viele Arbeitgeber nach wie vor ein Problem zu sein. Das, was man als Mutter (oder Vater, aber dazu muss ich mal einen eigenen Text schreiben, fürchte ich) lernt und leistet, sind keine gefragten „skills“ und „experiences“, die Zeit, die man zu Hause mit den Kindern verbringt, wird längst nicht so positiv gesehen wie die Weltreise oder das Sabbatical im Schweigekloster, sondern als fehlende Berufserfahrung oder mangelnde Flexibilität eingeordnet. Und schon sind wir Frauen im Hintertreffen was unsere Chancen auf Beförderungen oder unseren Anspruch auf Lohnerhöhungen angeht. Voilà: wir verdienen weniger als die Männer. Ein Unding.
Dazu eine kleine Geschichte:
Frisch von der Uni kommend konnte ich mir nicht vorstellen, dass mir das passieren könnte, weniger zu verdienen als ein Mann, der die gleiche Arbeit macht. Ich war selbstbewusst, hatte mich vor der Lohnverhandlung in der zweiten Runde der Bewerbungsgespräche gut informiert, wollte erstmal weder zu viel noch zu wenig verlangen, so als blutige Anfängerin. Ich nannte eine Zahl, mein Gegenüber nickte, das war’s mit der Verhandlung. Genau die genannte Zahl stand später in meinem Vertrag. Ich klopfte mir selbst grinsend auf die Schulter. Hatte ja sehr gut geklappt, das mit dem Lohn. Das böse Erwachen folgte wenige Monate später, als ich mit einem Kollegen auf Dienstreise war. Beim Abendessen kamen wir auf unseren Lohn zu sprechen, und ich stellte fest: er verdiente mehr als ich. Wir waren fast gleich alt, er hatte etwas mehr Berufserfahrung, aber dieselben Qualifikationen, unsere Stellenbezeichnung war identisch und wir machten im Büro dasselbe. Nur: ich an fünf Tagen die Woche, er an dreien. Richtig gelesen: er verdiente mit einem 60%-Pensum mehr als ich mit 100%.
Als ich meine Vorgesetzten darauf ansprach und sagte, es ginge mir weniger um meinen subjektiven Lohn als um den eklatanten Mangel an Transparenz, hiess es, man würde das weiterleiten. Ende des Jahres, sechs Monate nach meinem Arbeitsbeginn, erhielt ich kommentarlos eine Lohnerhöhung von 10%. In Sachen Transparenz änderte sich nichts. Und ich ärgerte mich sehr. Über mich selbst und meine Blauäugigkeit, aber auch darüber, dass ich die Erhöhung einfach annahm, obwohl es sich wie Bestechung anfühlte.
Aber weiter im Text: ich rege mich also auf. Insbesondere über Dinge, die in unserer Gesellschaft nicht funktionieren oder nicht gerecht sind. Ich höre oft, das mache doch keinen Sinn, sich darüber zu ärgern, man könne ja sowieso nichts tun (oder wahlweise: das sei doch „Energieverschwendung“/das sei nunmal so, man könne das nicht im Alleingang ändern).
Mag alles stimmen – aber mir tut es gut, mich manchmal aufzuregen, und ich bin grosse Anhängerin der Überzeugung, dass es durchaus etwas bringt, wenn man die Ungerechtigkeit beim Namen nennt und sich deutlich dagegen ausspricht. Vielleicht nicht, wenn man das alleine tut. Aber ich bin nicht alleine, meine Stimme ist eine von vielen. Wie viele es braucht, um tatsächlich Veränderung zu bewirken, weiss man meist nicht vorher. Nur: es könnte ja sein, dass meine Stimme die letzte fehlende ist vor dem Durchbruch. Oder deine, die du bisher nicht erhoben hast – wer weiss.
Ich werde hier also ab und zu meine Stimme erheben und davon erzählen, wie das so ist für mich, für uns mit der (Un-)Vereinbarkeit in der Schweiz im Jahr 2018.
*SAHM: stay at home mom.
Mehr Texte von Nina findet ihr unter unvereinbarkeit.wordpress.com
Anmerkung der Redaktion: Equal Pay Day in der Schweiz war am 24. Februar 2018, also 22 Tage vor uns.
Janni meint
Danke liebe Nina, dass wir deinen tollen Artikel nutzen dürfen! Ich bin froh, dass wir unseren tollen Kontakt geknüpft haben und freue mich auf zukünftige Texte!
Janina