Brock Turner ist ein Student der Stanford University in den Vereinigten Staaten, einer der prestigeträchtigsten und größten Universitäten weltweit. Als guter Student und Star des Schwimmteams fiel Brock Turner zuerst nur positiv auf, wurde sogar als möglicher Kandidat des olympischen Schwimmteams der USA für 2016 gehandelt. Anfang Januar 2015 wurde Turner allerdings aus anderen Gründen berühmt: Er wurde, nach einer Party auf dem Campus, von zwei schwedischen Studenten dabei ertappt, wie er eine bewusstlose Frau vergewaltigte, im Dreck hinter den Müllcontainern auf dem Campus. Turner versuchte zu fliehen, die beiden Studenten konnten ihn aber einfangen und hielten ihn fest, bis die Polizei und der Krankenwagen ankamen. Jetzt, ein Jahr später, fand der Prozess gegen Turner statt. Entgegen der Wünsche der Anklage wird Turner nur zu sechs Monaten Haft mit drei Jahren Bewährung verurteilt, kann eventuell unter guter Führung sogar nach drei Monaten das Gefängnis verlassen. Die Anwältin des Opfers hatte sechs Jahre gefordert. So oder so ist Turner von seiner Universität Stanford auf Lebenszeit des Campus verbannt worden und wurde ebenfalls von der amerikanischen Schwimmverband auf Lebenszeit gesperrt für jegliche Teilnahme an Wettkämpfen, national und international. Er muss sich außerdem für den Rest seines Lebens in der Datenbank für sexuelle Straftäter vermerken lassen.
Die Reaktion seines Opfers
Von dem Opfer, dessen Identität aus Rücksicht immer noch nicht bekannt ist, kommt nun eine zwölfseitige Reaktion auf das, was ihr passiert ist. So stellt sich durch diesen offenen Brief erst heraus, dass ihr im Krankenhaus gar nicht bewusst war, was passiert war. Sie sei mit ihrer Schwester abends noch auf eine Party gegangen, habe etwas getrunken – und danach ist ihre erste Erinnerung wieder, dass sie im Krankenhaus auf einen Überfall untersucht wurde. Ihr Blutalkohol war hoch und ihr Körper wies deutliche Spuren von sexuellem Übergriff auf. Erfahren tut sie dies allerdings erst, als sie einen Artikel in ihrer örtlichen Zeitung liest über die Verhaftung von Brock Turner und von der „bewusstlosen, angetrunkenen Frau“, die von ihm überfallen wurde – sie selbst. Erst hier erfährt sie direkt, was ihr passiert ist, dass Turner sich an ihr vergangen hat. Noch schlimmer ist für sie, dass der Artikel doch tatsächlich mit Turners Schwimmkarriere beschlossen wird, seinen Bestzeiten für das Stanford Schwimmteam, als wäre das das Wichtigste, was es über ihn zu erzählen gäbe. Der Schaden, der an ihr getan wurde, das innere Trauma, das scheine niemanden zu interessieren. Während sie sich in ihrem Leben zurechtfinden muss, die Scham und Selbstablehnung überwinden muss, reden alle nur von ihm und welche Auswirkungen die Tat auf sein Leben haben wird.
Die Empörung und warum wir sie verstehen
Der erschreckend deutliche Bericht des Opfers legt direkt den Fokus auf einer wahren Unverschämtheit der Medien, die von Turners Vergehen berichteten: Neben der distanzierten Darstellung des Tat endet der Artikel, aus dem sie erst überhaupt von der Tat erfährt, mit den Rekorden des Täters in seiner Schwimmkarriere, fast so, als würde seine Erfolge die Tat herunterspielen. Der Vater von Brock Turner hat wahrscheinlich die prägnanteste Aussage des ganzen Prozesses gemacht: Er fände eine Verurteilung von sechs Jahren viel zu extrem für nur „20 minutes of action“. Das Leben seines Sohnes sei schon durch den Prozess alleine genug geschädigt und er fände es nicht fair, dass sein Sohn für ein so winziges Vergehen sein Leben lang bezahlen soll. Aus den Rängen der Opfervertreter*innen und Frauenrechtler*innen kamen verständliche Aufschreie. Das Opfer brauche solchen Schutz, nicht der Täter. Es sei schon schlimm genug, dass die Anklage aufgrund einer kleinen Terminologie nicht mehr unter der Straftat der Vergewaltigung, sondern nur noch unter sexuellem Missbrauch läuft. Für eine Vergewaltigung muss nach kalifornischem Recht nämlich eine Penetration durch die Genitalien des Mannes stattgefunden habe, während in diesem Fall nur durch die Hand des Täters Schaden angerichtet wurde. Dass diese Unterscheidung für das Opfer nicht den geringsten Unterschied macht, scheint nicht zu interessieren.
Hinter vorgehaltener Hand diskutiert das Internet die Frage, was Mr. Turner wohl sagen würde, wenn sein eigener Sohn Opfer einer Vergewaltigung gewesen wäre, ob er dann auch eine Verurteilung von sechs Monaten als angemessen ansehen würde und den Täter so in Schutz nähme. Natürlich wünscht niemand einem anderen Menschen solchen Schaden. Aber die Doppelmoral hinter dieser Aussage flammt eine uralte Diskussion auf, die in den Staaten noch langsamer abläuft, als in Deutschland. Der Opferschutz von Vergewaltigungsopfern, egal ob männlich oder weiblich, lässt noch immer deutlich zu wünschen übrig. Das Selbstmitleid der Täter und Ignoranz gegenüber den Folgen für das Opfer sind in unserem aufgeklärten Zeitalter noch immer zu präsent, wie dieser Fall einmal wieder zeigt.
Deutsche Aktionen wie #neinheisstnein, die auch von der UN unterstützt werden, lassen uns hoffen, dass die Behandlung von sexualisierter Gewalt auch in Deutschland bald eine Neuauflage erfährt.
Kim-Nicola Hofschröer
Airam meint
Ein beeindruckender Artikel. Vielen Dank!