Am 25. Februar 2022 wird in den Medien Russlands ein Manifest veröffentlicht. Es markiert den Beginn einer Organisation, die es in sich hat. Die “Feminist Anti War Resistance“ – „feministischer Antikriegswiderstand“. Die Organisation verknüpft feministische Gruppierungen in und außerhalb von Russland, ruft zu feministischer Solidarität auf und motiviert zum Aktivismus gegen heterosexuelle Normen. Den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilen sie.
„Als russische Bürger und Feministinnen verurteilen wir diesen Krieg […] Feminismus kann nicht auf der Seite eines Aggressionskriegs stehen. […] Krieg bedeutet Gewalt, Armut, erzwungene Vertreibung. […] Er verschärft die Geschlechterungleichheit und bremst Fortschritte bei den Menschenrechten. […] Wir rufen russische feministische Gruppen […] auf, Kräfte zu vereinen, um aktiv gegen den Krieg und die Regierung, die ihn begonnen hat, zu protestieren. […] Wir sind viele, und gemeinsam können wir viel erreichen […] Es ist Zeit, dies in politische Macht umzuwandeln. Wir sind die Opposition gegen Krieg, Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus. Wir sind die Zukunft, die siegen wird.” – Ausschnitt aus dem Manifest, ins Deutsche übersetzt
Die Arbeit der Organisation erstreckt sich von Aktivismus, Protestaktionen und Social Media über die Unterstützung ukrainischer Geflüchteter bis zur organisatorischen Unterstützung russischer Aktivist*innen, die aus dem Land fliehen müssen. Neben ihrer schnell wachsenden Social Media Accounts nutzen sie eine selbst herausgegebene Printzeitung “Zhenskaya Pravda“ – „Weibliche Wahrheit“ als Sprachrohr, um staatsunabhängige Informationen über den Krieg zu verbreiten. 2023 wurde die Organisation vom Aachener Friedenspreis für ihr Engagement ausgezeichnet.
Zwischen Repression und Staatspropaganda
„Нет войне“ – „no war“, (c) Helena Bizarmanis
Seit der Invasion in der Ukraine verschärft die russische Regierung ihre repressive Politik extrem. Gleichzeitig versucht Putin mit Propaganda-Kampagnen und Repressionen die Öffentlichkeit Russlands im Ungewissen zu lassen. Zur Sicherung seiner Macht und Unterstützung. Hier zu einer ausführlichen Chronologie des Angriffskriegs.
Unter dem Deckmantel der, laut Putin, dringend notwendigen „Demilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ wird nun ein aggressiver Krieg auch gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine geführt. Oppositionelle werden mundtot gemacht. Laut “Human Rights Watch“ sind legitime Proteste, dank eines von Behörden eingeführten Genehmigungssystems, faktisch illegal.
So nutzt der, laut Verfassung, demokratisch-föderative Rechtsstaat jegliche Mittel, um die innenpolitische Kritik an seiner Kriegsführung zum Schweigen zu bringen und Berichte zu unterbinden, die Russlands Einhaltung des humanitären Völkerrechts infrage stellen.
Das Unterdrücken hat Methode
Aus einem 2023 veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International lassen sich folgende Methoden entnehmen, die es russischen Streitkräften erlauben, gegen Oppositionelle vorzugehen:
Mithilfe strafrechtlicher Sanktionen gelingt es den russischen Behörden, eine Vielzahl von Protestierenden zu unterdrücken. Insbesondere der Artikel 207.3, die “Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der russischen Streitkräfte”, hat es in sich. Er ist mit einem Strafmaß von 15 Jahren angelegt und stuft jegliche Behauptungen der Protestierenden als “wissentlich falsch“ ein. Vom Gericht werden die Verfahren sowie die Richtigkeit der Aussagen selten infrage gestellt, schließlich würde dies dem Image der Institution schaden.
„Иностранный АГЕНТ“ – „Ausländischer Agent“ (c) Helena Bizarmanis
Weit verbreitet ist in Russland der Begriff des „иностранный агент – ausländischen Agenten“. Erstmals wurde 2012 gesetzlich festgelegt, dass jede Person, Gruppierung, Organisation etc. sich als „ausländischer Agent“ registrieren muss, die Unterstützung von außerhalb erhält oder Verbindungen zum Ausland pflegt. Auch wenn das Gesetz ursprünglich zur Einschränkung unabhängiger NGOs konzipiert wurde, ist es heute zum Instrument russischer Repression geworden. Zunächst müssen jegliche Veröffentlichungen mit einem Hinweis gekennzeichnet werden, dass sie von „ausländischen Agenten“ verfasst und verbreitet wurden. Veröffentlichungen können von Behörden geblockt werden und auch im gesellschaftlichen Umgang ist der Begriff stark verrufen. Er wird im Inland gerne mit Spionage-Vorwürfen im Kalten Krieg assoziiert.
Eine*m ausländische*n Agenten ist es verboten, mit Kindern oder in staatlichen Universitäten zu arbeiten. Staatliche Finanzierungen werden ihnen verweigert. So die The Moscow Times, eine unabhängige Nachrichtenplattform aus Russland. Eine Vielzahl von Journalist*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen werden bis heute konsequent als „ausländische Agenten“ deklariert. Das über zehn Jahre alte Gesetz beeinträchtigt die Berichterstattung in Russland nachhaltig.
Im Dezember 2022 wurde auch die Organisation “Feminist Anti-War Resistance” vom russischen Justizministerium auf die Liste der “foreign agents – ausländischen Agenten” gesetzt. Dass die Organisation heute noch existiert, ist ihrer anonymen und dezentralen Organisation zu verdanken. Die meisten Mitglieder arbeiten aus dem Exil heraus.
Auf den Straßen eines zunehmend autoritären Regimes
„По TV не скажут правду. Нет лжи, нет войне“ – „They won’t tell the truth on TV. No lies, no war!“ (c) Helena Bizarmanis
Physische Proteste gegen die staatliche Kriegsführung sind höchst riskant, und doch lebt der Protest mehr denn je. Beim Augenaufhalten fällt “leiser Protest” eigentlich überall in Russland auf. Ob Streetart, Graffitis oder kleine Botschaften auf Geldscheinen, Botschaften wie “НЕТ ВОЙНЕ – Nein zum Krieg”, werden immer wieder entdeckt. So treffen auf den Straßen Russlands, einem indirekten Dialog gleichend, Anti-Kriegs-Guerilla und Patriotismus zusammen. Wird die eine Botschaft von Kriegsbefürwortern oder staatlicher Institution übermalt, abgedeckt oder entfernt, so tauchen zehn weitere Schriftzüge auf Münzen, in Toilettenkabinen oder an Hauswänden auf.
„No wobble!“
Die russische Anthropologin Alexandra Arkhipova sammelte im März 2022, einen Monat nach Kriegsbeginn, über Telegram Bilder von anonymen Antikriegs-Graffiti. Die Voraussetzung: die Bilder müssen selbst aufgenommen werden. Und so erhielt sie Hunderte von Bildern aus allen Ecken Russlands. In einer virtuellen Ausstellung des Leibniz Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europas sind die Fotos mit jeweiligen Übersetzungen und symbolischen Erläuterungen der Schriftzüge zusammengefügt. Hier geht’s zur sehenswerten Ausstellung. Aufgrund der hohen drohenden Strafen ist eine Vielzahl von Graffiti verschlüsselt. Im September 2022 schrieb die junge Russin Alisa Klimentova „Net wxxxe“ auf einen Bürgersteig. Sie wurde mit dem Verdacht, den verbotenen Spruch „net woine“ verwendet zu haben, festgenommen. Vor Gericht erklärte sie jedoch, „net woble“ gemeint zu haben. „Woble“ steht für den Speisefisch Karpfen, „Woine“ allerdings für Krieg. So konnte sie den Richter überzeugen, dass sie eine Abneigung gegenüber Karpfen empfinde und so einem Strafmaß entgehen. Der Fall wurde schließlich öffentlich, was zu einem erneuten Gerichtsverfahren führte. Alisa Klimentova musste so schließlich eine Geldstrafe zahlen, der durchgestrichene Karpfen jedoch, ist ein Symbol des anti-kriegerischen Widerstands geworden.
. „Трагедия в Украине — дело рук российских солдат“ – „The tragedy in Ukraine is the work of Russian soldiers“, „Нет войне – no war“, (c) Helena Bizarmanis“No war. остановить войну Не верьте пропаганде. Здесь вам врут. Russians against war“ – „Stoppt den Krieg. Glauben sie der Propaganda nicht. Hier lügen sie euch an. Russen gegen den Krieg” (c) Helena Bizarmanis
Deutlich weniger anonym war der Auftritt von Marina Owsjannikowa. Im März 2022 stürmte sie mit einem Plakat in der Hand in eine Liveübertragung einer Nachrichtenshow im russischen Staatsfernsehen. Ganz alleine stand sie da, vor Millionen Zuschauer*innen des Senders. Die Aussage war ganz deutlich: „[…] Glauben Sie der Propaganda nicht, hier lügen sie euch an [..].“ So kritisierte sie die einseitige Berichterstattung im russischen Staatsfernsehen und protestierte gegen den Krieg. Ein mutiger Auftritt, der Konsequenzen hatte. Direkt nach dem Auftritt gelang ihr, dank Unterstützung der Organisation “Reporter ohne Grenzen“, die Flucht ins Exil. Zurück in Russland wurde sie direkt unter Hausarrest gestellt, der Vorwurf: Die Verbreitung falscher Nachrichten über die russischen Streitkräfte.
Ein Ausdruck patriarchaler Politik
Als Frau in Russland sah man sich auch schon vor dem 24. Februar 2022 patriarchaler Unterdrückung ausgesetzt. Im Interview mit der “Swissinfo”, einer öffentlich-rechtlichen Schweizer Nachrichtenplattform, erklärt die Politikwissenschaftlerin Leandra Bias, Putins Frauenpolitik beruhe auf „traditionellen Werten“. Ein Begriff, der nie klar definiert wurde, sodass jede Regierung ihn anpassen und stilisieren kann. “Welche konkrete Politik daraus abgeleitet werden kann, wird seit der Invasion deutlich, da man im Inland gezielt gegen Frauenrechte im Sinne der reproduktiven Rechte vorgeht”, so Leandra Bias.
Trotz im Artikel 19 der Verfassung der Russländischen Föderation festgesetzter eigentlicher gesetzlicher Gleichstellung verdienen Frauen in Russland für dieselbe Arbeit rund 30 Prozent weniger als Männer. Bei einer Vergewaltigung wird oft der Frau die Schuld gegeben: sie habe sich eben nicht „wie eine Frau“ verhalten. Es gibt kein Gesetz gegen häusliche Gewalt und eine Vergewaltigung in einer Ehe wird oft als „eheliche Pflicht“ abgetan.
Der 8.März, der Internationale Frauentag ist der Tag, an dem der feministische Protest durch die ganze Welt hallt. Ganz anders aber in Russland; am 8.März 2022 rief der feministische Antikriegswiderstand zu einer besonderen Aktion auf.
„Wir, die Frauen Russlands, weigern uns, den 8. März in diesem Jahr zu feiern. Gebt nicht uns die Blumen, geht aus, um sie zum Gedenken an die toten Zivilisten der Ukraine niederzulegen, […] gegen die unser Land aggressive Militäraktionen gestartet hat. Wenn Sie in Russland sind, legen Sie die bereits geschenkten Blumen an den Denkmälern für die Gefallenen nieder: Blumen sind besser als Kugeln” – heißt es in einer von ihnen veröffentlichten Erklärung.
Und so wurden am 8.März weltweit Blumen mit gelben und blauen Bändern niedergelegt, um an ukrainische Zivilist*innen, die dem Angriffskrieg zum Opfer fielen, zu denken und gegen den Krieg zu protestieren.
Dieser Artikel ist der erste Teil eines Zweiteilers namens „Feminist Anti-War Resistance“. Der zweite Artikel handelt von Darja Sereneko, einer Aktivistin die Mitbegründerin des feministischen Antikriegswiderstandes war, und ihrem Buch „Mädchen und Institutionen – Geschichten aus dem Totalitarismus“.
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