„Wenn ich vor der Geburt nochmal entschieden dürfte, ob ich gehörlose oder hörende Eltern bekommen würde, würde ich mich immer für gehörlose Eltern entscheiden“
Annalisa Weyel ist Studentin, Schauspielerin und Coda. Das bedeutet, dass sie als hörendes Kind gehörloser Eltern aufwächst. Mit dem Pseudonym @annatalogy teilt die 20-Jährige Aktivistin auf Instagram und YouTube ihre Erfahrungen als Coda. Auf ihren social media Kanälen erzählt sie von ihren Erfahrungen zwischen der gehörlosen und hörenden Kultur aufzuwachsen. Sie begeistert für ihre Muttersprache: die deutsche Gebärdensprache (DGS). Annalisa erklärt, zeigt und informiert – immer mit dem Ziel auf die diskriminierenden Strukturen gegenüber gehörlosen Menschen aufmerksam zu machen.
„We are all Codas. Not deaf. Not hearing“
Coda steht für die Abkürzung child of deaf adults oder in deutscher Sprache: Kind gehörloser Eltern. Obwohl 90% der Kinder gehörloser Eltern selber hören können, ist die Identität von Codas, ihre Erfahrungen, ihre Fähigkeiten und Benachteiligungen bisher nur wenig bekannt. Annalisa erklärt auf ihrem Instagram Account, dass es vielen Codas schwerfällt, die eigene Identität zwischen der hörenden und der gehörlosen Kultur zu begreifen. Weder in der einen, noch in der anderen Welt habe sie sich 100% zugehörig gefühlt. Der Begriff Coda gibt vielen hörenden Kindern mit ähnlichen Erfahrungen ein Selbstverständnis, ein Wort, mit dem sie sich identifizieren können.
Codas müssen sich früh mit diskriminierenden Strukturen gegenüber gehörlosen Menschen auseinander setzen. Dadurch werden sie in jungem Alter für Themen wie Inklusion und Barrierefreiheit sensibilisiert und können ihre eigenen Privilegien reflektieren. Für Annalisa, die früh miterleben musste, wie ihre Eltern in vielen Lebensbereichen ausgeschlossen wurden, liegt darin ihren Antrieb für eine bessere Welt zu kämpfen.
„We are all Codas. Not deaf. Not hearing. We are somewhere between. We, Codas, are here. We have a lot to share. Invite us to the table. Pull out a chair for us. Welcome us.“
Gebärdensprachen – schöne Sprachen
Für die meisten Codas, wie für Annalisa, ist die Gebärdensprache die Muttersprache und sie kommunizieren mit ihren Eltern über Gebärden. Einige Codas hingegen sprechen mit ihren Eltern in einer Lautsprache oder einer Mischung. Die meisten Menschen wissen sehr wenig über die Sprache und die Kultur, die dahintersteht. So erzählt auch Annalisa, wie viele Nachrichten sie auf Instagram erhält, in denen ihre Follower*innen berichten, dass sie nicht gewusst hätten, dass Gebärdensprachen eigene Vokabulare und Grammatiken haben. Unsere FLINTA* der Woche räumt auf ihrem Account mit den ganzen Vorurteilen auf. Darüber hinaus ist sie überzeugt davon, dass die Mehrheitsgesellschaft einiges von der Gehörlosengemeinschaft lernen kann. Annalisa beschreibt die Kommunikation über Gebärden als sehr aufrichtig. Dadurch, dass Gestik und Mimik zentral sind, seien Gesprächspartner*innen achtsam und im hier und jetzt.
Gebärden zum feministischen Kampftag
Annalisa möchte durch ihre Aufklärungsarbeit zeigen, wie schön die Sprache und die Kultur der Gehörlosengemeinschaft ist. Um einen zugänglichen Einstieg in die Sprache zu ermöglichen, lädt sie regelmäßig Reels hoch, in denen sie Gebärden zu bestimmten Themen zeigt. Neben den typischen Begrüßungsfloskeln gibt es Videos mit Gebärden zum feministischen Kampftag oder Pride Gebärden. So will sie alle Interessierten an die Sprache heranführen und einen Einblick in die Ausdrucksform geben. Dabei ist es unserer FLINTA* der Woche sehr wichtig, dass ihre Anregungen kein Sprachkurs sind, sondern viel eher dazu ermutigen sollen, einen solchen zu belegen.
Unsere ableistische Welt
Neben ihren Erfahrungen als Coda und der Sensibilisierung für Gebärdensprachen, macht Annalisa auf ableistische Strukturen in unserer Gesellschaft aufmerksam. Ableismus bezeichnet die Strukturen, die Menschen mit Behinderungen aufgrund ihrer Behinderungen ausschließen, benachteiligen oder abwerten. Dass Menschen mit Behinderungen als Belastung und ihre Inklusion als Mehraufwand angesehen werden, ist die schreckliche Lebensrealität vieler Menschen. Gehörlose Menschen werden oft einfach nicht mitgedacht. In Kinos und Fernsehen beispielweise werden selten Untertitel eingeblendet oder es stehen für Elternabende und Ärtz*innenbesuche keine Dolmetscher*innen zu Verfügung
Das sind natürlich nur winzig kleine Ausschnitte aus der ableistischen Gesellschaft, in der wir leben. Auf struktureller, institutioneller und individueller Ebene muss noch viel passieren. Für die Aufklärungsarbeit von Annalisa Weyel wollen wir uns bedanken und solidarisieren uns in ihrem Kampf gegen Ableismus!
Oft ist es so, dass gehörlose Personen, die über die Gebärdensprachen und die Gehörlosenkultur aufklären, viel weniger Aufmerksamkeit als hörende Personen bekommen. Durch den Algorithmus auf Instagram beispielsweise werden sie systematisch unsichtbar gemacht. Annalisa empfiehlt auf ihrem Account einige gehörlose Instagramer*innen: @cindyklink , @mariavschimanski, @nyledimarco und viele weitere. Die Empfehlungen findet ihr hier.
Toni Engel
Lana meint
Da is glaube ich ein Dreher unterlaufen ganz am Ende, gehörlose Influencer*innen kriegen weniger Aufmerksamkeit.
Empfehlung für ihren Account von meiner Seite!!!