Kaum eine soziale Bewegung dürfte in den letzten Jahren so viel Mobilisierungskraft entfaltet haben, wie die am 20. August 2018 von Greta Thunberg losgetretenen Fridays-for-Future-Proteste.
Dabei weisen diverse national wie international durchgeführte Studien auf eine überdurchschnittlich junge und weibliche Teilnehmer*innenschaft hin. So gab etwa Piotr Kocyba von der Professur Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropas an der TU Chemnitz bekannt, dass laut einer international durchgeführten Studie etwa 70 Prozent der Teilnehmer*innen des ersten Klimastreiks weiblich und im Durchschnitt 21 Jahre alt waren. Während dies aus feministischer Perspektive durchaus erfreulich klingt, sind die Diffamierungsversuche sowie der Hass, der den weiblichen Führungsfiguren der Bewegung, allen voran Greta Thunberg, von konservativer bis neurechter Seite entgegen schlägt, umso erschütternder.
Mit Adultismus gegen „trotzige Klimaaktivistinnen“
In konservativen und liberalen Diskursen erfolgt eine Delegitimierung von Fridays for Future und deren Protagonist*innen dabei zumeist durch eine paternalistische Rhetorik, die die Dringlichkeit klimapolitischer Anliegen herabspielt und Zweifel an deren wissenschaftlicher Fundierung andeutet.
So mansplaint etwa Christoph Schwennicke im Leitartikel der Februarausgabe des Cicero-Magazins, die dem „Prinzip Greta“ gewidmet ist, dass der Erfolg von Fridays For Future und ihrer jungen weiblichen Protagonistinnen nur durch eine „Infantilisierung der Politik“ zu erklären sei. Bebildert ist der Artikel mit einem Ausmalbild von Greta Thunberg, das den Untertitel „Malen nach Zahlen wie die Welt mir gefällt“ trägt.
Damit wird der Klimabewegung jegliches inhaltliche Fundament abgesprochen und eine wissenschaftliche Grundlage der von ihr formulierten Forderungen geleugnet. Vielmehr wird der Aktivismus von Greta & Co als etwas beschrieben, das „wie bei einem Kleinkind [sei]: Wenn es nicht von seiner Mutter entwöhnt wird, verlangt es noch mit fünf Jahren nach der Brust“. In der Tat hatte FDP-Chef Christian Lindner bereits im vergangenen Frühjahr eine ähnliche adultistische Argumentation bedient, als er in gönnerhafter Manier verlautbarte, dass „[v]on Kindern und Jugendlichen […] nicht erwarte[t werden könne], dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen.” Schließlich sei dies “eine Sache für Profis”. Dabei verschwieg er allerdings, dass gerade Klima-„Profis“ wie Kevin Anderson, Professor für Klimawandel und Energie sowie der Klimaforscher Stefan Rahmstorf durchaus lobende Worte zu Fridays For Future fanden.
Rechtspopulistische Hassrhetorik gegen Greta Thunberg
In rechtspopulistischen Kreisen, in denen sich bekannterweise viele Klimaleugner*innen finden lassen, ist Greta Thunberg gar zum neuen Feindbild avanciert.
So verwendete das Magazin Compact im April vergangenen Jahres bereits eine ganze Ausgabe mit dem Titel „Greta nervt: Klima-Hysterie als Ersatzreligion“ darauf, um seiner Verachtung der schwedischen Klimaktivistin zu frönen. Während auf dem Cover eine Darstellung Thunbergs als Heilige zu sehen ist, heißt es im Ankündigungstext mit erkennbar spöttischem Unterton:
„Die kleine Greta verbreitet Panik – und hunderttausende Teenager folgen ihr. Wir Kinder werden alle den Hitzetod sterben, wenn alte weiße Männer weiter Diesel fahren und Kohle heizen, verkündet die Kleinwüchsige, schaut finster drein und hat trotz der schlimmen Erderwärmung meist eine Pudelmütze bis zu den Augenbrauen gezogen. Die Klimahysterie ist endgültig zur Ersatzreligion mutiert. Die heilige Greta wird bereits gekrönt. Die nächsten Schritte werden folgen.“
Zusammen mit der von der ikonisierten Greta gehaltenen Tafel mit den Worten „Ihr Sünder, lasst fahren alle Hoffnung“ wird damit auf die altbekannte sexistische Heilige-Hure-Dichotomie rekurriert.
In einem durch Compact TV im November 2019 unter dem Titel „Klimawahn & Endzeitsekten“ veröffentlichtem Video werden indes sogar antisemitische Diskursfiguren bedienende Verschwörungstheorien geäußert. Auf diese Weise wird Greta Thunberg als „Prophetin des Untergangs“ bezeichnet, die sich „über sämtliche Staats- und Regierungsschefs“ überhöhe, die „von ihr Befehle entgegen zu nehmen hatten“, was dadurch ermöglicht werde, dass „hinter Greta [ein] steinreicher Mensch mit börsennotierten Unternehmen“ stehe, was wiederum im Sinne „des Establishment“ sei.
Der AfD-Kreisvorsitzende und Ratsherr Martin Schiller schreckte darüber hinaus nicht einmal vor einer offenkundig geschichtsrevisonistischen Diffamierung zurück: Auf diese Weise veröffentlichte er auf seiner Facebook-Seite eine Fotomontage Thunbergs, in der die Aktivistin eine Uniform des „Bundes Deutscher Mädel“ trug, was sowohl einer Verharmlosung des Nationalsozialismus als auch einer Verunglimpfung der Fridays For Future-Bewegung gleichkommt.
Offene Drohungen und Gewaltphantasien
Angesichts derartiger Diffamierungen und Hasskampagnen ist es nicht verwunderlich, dass Greta Thunberg selbst bereits zur Zielscheibe drastischer Drohungen geworden ist: So hängten Unbekannte an einer Brücke in Rom unlängst eine ihr nachempfundene Puppe an einer Brücke auf – offenkundig, um eine Hinrichtung zu symbolisieren. Darüber hinaus zeigt sich vor allem im Social Web eine Zuspitzung der Hassbotschaften. Beispielhafter Höhepunkt hierfür ist nicht zuletzt die vom AFD-Vorsitzenden Jörg Meuthen ausdrücklich als „eine logische und vernünftige Reaktion gegen den ideologischen Irrsinn der Ökoaktivisten“ gelobte Facebook-Gruppe, die den Namen #Fridays For Hubraum trägt. Die von Chris Grau und seinen Mitgründern ursprünglich für Autofans und gegen die Klimabewegung Fridays for Future erstellte Gruppe verzeichnete innerhalb kürzester Zeit eine halbe Million Mitglieder, die keinen Hehl aus ihrem Hass auf Greta Thunberg und ihre Mitstreiter*innen machten. So wurden rechtsradikale Parolen geäußert, Vergewaltigungsphantasien gepostet und Morddrohungen artikuliert, bis sich die Administratoren der Gruppe gezwungen sahen, diese vorübergehend zu schließen und sich von den Hasskommentaren und rechter Hetze zu distanzieren.
Klimabewegung und gesellschaftliche Machtverhältnisse
Während Medienpsychologen wie Jo Groebel und Tobias Rothmund einerseits allgemeine Frustration und die Suche nach Sündenböcken als Ursachen für den gegen Greta Thunberg gerichteten Hass vermuten, kann man diesen Hass auch als Reaktion auf die durch die Fridays For Future affizierten Ängste interpretieren. Ängste, die eben nicht mit dem Selbstbild hegemonialer Männlichkeit in Einklang zu bringen sind.
Die Vehemenz, mit der der Hass artikuliert wird, kann demnach auch als ein Abwehrmechanismus auf die durch die Aktivist*innen bewusst angetriggerte Zukunftsangst verstanden werden: Die Angst vor kommenden Katastrophen und der scheinbaren Unkontrollierbarkeit des Weltklimas. Die Angst davor, den eigenen Lebensstil verändern zu müssen und an Wohlstand einzubüßen. Aber auch die Angst vor veränderten Spielregeln in der politischen Arena. Die Angst vor einer Veränderung gesellschaftlicher Machtverhältnisse, in der nicht länger alte weiße Anzugträger mit dickem Parteibuch, sondern 16-jährige Schülerinnen mit roten Zöpfen die politische Agenda bestimmen könnten.
Dass gerade beim Thema Klima mehr weibliche Stimmen gehört werden sollten, wurde im Übrigen bereits 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 gefordert. Schließlich verstärkt die Klimakrise bestehende soziale Ungerechtigkeiten und führt etwa dazu, dass Frauen vor allem im globalen Süden mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit bei Naturkatastrophen umkommen. Weshalb zu hoffen bleibt, dass Aktivistinnen* wie Vanessa Nakate künftig mindestens genauso viel Aufmerksamkeit erfahren wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer.
Stephanie Heger
Anne Röhm meint
Eine sehr gute Analyse mit hohem Informationswert!
Gestern wurde das fundierte Wissen der Menschen in der Fridays for future Bewegung nochmals auf mehreren Ebenen bestätigt (Rathaus, Frau des Jahres).
Daher danke an euch.