Animes sind für viele Menschen eine faszinierende Medienform und sie ziehen weltweit ein großes Publikum an. Die Kombination aus kunstvollen Designs und vielschichtigen Geschichten bietet den Zuschauer*innen eine Ausflucht aus dem Alltag und sie können in eine bunte und einzigartige Welt eintauchen. Darüber hinaus schaffen Animes es, tiefgreifende Emotionen darzustellen, die Millionen von Fans begeistern und mitreißen. Doch gerade als Feminist*in kann der Konsum von Animes ein zweischneidiges Schwert sein.
Für mich persönlich sind Animes eine Faszination, die sich schon in meiner Kindheit entwickelt hat. Aufgewachsen mit Klassikern wie Pokémon, Dragonball oder Sailor Moon, war ich schon früh mit der Welt der Animes vertraut. Die farbenfrohen und lebendigen Szenen und Erzählungen boten für mich eine ganz besondere Atmosphäre, die mich immer wieder aufs Neue in ihren Bann gezogen hat. Die Kluft zwischen Feminismus und Animes, die in diesem Artikel untersucht wird, kann aber als Liebhaber*in dieses Mediums herausfordernd sein. Seitdem ich mich zunehmend mit Feminismus beschäftige und dies ein ebenso großer Teil meines Lebens geworden ist, ist aus der Faszination an Animes oft eine Frustration entstanden.
Wie lassen sich also feministische Überzeugungen mit dem Konsum von Medien vereinbaren, die häufig problematische Frauenbilder aufwerfen? Diese Frage ist nicht nur ein persönliches Dilemma, sondern so komplex und weitgehend, dass sie bis in die Kultur und Gesellschaft ihres Ursprungslandes Japan reicht.
Faszination: Animes
Der Begriff Anime ist angelehnt an das englische Wort “Animation”, sprich Zeichentrickfilm beziehungsweise Animationsfilm oder Serie. Außerhalb Japans werden Animes hauptsächlich als ausschließlich japanische Produktionen von Animationsfilm- und Serien angesehen.
Stilmäßig unterscheiden sich Animes meist von Zeichentrickproduktionen aus anderen Ländern. In Animes werden die Charaktere meist mit sehr prägnanten Gesichts-und Körperelementen dargestellt. Große ausdrucksstarke Augen, die viel Raum für Emotionen geben und besonders auffällige Haarfarben bei den Protagonist*innen sind der Standard. Dazu kommen aber auch die unrealistischen Körperproportionen, vor allem bei weiblichen Protagonistinnen. Sehr schlanke Körper und lange Beine, gepaart mit überdurchschnittlich großen Brüsten und einem jugendlichen Gesicht sind bis heute dominierende Formen der Darstellung.
Grundsätzlich sind Animes ein weltweites Phänomen, das sowohl für Kinder als auch für Erwachsene ansprechend ist. In Japan sind sie, zusammen mit Mangas und dem dazugehörigem Merchandise, ein fester Bestandteil der Wirtschaft. Durch die weltweite Fangemeinschaft haben sich dadurch auch Teile japanischer Kultur und Traditionen global verbreiten können.
Frauenbilder in Japan
In Japan sind traditionelle Geschlechterrollen größtenteils tief in der Gesellschaft verankert. Historisch gesehen wurden Frauen oft als unterstützende Figuren betrachtet, die sich um den Haushalt und die Familie kümmern. Männer waren auf der anderen Seite die Hauptverdiener und zuständig für die Führung der Familie. Auch heute noch kann Japan als eine sehr traditionell orientierte Gesellschaft bezeichnet werden. Diese Rollenverteilung spiegelt sich dementsprechend auch in den Medien wider, einschließlich Anime und Manga.
In den letzten Jahrzehnten sind Veränderungen spürbar, und vor allem sichtbar. Trotzdem hat das Land weitreichende Probleme in der Gleichstellung im Bildungssektor, der Politik, dem Arbeitsmarkt und der Gesellschaft. Im jährlichen Bericht des Weltwirtschaftsforums zur Gleichberichtigung von Mann und Frau belegte Japan Platz 125 von 146 Ländern.* Dennoch gibt es in Japan eine wachsende Bewegung für Gleichstellung und Frauenrechte. Frauenorganisationen und Aktivist*innen kämpfen aktiv für Veränderungen in der Politik, im Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft insgesamt. Die öffentliche Debatte über Gleichberechtigung und Frauenrechte gewinnt an Dynamik. Diese Debatten bieten Raum für einen Hoffnungsschimmer auf eine Veränderung und mehr Gleichstellung in der Zukunft.
Diese Bewegungen und Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf die Popkultur, trotzdem bleiben alternative popkulturelle Ausdrucksformen oft in der Minderheit und werden von den traditionelleren Darstellungen überlagert. Trotz dieser bestehenden Herausforderungen und Hindernisse gibt es auch in Japan Anzeichen für eine zunehmende Sensibilisierung für Geschlechtergerechtigkeit. Diese Veränderungen werden auch in der Anime- und Manga-Industrie sichtbar. Künstler*innen und Autor*innen beginnen vermehrt damit, vielseitigere Darstellungen von Frauen zu präsentieren. Es ist ein langsamer Prozess, aber er ist wichtig für den Wandel zu einer Gesellschaft, die tolerant und offen gegenüber Menschen aller Geschlechter ist.
Letztlich sind diese Medienformen oft ein Spiegel der Gesellschaft und um die Rollenbilder in Animes zu verändern, muss sich auch die Gesellschaft wandeln. Der lange Weg dahin kann zu Frustration und Enttäuschung führen, insbesondere für Feminist*innen, die nach einer vielfältigeren Darstellung von Frauen in den Medien suchen.
Aus Faszination wird Frustration
Animes werden für mich immer wieder zu einer Frustration, wenn ich sie durch meine feministische Brille betrachte. Deshalb habe ich mich auch mit anderen Personen unterhalten, die zwischen diesen beiden Welten hin- und hergerissen sind. Eine ehemalige Praktikantin unserer Redaktion, Kristina, beschäftigt sich wie ich auch mit diesem Thema. Sie zeichnet selbst Mangas und ist Fan dieses Mediums, wie auch überzeugte Feministin. Ich habe mit ihr gesprochen, um eine weitere Perspektive zu dem Thema zu hören.
Gibt es bestimmte Stereotypen/ Klischees, die dir besonders negativ aufgefallen sind und wie beeinflussen diese deine Sicht auf das Medium Animes?
Kristina: Negativ aufgefallen ist mir vor allem das Verhalten der Figuren. Viele weibliche Charaktere sind, vor allem verglichen mit den männlichen Protagonisten, eher passiv, stecken ihre eigenen Bedürfnisse zurück und nehmen eine unterstützende Rolle ein oder sind reduziert darauf, dass sie der „Love Interest“-Charakter der Geschichte sind. Problematisch ist auch die Darstellung von Schönheitsidealen.
Hast du persönlich Erfahrungen gemacht, bei denen deine Faszination für Animes/Mangas aufgrund der Darstellung von weiblichen Charakteren auf Frustration
gestoßen ist?
Kristina: Auf jeden Fall. In letzter Zeit schaue ich mir viele Fantasy-Anime aus den letzten Jahren an, und bin überrascht, wie viele problematische oder zumindest sehr fragwürdige Darstellungen es von Frauen in den Geschichten gibt. Dann merke ich schon, wie mir die Freude am Anime vergeht, oder ich immer wieder gefrustet bin, gerade wenn ich mir denke, dass der weibliche Charakter in der Story doch so viel mehr Potential gehabt hätte, aber die Drehbuchautor*innen und Schreiber*innen dieses Potential nicht ausgeschöpft haben.
Ich erwarte keine super feministische Darstellung von jedem weiblichen Charakter in jedem Anime oder Manga. Man sollte auch bedenken, dass Manga und Anime nun mal primär japanische Kulturgüter sind. Deshalb finden westliche Perspektiven, vor allem westliche feministische Perspektiven, meiner Meinung nach nur bedingt Platz. Trotzdem bin ich nun mal eine Konsumentin der Geschichten und aus meiner Perspektive betrachtet, kann die Darstellung von weiblichen Figuren in vielen Animes sehr frustrierend sein. Vor allem, weil ich das dargestellte Verhalten der Figuren oft nicht nachvollziehen kann
Wie gehst du persönlich damit um, ein Gleichgewicht zwischen der Liebe zu Animes/ Mangas und dem Feminismus zu finden?
Kristina: Ich habe einen ganz eigenen Weg gefunden, Feminismus und Manga zu verbinden: Ich zeichne meinen eigenen Manga und lasse feministische Perspektiven einfließen. Ich arbeite an einer Dark Fantasy-Geschichte, „Grimmheim“, die viele Leser*innen sicherlich auf den ersten Blick, wegen der Brutalität und dem düsteren Setting, in die Seinen-Kategorie einordnen würden. Seinen sind Manga für eine erwachsene, männliche Zielgruppe. Auf den zweiten Blick erkennt man aber die feministischen Einflüsse: Es gibt eine unkonventionelle Heldin, die sich nicht nur gegen allerlei Monster, sondern auch gegen das Patriarchat stellt und einen selbstbestimmten Weg im Leben gehen will.
Wie gehst du bei der Entwicklung weiblicher Charaktere in deinen Werken vor und was ist dir bei der Darstellung besonders wichtig?
Kristina: Als Autorin sind mir vielschichtige Figuren besonders wichtig. Vielschichtigkeit wird dadurch erreicht, dass eine Figur, unabhängig vom Geschlecht, ihre eigenen Wünsche,
Ziele, Träume, aber auch Schwächen hat, und aktiv die Handlung der Geschichte beeinflusst. Das ist Priorität Nummer Eins. Wenn es dann um die Ausarbeitung von weiblichen Figuren im Konkreten geht, versuche ich immer, möglichst viele verschiedene feministische Aspekte in meiner Geschichte unterzubringen, um ein buntes und diverses Bild von ganz vielen verschiedenen, weiblichen Lebensentwürfen zu zeichnen.
Kristina konnte mir eine spannende, und für mich neue, Perspektive auf das Thema geben. Mit ihrer eigenen Manga-Reihe hat sie einen Einfluss darauf, wie sie ihre Liebe zu Mangas/ Animes mit dem Feminismus verbinden möchte. So trägt sie selbst zu einer Veränderung bei.
Kann ich nun also als Feministin Animes schauen?
Damit komme ich zurück zu der Ausgangsfrage und meinem persönlichen Dilemma. Während der Recherche und den Gesprächen mit anderen Fans und Künstler*innen ist mir klar geworden, dass es möglich ist, Animes als Feministin zu genießen. Wichtig ist dabei, sich der Problematiken bewusst zu sein und einen kritischen Blick zu bewahren. Ich werde auch weiterhin Animes schauen, allerdings noch ausgewählter als vorher. Dazu gehört, dass ich noch gezielter nach Animes suche, die vielfältige und realistische Darstellungen von Frauen bieten.
Trotz der bestehenden Herausforderungen und Frustrationen bietet die Anime-und Manga-Welt auch viel Raum für Hoffnung und Veränderung. Künstler*innen wie Kristina tragen dazu bei, neue Wege zu beschreiten und positive Vorbilder zu schaffen. So langwierig dieser Prozess auch sein mag, für mich ist er es wert, ihn zu unterstützen. Animes ziehen mich weiterhin in ihren Bann, und darauf möchte ich nicht verzichten. Indem ich bewusst auswähle, was ich konsumiere, kann ich meine Leidenschaft für Animes mit meinen feministischen Überzeugungen in Einklang bringen.
Es zeigt sich für mich, dass Faszination und Frustration in der Anime-Welt oft Hand in Hand gehen. Doch durch die Unterstützung feministischer Entwicklungen und einem größeren Bewusstsein für den Konsum kann diese Medienform nicht nur ein faszinierendes, sondern auch ein bereicherndes Erlebnis bleiben.
Lena B.
*Die Statistik ist binär strukturiert und bezieht nicht alle Geschlechter mit ein.
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