Schwarz, lesbisch, Feministin, Mutter, Kämpferin und Dichterin – mit diesen Worten beschreibt sich Audre Lorde, unsere FLINTA* dieser Woche, selbst. Sie hat nicht nur zu ihrer Zeit maßgeblich zur Gründung und Wegweisung der Schwarzen feministischen Bewegung, insbesondere der afro-deutschen sowie queeren Frauenbewegung, beigetragen: Ihr Einfluss ist bis heute spürbar, damals war er jedoch revolutionär.
„Es zeugt von einer besonderen akademischen Arroganz, über feministische Theorie zu sprechen, ohne die zahlreichen Unterschiede zwischen uns Frauen zu beleuchten und ohne die wichtigen Beiträge von Schwarzen Frauen, Frauen des globalen Südens, queeren Frauen und von Armut betroffenen Frauen zu berücksichtigen. Und dennoch finde ich, eine Schwarze, lesbische Feministin, mich hier auf dem einzigen Podium wieder, das die Positionen Schwarzer Feministinnen und Lesben thematisiert.“
Das schreibt Audre Lorde im Jahr 1984 in ihrem Buch “Sister Outsider”, das letztes Jahr – nach über einem Vierteljahrhundert längst überfällig – endlich ins Deutsche übersetzt wurde.
Leben und Werdegang
1934 wurde Lorde in New York City geboren, in Harlem wuchs sie zu Zeiten der Great Depression auf. Ihre Eltern stammten von den Grenadinen und immigrierten in die USA. Stift und Papier wurden der jungen Lorde buchstäblich mit in die Wiege gelegt: Sie lernte ausgesprochen früh schreiben und verfasste schon als Kind Gedichte. Das Kindesalter ging vorüber, die Leidenschaft des Textens blieb. Sie schrieb weiterhin und wurde ein aktiver Teil der homosexuellen Subkultur im Greenwich Village. Sie besuchte die Columbia University und erwarb 1961 den Master der Bibliothekswissenschaft, nach ihrem Studium arbeitete Lorde zunächst als Bibliothekarin sowie Ghostwriterin und veröffentlichte Gedichte, die nicht selten politische Botschaften beinhalteten. 1954 verbrachte sie ein Jahr an der Universität von Mexiko, welches sie später als bedeutend für ihre Selbstbestätigung als Lesbe und Dichterin beschrieb. Im Jahr 1992 starb Audre Lorde schließlich an den Folgen von Brustkrebst, nachdem sie 14 Jahre mit ihrer Krankheit gelebt hatte. Auch die Erfahrungen dieser Zeit verarbeitete sie in ihren Schriftstücken.
Schreiben als politischer Protest
Als Autorin nutzte sie das Medium des Schreibens um die Menschen zu erreichen, sie zum Zuhören und Nachdenken aufzufordern. Besonders aber um einen Beitrag zur Beseitigung von diskriminierendem Gedankengut innerhalb der Gesellschaft zu leisten und sich für Feminismus stark zu machen. Sie war derzeit in der Bürgerrechts-, Antikriegs- und Frauenbewegung aktiv und setzte sich für Rechte von Lesben und Schwulen ein. Im Gedicht „Martha“ bejaht sie ihre eigene Homosexualität: „We shall love each other here if ever at all.“ und inspiriert somit dazu, sich nicht für die eigene Sexualität zu schämen, sondern zu sich selbst zu stehen – ganz genau so, wie man oder frau eben ist.
The Berlin Years
Lorde hat sich über die Jahre einen Namen gemacht: Sie wurde 1966 leitende Bibliothekarin an der Town School Library in New York City, außerdem wurden ihre Gedichte in den 1960er Jahren bereits regelmäßig veröffentlicht. So kam es, dass Lorde 1984 auf Einladung der Freien Universität Berlin hin nach Berlin ging, wo sie in den nächsten acht Jahren eine so wichtige Rolle spielen sollte, dass sogar ein Dokumentarfilm, „Audre Lorde – The Berlin Years, 1984-1992“ von Dagmar Schultz, über diese Zeit produziert wurde. Denn Lorde trug wesentlich dazu bei, dass eine afro-deutsche Frauenbewegung überhaupt entstehen konnte. Ihr Einfluss war von großem Gehalt. Ganz besonders für die Afrodeutschen, die zur damaligen Zeit weder Namen noch Platz für sich selbst hatten. Lorde war es, die sie dazu ermutigte, sich in einer Kultur sichtbar zu machen, die sie bislang isoliert und übersehen hatte. Vereine, wie Adefra und der ISD wurden in diesem Zuge ins Leben gerufen, die sich für die Gleichstellung Schwarzer Frauen und Women of Color einsetzen. Der Film dokumentiert Lordes Einfluss auf die deutsche politische und kulturelle Szene während eines Jahrzehnts, das von tiefgreifendem sozialen Wandel geprägt war, nicht nur weil es zum Fall der Berliner Mauer führte.
Wegschauen ist keine Möglichkeit
Audre Lordes Schriftstücke drehen sich mitunter um ihre persönlichen alltäglichen Erfahrungen mit rassistischer oder patriarchaler Diskriminierung. Die Adressierung der Werke sollte dabei mitgedacht werden, findet Lorde. So möchte sie im Essay „Auge in Auge. Schwarze Frauen, Hass und Wut“ Menschen mit ähnlichen Erfahrungen ansprechen, denn sie verarbeitet ihre Erlebnisse aus der eigenen Position heraus, in der sie sich selbst befindet. Es geht also gerade nicht darum, dass eine Person of Color einem weißen Publikum von traumatischen Erfahrungen erzählt. Solche Versuche hält Lorde im Allgemeinen für eher erfolglos. Wegschauen ist aber auch keine Möglichkeit. Es muss einen Weg geben, sich auf konstruktive Weise mit dem auseinander zu setzen, das Leid verursacht – um Einblicke in eine Perspektive zu erhalten, die man selbst nicht teilen kann und um daraus für die Zukunft zu lernen. Sie schreibt:
“Ja, es ist keine leichte Aufgabe, stillzuhalten und zu hören, wie eine andere Frau einen Schmerz beschreibt, den ich nicht teile oder zu dem ich gar selbst beigetragen habe.”
Audre Lorde plädiert immer wieder dafür, Unterschiede als „Antrieb für Veränderung“ zu betrachten, anstatt diese zu ignorieren oder lediglich als Ursache für Spaltung und Misstrauen zu betiteln. Wäre das nicht etwas zu kurz gedacht? Lieber stellt Lorde Fragen und zwar solche, die zum Diskurs anregen. Zum Beispiel, warum weiße Feministinnen die Geschichte aller Frauen schreiben und warum nicht-europäische und Schwarze Frauen darin nur als Opfer vorkommen. Aber nicht nur für rassistisch diskriminierte Frauen hat Lorde einen Unterschied gemacht. Als lesbische Frau, die öffentlich zur eigenen Homosexualität steht, was damals nicht immer ohne Konsequenzen möglich war, hat sie einen Meilenstein ins rollen gebracht. Es wäre daher sicherlich keine Übertreibung sie als Ikone für die gesamte FLINTA*-Bewegung zu bezeichnen. Denn sie hatte eine Vision:
“Wir werden beginnen, einander zu sehen, sobald wir wagen, uns selbst zu sehen; wir werden beginnen, uns selbst zu sehen, sobald wir beginnen, einander zu sehen, ohne Überheblichkeit, Herabsetzung oder Vorwürfe, sondern mit Geduld und Verständnis, wenn wir es nicht ganz schaffen, und mit Anerkennung und Wertschätzung, wenn es uns gelingt.” (Audre Lorde im Essay „Auge in Auge. Schwarze Frauen, Hass und Wut“).
Lorde wollte sich nicht verstecken, darum leistete sie Widerstand. Ihre Gedanken und Aktionen haben maßgeblich dazu beigetragen, Diskriminierung sichtbar zu machen und damit einen Ansatzpunkt zu schaffen, von dem aus wir diese beginnen können zu bekämpfen. Sie stand für ihre eigenen Rechte ein und damit auch repräsentativ für die aller FLINTA*-Personen, insbesondere Schwarzer und lesbischer Frauen. Schon lange vor den Zeiten als Kimberlé W. Crenshaw den Begriff der „Intersektionalität“ prägte, thematisierte Lorde damit dessen Kern. Denn sie hat den Feminismus aufgefordert, die Unterdrückung aller Frauen in den Blick zu nehmen!
Imke
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