Als ich jünger war, erschien es mir, als würde für mich mit jedem zusätzlichen Lebensjahr ein besseres Leben eintreten. Schulabschluss, ausziehen, studieren. Freiheit. Endlich alleine Entscheidungen treffen, nicht mehr Mama und Papa im Nacken. Durchatmen.
Aber dass das Leben nach der Schule nicht nur Konfetti und Pfannkuchen ist, habe ich dann doch registrieren müssen.
Hü oder Hott
Eine freudenlose Zeit in der Mittelstufe hat meinen Wunsch nach dem Auszug das erste Mal entfacht. Ich hatte mir damals sogar einen Countdown bis zum Tag meiner Schulentlassung erstellt. Kopf hoch, Krone richten. Ich schaff das. Die 1532 Tage halte ich doch locker durch. Tick- Tack ist mein Lieblingslied.
Mit neuen Freu(n)den habe ich auch den Spaß an meinem Dasein wiedergefunden. Ich habe das erste Mal so richtig Party gemacht, war das erste Mal so richtig verliebt, das erste Mal so richtig beschwipst vor Glück. Hach, ich will hier nie mehr weg. Bitte, stoppt irgendwer die Zeiger; plötzlich ist morgen schon vorgestern.
Zusammen haben wir an unserer heiteren Zukunft gefeilt: Ausziehen, vielleicht Berlin, ’ne mega geile WG, etliche Partysausen, feiern, leben, lieben. Wer kennt diesen Traum denn nicht. Tschüss Mama, tschüss Papa, viel Spaß noch, bis irgendwann dann. „Träum weiter!“ habt ihr gesagt.
Hott oder Hü
Mein Ehrgeiz hat mich in Zeiten der Abiturvorbereitungen in den Wahnsinn getrieben. Ich habe jeden Tag von morgens früh bis abends spät an meinem Schreibtisch mit den Sätzen meiner hundertfachen Lernzettel verbracht. Meine doppelten Espressi haben nicht nur meinen Magen angespornt; ich wollte unbedingt das Maximum aus meinem Gehirn preschen.
Prüfungen vollendet, einen über den Durst getrunken (nein, kein Espresso), 10 Tage durchgeschlafen. Großer Wendepunkt in meinem Gehirn: Du musst jetzt was Neues machen, du wirst studieren, du wirst ausziehen, du wirst selber dein Konto füllen, herzlich willkommen in der Eigenverantwortung. Uff. Wie bitte? Wo finde ich denn den Notausgang, Papa?
Ein Zeitpunkt, der aus dem Erwachsen werden ein böses Erwachen gemacht hat. Die Freude auf die Freiheit hat jetzt den Beigeschmack aus Angst vor deren Konsequenzen.
Fehler und Erfahrungen
Die erste Konsequenz habe ich mit der Wahl des falschen Studiengangs tragen müssen. In dem Moment war das Ticken der Uhr von Hassgeräusch zum Ohrenschmaus geworden. Dreh doch bitte mal wer am Zeiger; bitte mach Stunden zu Sekunden.
Ja, genau so war’s. Ich habe mir gewünscht, dass ich mich meiner Entscheidung nicht stellen muss. Dass ich nicht all den Leuten mein Versagen beichten soll, dass nicht jeder mit entsetzter Miene „Ach, warum das denn?“ fragt. Gleichzeitig wollte ich diese Zeit halten. Es hat meine Persönlichkeit ganz stark geprägt. Zum ersten Mal musste ich mich alleine, vor all den Menschen, die mir wichtig sind, selbst behaupten. Ich habe viel Zeit in mich investiert, meine eigenen Gedanken sortiert und was klingt wie eine Phrase: Ich habe den Weg zu mir selbst eingeschlagen.
Ich glaube, das nennt man Erwachsen werden. Unter dem Genuss der Freiheit das Feuer der Konsequenzen zu balancieren. Dem Ticken der Uhr als einem Remix aus Trauerspiel und Freudentanz zu lauschen.
Vivien Koschig
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