Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um sexualisierte und häusliche Gewalt.
Relativ gewöhnliche Behandlungszimmer, ein Tisch zum Gespräch, ein steriler Stuhl, wie man ihn vom Besuch bei Zahn- oder Frauenärzt*innen kennt. Auch die Bilder an der Wand verstärken diesen Eindruck. Sie reichen von Strandkorblandschaften zu Dünengräsern, aber das Licht ist gedimmt und die ganze Atmosphäre ist sanfter und weniger steril. Auf dem Tisch stehen Taschentücher, Süßigkeiten und ein Stofftier, dazu später mehr. Klar wird schnell: Hier wird versucht, eine Wohlfühlatmosphäre zu erzeugen. Und das funktioniert auch, soweit das an solch einem Ort möglich ist.
Worum geht es?
Anlass unseres Rundgangs ist die Neueröffnung der sogenannten Gewaltschutzambulanz – der neuen rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle des Klinikum Bremen-Mitte. Genauer gesagt eine Anlaufstelle zur forensischen und rechtlichen Beratung und Betreuung für Opfer von Gewalttaten. Somit ist sie im Kontext von sexualisierter und häuslicher Gewalt das fehlende Puzzleteil neben Notaufnahme und Kinderschutzambulanz. Mit Möglichkeiten, die es vorher nicht gab, richtet sie sich an Erwachsene jeden Alters und Geschlechts.
Was hat sich verändert?
Bis dato wurden Opfer von sexualisierter Gewalt in der Notaufnahme medizinisch versorgt und dann an die Gynäkologie weitergeleitet, um die Spuren zu dokumentieren. Im Fall von häuslicher Gewalt hingegen war eine Spurensicherung rein technisch nicht möglich. Alles was über die akute Behandlung hinausging unterlag also der aktiven Eigeninitiative. Mit der neuen Einrichtung ändert sich das nun. Verletzungen wie blaue Flecken oder ähnliche Spuren können mit entsprechendem Equipment wie Tageslichtlampen direkt dokumentiert werden, um später gegebenenfalls als Beweismittel zu dienen.
Nicht nur der direkte Weg nach einer akuten Notfallsituation via Notaufnahme führt Betroffene zur Ambulanz, es gibt auch die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme via Email oder Telefon. Dann erfolgt eine Beratung und Terminvereinbarung auf Distanz. Je nach Art des Anliegens gibt es auch unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten. Bei einem Vergewaltigungsfall muss zum Beispiel innerhalb der ersten 72 Stunden DNA sichergestellt werden, bei blauen Flecken kann es sogar notwendig sein, mehrere Stunden abzuwarten, damit die Verletzungen sichtbar werden.
Wie wird ein geschützter Raum gewährleistet?
Die Ambulanz umfasst neben einem Warteraum und dem Büro der Verantwortlichen ein gynäkologisches Behandlungszimmer und einen Gesprächs- bzw. Fotodokumentationsraum mit abgeklebten Scheiben. Wer hier intime und traumatisierende Ereignisse schildern muss, soll keine Angst haben, dass das in falsche Ohren und Augen gelangt. In jeder Hinsicht sollen die Betroffenen in einem möglichst geschützten und abgeschirmten Umfeld beraten werden. Das eingangs erwähnte Stofftier fungiert als Beschäftigung für die Hände. So kann vermieden werden, dass Beweise aus Versehen verfälscht werden, wenn die Betroffenen während der Schilderung den Tathergang am eignen Körper demonstrieren. Unnötige Begegnungen auf dem Flur werden vermieden. Das Wartezimmer richtet sich hauptsächlich an Begleitpersonen, die, sofern volljährig, gerne als Unterstützung zum Termin mit erscheinen dürfen. Und Daten werden selbstverständlich vertraulich behandelt. Auch eine Beschilderung zu den Räumlichkeiten ist nicht auffindbar. Stattdessen wir ein Treffpunkt vereinbart, von dem aus es dann zur Ambulanz geht. So kann gewährleistet werden, dass sie nicht für Außenstehende zugänglich wird. Auch finanziell sind durch Vereinbarungen mit den Krankenkassen Hürden aus dem Weg geräumt: Eine Kostenübernahme kann ohne Weitergabe personenspezifischer Daten stattfinden.
Wer sind die Beteiligten und was sind ihre Aufgaben?
Das Team, welches die letzten Monate bereits an der Konzeption beteiligt war ist überschaubar. Es setzt sich zusammen aus der Leiterin Dr. Saskia Etzold und Ramona Rohlwing. Erstere ist renommierte Rechtsmedizinerin, bringt bereits langjährige Erfahrung aus Berlin mit und setzt diese nun hier in Bremen um. Frau Rohlwing legt ihren Fokus auf Case Management. Das bedeutet, dass sich in der Ambulanz nicht nur um akute Behandlung gekümmert wird, sondern auch um die Koordination und Organisation anschließender Betreuung. Die Gewaltschutzambulanz bietet zwar selbst keine juristische Beratung an, kann aber zu den verantwortlichen Stellen weiterleiten und so die Hemmschwelle eigener Recherche niedriger setzen. Daneben verbleiben die Dokumentationen zehn Jahre lang in den Datenbanken des Klinikums. Auch wer sich also vielleicht akut nicht dazu entscheidet, weitere juristische Schritte einzuleiten, hat während dieses Zeitraums stets die Möglichkeit, doch noch auf die Beweismaterialien zurückzugreifen. Das Besondere an der Ambulanz ist also anders als beim Weg direkt über die Polizei auch, dass es möglich ist, Spuren zu sichern, ohne Anzeige zu erstatten.
Was war der Anlass für die Einführung der Institution?
Angestoßen hat diese notwendige institutionelle Erweiterung ursprünglich die Istanbul-Konvention. Der bereits vor Jahren beschlossene völkerrechtliche Vertrag zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen mündete nun also mit finanzieller Unterstützung der Senatorin für Gesundheit am 4. April 2024 auch in Bremen in die Eröffnung der Gewaltschutzambulanz. In anderen Städten hat sich das Angebot bereits bewährt, aber wird das auch hier funktionieren? Leider, so die Leiterin des Klinikums, herrschte bereits während der Konzeptionsphase ein so großer Bedarf und Andrang auf das Angebot, dass sich die Frage nach der Dringlichkeit einer solchen Einrichtung schnell erübrigt. Ebenso wenig wie die Notwendigkeit, dass die Ambulanz in Zukunft noch weiter ausgebaut werden soll.
Und jetzt?
Es liegt nun in unserer gemeinsamen Hand, das Angebot weiter zu verbreiten und Flyer und Sticker zu verteilen, damit der Weg von Delikt zu Konsequenz möglichst einfach und kurz wird! Als Ausgangsworte nutze ich die einleitenden Worte der Senatorin für Gesundheit Claudia Bernhard. Sie appelliert für Transparenz und Öffentlichkeit: „Es ist wichtig, in den Diskurs zu kommen!“
Gewaltschutzambulanz
Tel.: 0421 49773920 (Sprechzeiten Mo-Fr 8.30 – 15.00 Uhr, Anrufbeantworter mit Rückruf möglich)
E-Mail: gewaltschutzambulanz@gesundheitnord.de
Internet: www.gesundheitnord.de/gewaltschutzambulanz
Pia Brand
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