Gestern Abend habe ich mir den Film “Fair Play” von Chloe Domont (Regisseurin und Autorin) angeschaut und war mir nicht bewusst, dass dieser Film seit seiner Premiere auf dem Sundance Film Festival schon laut dem Online-Filmmagazin „Filmstarts“ als “meisterwarteter Thriller des Jahres” gilt. Und entsprechend dieser Unkenntnis wollte ich mich vom Inhalt überraschen lassen. Also entschied die Fernbedienung, was auf das abendliche Filmprogramm kam: Netflix.
Der Anfang…
Die Story erscheint im ersten Moment als üblicher Ablauf: Erfolgreiches Paar lebt inmitten der New Yorker Hektik und widmet sich dem Geldverdienen als Hedgefonds-Manager*in. Der Blick in die Beziehung des frischverliebten Paares wird durch eine Szene eröffnet, in der sich die Liebenden einen Quicky in der Toilette einer New Yorker Nobelbar gönnen wollen. Die Hauptdarstellerin (Phoebe Dynevor als Emily) wird von ihrem Helden (Alden Ehrenreich als Luke) auf den Waschtisch geknallt, der Hauptdarsteller senkt seinen Kopf in ihren Schritt, um dort das zu tun, was beiden große Freude bereiten soll. An diesem Punkt war der Film für mich eigentlich schon erledigt, ich mag neuromantische Filme nicht mehr: aus irgendeinem Grund werden seit einigen Jahren immer wieder Frauen irgendwo hingeknallt, meistens an Wände, und eben auch häufig auf Waschtische, um ausufernde Lust darzustellen – dass dieses Geknalle weh tut, wird seltsamerweise nicht weiter erwähnt.
….Hoppla
Aber plötzlich wurde ich hellwach: der Hauptprotagonist hebt seinen Kopf – blutverschmiert! Die Heldin hat ihre Tage! Und es wird noch besser: sie können beide darüber lachen! Wenden sich nicht verschämt ab oder versuchen, eine “Du-hast-Schuld-weil-einer-nun-mal-Schuld-haben-muss” Situation inhaltsleer herzustellen. Inmitten dieser Szenerie erhält Emily einen Heiratsantrag von Luke, mit dem sie offenbar nicht gerechnet hat…die Liebe ist groß, die Romantik bekommt Raum.
Und noch mehr Überraschungen
Durch verlängerte Sequenzen, stark wirkende Frontalaufnahmen und stehende Bilder lässt der Film viele Gedankenspielereien zu, aus denen sich Alltagsabläufe selbst erklären. Szenen im Apartment, ein Großraumbüro als Arbeitsplatz von beiden, kurze Blicke auf Handyinformationen lassen die Selbstverständlichkeit eines schnellen, hektischen Tages von Menschen entstehen, deren Liebe dem Big Apple gilt und die gerne eine Menge dafür geben. Als ein Mitarbeiter die Nerven verliert und deshalb eine begehrte Stelle frei wird, sind Emily und Luke davon überzeugt, dass Lukes großer Moment gekommen ist: er wird neuer Portfoliomanager der Firma und beide feiern den Tag ausgelassen mit Alkohol und ihrer erotischen Zweisamkeit. Lediglich Lukes Satz: “Wann zum Teufel heiraten wir denn? Ich muss mein Revier markieren, an meinen Baum pissen“ (16:17) fällt völlig aus dem Rahmen. Ist ein Heiratsantrag ein ‘In-Besitz-nehmen’? Habe ich jemals in einem Film diese Wortwahl gehört? Ab diesem Punkt nimmt mich meine Aufmerksamkeit aktiv an die Hand und möchte auch den Rest des Filmes mit mir gemeinsam sehen.
Aber es kommt anders als es die Feiernden erwartet hatten: Emily wird durch den Chef der Firma auf die begehrte Stelle gehoben, ihre Fähigkeiten, ihr durchdachter und geplanter Weg ihres Ausbildungsstandes wird betont und dabei wird unterstrichen, dass es keine Frage gibt, ob sie zu den erwarteten Leistungen in der Lage ist. Ihre sorgsam vorbereitete Karriere bekommt die Früchte, die sie selbst auch immer anvisiert hatte. Spannend, schwierig wird es nun allerdings innerhalb der Beziehung des jungen Glücks.
Interessante Entwicklung mit gelungenem Abschluss
Insgesamt gibt es in diesem mitreißenden Film viele Dialoge, die das ungleiche Verhältnis von Frauen und Männern als Schwerpunkt aufnehmen und interessanterweise nicht einfach zu irgendeinem Ende führen: die Problematik der Problematik liegt in sich selbst, wird durch sich selbst ausgelöst und findet genau deshalb kein Ende, keine Lösung. Viele Bemerkungen, die für Frauen entwürdigend, verletzend sind und nachhaltig traumatisierende Folgen haben, kommen in Situationen vor, an denen man überhaupt nicht mit solch einer Veränderung der Verhältnisse rechnet – wie im richtigen Leben! Welche Frau kennt es nicht: auf eine unverschämte Äußerung im entscheidenden Moment keine Erwiderung parat zu haben.
Auch die Tatsache, dass viele Konflikte (die nicht sofort als solche erkennbar sind) in der Emotionalität der Protagonist*innen ihren Ursprung haben, lässt den Film als sehr reale Auseinandersetzung mit dem erscheinen, was uns so oft im Weg steht: Sehnsüchte, Wünsche, Hoffnungen, Erlerntes. Und dafür findet der Film auch eine außerordentlich gelungene Wendung, die ich sehr genossen habe.
Schaut selbst: Netflix bietet den Film seit dem 06.10.2023 an. In den Kinos läuft er seit dem 5.10.2023.
Lille
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